150 nacherzählte Jahre Familiengeschichte - für die Schauspieler gab's Beifall und heftige Buhs für Regisseur Luk Perceval.

Hamburg. Nein, das war wirklich noch nicht der große Wurf, den man von einem Spielzeitbeginn unter einem neuen Intendanten erwartet. Viel zu langatmig, farblos und gleichförmig lief die Premiere am Freitag Abend im Thalia Theater ab, die leider auch den neuen Ensemblemitgliedern kaum Möglichkeiten bot, ihre schauspielerischen Fähigkeiten klar erkennbar zu machen.

"The truth about the Kennedys" heißt das Stück bedeutungsvoll, das man mit ebenso viel Berechtigung auch einfach "Die Kennedys" hätte nennen können. Schließlich kommen nicht allzu viele neue Wahrheiten über die bekannteste amerikanische Familie an diesem dreieinhalbstündigen Theaterabend ans Licht, den Luk Perceval mit einem Ensemble aus fünf Schauspielerinnen und vier Schauspielern zur Eröffnung der Intendanz von Joachim Lux am Thalia Theater inszeniert hat.

Denn wir wissen ja schon so Vieles über diesen Clan. Kaum ein Bild der vergangenen fünf Jahrzehnte hat sich so sehr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit eingeprägt, wie die Ermordung John F. Kennedys 1963 in Dallas. Zahllose Filme und Bücher sind über den ehemaligen US-Präsidenten und seine Familie erschienen, die mit Alkoholschmuggel, Mafia-Verbindungen, sagenhaftem Reichtum, Hollywood und vor allem der Bewunderung des Patriarchen, Joe Kennedy, für Hitler in Verbindung gebracht wird. Jack und Jackie, der Präsident und die Monroe, die Gehirnoperation an Schwester Rosemary, Justizminister Bobby Kennedy und seine Aktionen für die Schwarzen und gegen die Teamsters und die Mafia, Vermutungen über das Mordkomplott am Präsidenten: Die Geschichten um die legendärste amerikanische Familie sind alle bekannt und schon beinahe zu Tode erzählt. Und sie werden an diesem Abend alle noch einmal aufgezählt. Schritt für Schritt, bis zum Ende von Ted Kennedy, der in der vergangenen Woche starb.

Hat man die ersten 50 Jahre hinter sich, beginnt man zu rechnen, wie viele Jahre nun noch folgen werden. Das ist Dramaturgentheater und Textbewältigung, kein Theaterspiel, bei dem man die Tragödien in den Menschen wieder erkennen kann. Die Wucht des Schicksals oder die Abgründe der Liebe - hier wird nur davon gesprochen.

Wenn der Abend beginnt ist die Bühne leer, nur an deren Ende stapeln sich meterhoch Zeitungsberge. Die Schauspieler - alle in schwarz, weiß und grau gekleidet - treten auf und stellen sich in die Mitte. Dort dreht sich die Drehbühne. Und sie hört den ganzen Abend nicht mehr auf. Hans Kremer, der den alten Joe Kennedy spielt, beginnt im Jahr 1849, als er die Geschichte der Familie Kennedy erzählt.

Und wer zu Beginn noch glaubt, demnächst würde hier vielleicht Einiges passieren, was uns an griechische Tragöden erinnert oder an Shakespeares Königsdramen, der sieht sich schon bald getäuscht. Denn es wird immer weiter erzählt von Flugzeugabstürzen und Morden, rein chronologisch. Zum Spielen bleibt da nicht viel. Die Schauspieler gehen auf der Drehbühne, mal links, mal rechts herum, sie stolpern, kraxeln oder breiten Papier aus. Ein Gitarrist spielt Blues und auf den Zeitungsstapeln sieht man Projektionen von Familienfotos der Kennedys.

Später werden auch noch Reden eingeblendet. In englisch und die Schauspieler müssen sie englisch fortführen. Das Schlimmste was man über den Abend sagen könnte: Er wirkt, wie ein abgelesener Wikipedia-Text. Und in der Tat lesen die Schauspieler ihre Texte auch von einer Art Teleprompter am Ende des Zuschauerraums. Das Beste was man über diesen Abend sagen könnte: Er eignet sich sehr gut als Geschichtsunterricht für Schulklassen. Aber jetzt warten wir dann lieber noch auf einen kraftvollen, sinnlichen Theaterabend.