Thalia-Intendant Joachim Lux antwortet auf den Vorschlag von Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, der im Abendblatt-Interview gefordert hatte, jährlich sechs Kulturgutscheine an Bürger auszugeben - anstelle von allgemeiner Kultursubvention.
Subventionsabbau auf allen Ebenen - der Vorschlag leuchtet ein. 1. Diejenigen, die eine Leistung wahrnehmen wollen, sollen sie bezahlen. Das findet jeder richtig. 2. Der Steuerzahler wird entlastet, die Umverteilung von Leistungen entfällt. Findet auch jeder gut. 3. Schließlich die soziale Komponente, jeder darf sechsmal im Jahr umsonst ins Theater: Theater für alle! Umso besser.
Man sollte die Idee kreativ weiterdenken: Die Polizeieinsätze bei Fußballspielen sollen die bezahlen, die ins Stadion gehen, nicht aber der fußballfaule Teil der Bürger. Der Badebetrieb an der Nordsee wird, nachdem die Schwimmbäder schon geschlossen wurden, künftig so geregelt, dass jeder sechs Tage pro Jahr unentgeltlich ans Meer darf und für Folgebesuche bezahlt. Städtische Blumenrabatten werden nur gegen Eintritt geboten, schließlich ist nicht jeder ein Botaniker. Und wo steht eigentlich, dass die Gesellschaft als Ganze für Krankheiten und Alter aufkommen soll? Es ist auch nicht verständlich, warum die Schüler sich im Abitur mit Schillers "Räubern" abquälen. Warum macht man dies - und Religions-, Kunst- oder Musikunterricht - nicht zum freiwilligen, extra zu bezahlenden Unterrichtsteil und die anderen lernen etwas Sinnvolles, z. B. die Einübung in Facebook?
Weil unsere Gesellschaft nicht ausschließlich auf unmittelbar effizienten Prinzipien beruht, sondern auf dem Solidarprinzip und auf einem Wertekonsens. Der beinhaltet essenziell auch Kultur und Bildung. Diese Dinge sind - oder waren? - uns so viel wert, dass wir Geld investieren, um sie möglichst vielen zu ermöglichen. Das gilt für Theater wie für Museen oder Bibliotheken, aber auch für viele andere subventionierte Aktivitäten, wo Menschen dazu angeregt werden, aktiv zu werden. Ein solcher Enthusiasmus gibt unserer Gesellschaft Kraft; geben wir das auf, geben wir unsere kulturelle Identität zum Abschuss frei.
Denn all das sind Orte der Kommunikation, der Wahrnehmungsschulung und der kulturellen Selbstfindung. Wenn Sie so wollen: Einübung in soziale Diskurstechniken im sloterdijkschen Menschenpark. Das unterscheidet diese Orte von der Unterhaltungsindustrie. Kultur ist ein Luxus! Ja! Aber Zivilisation ist erst dort, wo man sich diesen Luxus leisten kann und ein Bild malt anstatt in Hedgefonds zu investieren, oder eine Tischdecke auflegt anstatt mit den Fingern zu essen. Vollkommen disfunktional, aber sinnstiftend. Und genau darüber hat antipopulistisch, aber nicht antidemokratisch die Kulturbehörde zu entscheiden und nicht der einzelne Bürger.
Das Thalia-Theater liegt gewissermaßen im Bermudadreieck der Finanzkrise, die ja eine Krise skrupellosen Managements ist, eine Krise exzessiver Deregulierung und keine übertriebener Subventionierung. Sie aber propagieren das weiter, als hätte die Bevölkerung zuletzt nicht Milliarden in die Stabilisierung der Wirtschaft gepumpt, subventioniert ohne Ende. Warum lenken Sie ab und sagen, die Gesellschaft soll den Kauf der paar Buntstifte, die der spielerischen Selbstentfaltung des Menschen dienen, nicht weiter fördern? Das Thalia-Theater liegt am Gerhart-Hauptmann-Platz, benannt nach einem Autor, der das soziale Elend in der Frühphase des Kapitalismus beschrieben hat. Drumherum: Die Landesbank, die den Jahresetat der Bürger von Hamburg verbrannt hat, Karstadt, ein Konzern, der pleite ist und seinem Arcandor-Manager den Abgang mit vielen Millionen Euro vergoldet - degoutant und widerlich. Und schließlich das Thalia, ein mittelständischer Betrieb, seit Jahrzehnten kaufmännisch solide, in bester Hamburger Tradition geführt. Warum schlagen Sie vor, die Theater-Subventionen zu streichen? Die einen Promillesatz dessen ausmachen, was derzeit in die Wirtschaft und Finanzen gepumpt wird? Erstaunlich!
Anfang Oktober bringen wir ein Stück von Elfriede Jelinek heraus, das sich mit der Wirtschaftskrise auseinandersetzt. Es verweist nicht platt auf die bösen Manager, sondern auf uns alle, die Kleinanleger, die wir genauso gierig waren wie die Wiedekings und Merckles dieser Welt. Kultur ist ein aktiver Widerstand gegen diese Art von Verrohung. Ich lade Sie als Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts herzlich zur Premiere ein und dazu, darüber eine Kritik zu schreiben, die wir, egal wie sie ausfällt, auf unserer Homepage veröffentlichen werden.