Hamburg. In Hamburg wird immer mehr gestohlen. Geschäftsleute klagen über hohe Verluste und fordern mehr Unterstützung. Was Dieben droht.
Mal ist es eine Flasche Wein, mal eine Handcreme oder jemand steckt gleich ein ganzes Paket von der Fleisch-und Käsetheke ein, ohne zu bezahlen. Bei Meyer‘s Frischecenter in Niendorf haben die Inhaber zu einer drastischen Maßnahme gegen Ladendiebe gegriffen. „Bei Diebstahl wird ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro erhoben“, warnt ein Schild gut sichtbar oberhalb der SB-Kassen. Normalerweise liegt diese Summe, im Fachjargon Vertragsstrafe, für ertappte Ladendiebe zwischen 50 und 100 Euro.
„Wir erheben eine Bearbeitungsgebühr, die etwas härter ist, aber nicht unangemessen“, sagt Edeka-Kaufmann Jörg Meyer, dessen Familie in Hamburg und Umgebung sowie auf Sylt neun Supermärkte betreibt. Die neue Regelung gilt an allen Standorten des Familienunternehmens und soll abschrecken. Zudem werden die Diebstähle wie allgemein üblich angezeigt. Und: Wer beim Klauen erwischt wird, bekommt Hausverbot. Inzwischen ist der gesamte Markt videoüberwacht, wie auf einem Schild am Eingang ausgewiesen wird. Beweismaterial für den Fall, dass sich Stammkunden als Täter oder Täterin entpuppen und wiederkommen.
Ladendiebstahl: Edeka-Händler ergreift drastische Maßnahme
„Vor allem Einkäufe an der Frischetheke mit Fleisch, Wurstwaren oder Käse werden immer häufiger nicht bezahlt, sondern verschwinden direkt in der Einkaufstasche“, sagt Meyer. Nicht selten gehe es dabei um Summen zwischen 50 und 100 Euro pro Paket. Besonders dreist seien die Langfinger in der Grillsaison und vor Feiertagen. Als Beispiel nennt der Kaufmann den Pfingstsonnabend dieses Jahres, an dem in den Meyer-Märkten Frischepakete für insgesamt 1200 Euro nicht bezahlt worden waren. „Die Frischetheke in unseren Märkten ist sehr beliebt, aber es ist auch unsere Achillesferse.“
Das passt zu einem Negativtrend. Egal ob Spirituosen, Sneaker oder Smartphones, die Zahl der Ladendiebstähle ist nach einem Zwischentief während der Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. In Hamburg wurden im vergangenen Jahr 20.074 Fälle angezeigt, ein Plus von knapp 40 Prozent und die höchste Zahl der vergangenen zehn Jahre. Bundesweit meldet die Polizei mit 426.000 Fällen fast ein Viertel mehr Ladendiebstähle als im Vorjahr. Nach dem Strafgesetzbuch kann einfacher Diebstahl mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Tatsächlich kommt es dazu aber sehr selten.
Nach Angaben des EHI, dem Forschungs- und Beratungsinstitut für den Handel, wird nur ein kleiner Teil der Diebstähle angezeigt. „Aus dem durchschnittlichen Schaden aller angezeigten Diebstähle und dem per Inventur festgestellten Warenschwund im Handel ergibt sich, dass jährlich etwa 24 Millionen Ladendiebstähle im Wert von je 117 Euro unentdeckt bleiben, was rund 100.000 Ladendiebstählen je Verkaufstag entspricht“, heißt es.
Ladendiebstähle verursachen Verluste von 2,8 Milliarden Euro
Das Kölner Institut forscht regelmäßig zu Ladendiebstahl und befragt die großen Handelsunternehmen nach ihren Inventurdifferenzen, zum Beispiel ob in den Supermarktregalen mehr Produkte fehlen, als in der Buchhaltung vermerkt sind. Demnach betrug der sogenannte Inventurverlust im Einzelhandel im letzten Jahr 4,8 Milliarden Euro, 2022 waren es noch 4,6 Milliarden. Der Anteil, der den Kunden anzulasten ist, liegt laut der Auswertung bei 2,8 Milliarden Euro.
Auch im E-Center Harburg von Tadeusz Chmielewski ist Ladendiebstahl ein Dauerbrenner. „Es wird mehr“, sagt der Händler. Im Schnitt 60 Ladendiebe im Monat werden in dem Supermarkt auf frischer Tat vom Sicherheitspersonal oder von Beschäftigten entdeckt. Danach laufe ein automatisierter Prozess ab: „Wir erstatten Strafanzeige, erteilen Hausverbot und erheben eine Vertragsstrafe von 100 Euro.“ Allerdings, so seine Bilanz, viel nütze das nicht. „In der Regel werden die Strafanzeigen von der Staatsanwaltschaft eingestellt.“ Auch die Vertragsstrafe lasse sich zivilrechtlich selten eintreiben.
Budni-Chef befürchtet Ladenschließungen wegen Diebstählen
Viele Einzelhändler füllen sich allein gelassen. „Ladendiebstähle sind ein Faktor, der zunehmend Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit einer Filiale hat“, sagt Christoph Wöhlke, Geschäftsführer der Hamburger Drogeriekette Budnikowsky mit etwa 190 Märkten in Hamburg und Umgebung sowie in Berlin. Den Schaden für das Unternehmen beziffert er auf einen Betrag in einstelliger Millionenhöhe im Jahr.
Verübt würden die Taten von Gelegenheitsdieben wie auch von organisierten Banden. Denn, so der Unternehmer, „die Diebe wissen, dass ihnen nichts passiert“. Der Budni-Chef befürchtet, dass es in Deutschland Zustände wie in den USA geben könnte, wo viele Läden vor den Dieben kapitulierten, ihre Geschäfte dichtmachten oder Waren nur noch hinter Glas präsentierten. „Wir fordern von der Politik, dieses Thema und den gravierenden Folgen für Unternehmen, Arbeitsplätze sowie die Versorgung und Entwicklung unserer Stadtteile endlich auf allen Ebenen ernst zu nehmen und langfristige Maßnahmen zur konsequenten Eindämmung zu ergreifen.“
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Ein weiterer Faktor sind SB-Kassen, die in immer mehr Geschäften im Einsatz sind. Edeka-Niemerszein mit neun Supermärkten im Hamburger Stadtgebiet zögert auch deshalb noch beim Einbau. Selbst in gutbürgerlichen Stadtteilen seien Ladendiebe ein gravierendes Problem. „Wir befürchten, dass die Diebstahlquote dann weiter steigt“, sagt Geschäftsführer Frank Ebrecht. Im nächsten Jahr plant der Händler einen Testlauf zunächst in einer Filiale.
Ladendiebstahl an SB-Kassen höher als an normalen Kassen
Zahlen gibt es dazu nicht, aber laut EHI machen SB-Kassen das Betrügen einfacher. Die Handelsexperten gehen davon aus, dass der Diebstahl an Selbstbedienungskassen 20 bis 30 Prozent höher ausfällt als an normalen Kassen. Deutschlandweit gibt es aber bei knapp einer Million Kassen im Einzelhandel bisher nur 20.000 SB-Kassen. Eine große Rolle spielen sie für die steigenden Diebstahlszahlen insgesamt also noch nicht.
Vielmehr macht das EHI einen Post-Corona-Effekt aus: Während der Pandemie wurde deutlich weniger geklaut, jetzt sind die Zahlen auch aufgrund von Wirtschaftskrise, Inflation und steigenden Lebensmittelpreisen wieder deutlich in die Höhe geschnellt. Dazu kommt der Fachkräftemangel: „Je weniger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Laden sind, desto höher die Zahl der Diebstähle“, so Niemerszein-Geschäftsführer Ebrecht.
Ladendiebstahl: Einsatz von Ladendetektiven bei Edeka erhöht
Die Edeka-Kaufmannsfamilie Meyer geht nun konsequent gegen Diebe vor. „Uns bleibt gar nicht anderes übrig“, sagt Chef Jörg Meyer. Insgesamt beziffert er den Verlust pro Standort auf 50.000 bis 80.000 Euro im Jahr. Unter anderem wurde der Einsatz von Ladendetektiven erhöht, und neue Technik spielt eine Rolle. „Wir gucken uns jeden Bon von der Frischetheke an, der nicht bezahlt wurde. In 95 Prozent der Fälle wissen wir, welche Kunden die Waren bestellt und nicht bezahlt haben.“ Auch die Kameraaufzeichnungen würden ausgewertet.
Wiederholungstäter könnten so vom Sicherheitspersonal oftmals ausgemacht werden. In einer Filiale seien durch die Maßnahmen innerhalb von kurzer Zeit 200 Diebstähle aufgedeckt worden. Wo das war, will Meyer nicht verraten. „Aber insgesamt haben wir schon mehr als 100 Hausverbote verhängt.“