Lüneburg/Hamburg. Hamburger Unternehmer und DJ Andreas Quick hat das Geschäft 2020 mit seiner Frau übernommen. Warum die Pleite zum Politikum wurde.
Wenn ein Geschäft aufgibt, passiert das meistens eher leise. Es gibt einen Räumungsverkauf, die Schaufenster leeren sich, irgendwann ist der Laden für immer zu. Beim Modehaus Sellnau in der Lüneburger Innenstadt, hinter dem das Unternehmerpaar Sandra Quick-Fries und Andreas Quick steht, hat die Insolvenzanmeldung und vorstehende Schließung für Wellen bis in die oberste Etage des Lüneburger Rathauses gesorgt. Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch (Grüne) sah sich zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt.
Was ist in der ehrwürdigen Hansestadt los? „Wir haben das Geschäft vier Jahre lang über Wasser gehalten. Aber die laufenden Kosten sind einfach nicht mehr zu decken“, sagt Sellnau-Geschäftsführerin Quick-Fries. Für die wirtschaftliche Schieflage machen sie und ihr Mann die Verkehrspolitik in Lüneburg mitverantwortlich. Zahlreiche Baustellen, neue Fahrradstraßen und immer weniger Parkplätze würden Kunden und Kundinnen abschrecken. „Die Laufkundschaft fehlt.“
Einkaufen in Lüneburg: Modehaus Sellnau schließt nach 39 Jahren
Anfang November hat Quick-Fries Insolvenz für die Sellnau Warenhandels GmbH angemeldet. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde Henning Sämisch von der Hamburger Kanzlei SHNF Rechtsanwälte eingesetzt. Seit Mitte November läuft der Räumungsverkauf in dem Geschäft, an dem Katharina Bakrac, beruflich im Onlinehandel mit Mode zu Hause und Tochter von Ex-Spielerfrau Sabia Boulahrouz, als Co-Gesellschafterin beteiligt ist.
Die Schaufenster in dem historischen Gebäude unweit des Lüneburger Marktplatzes sind so gut wie leer. „50 Prozent Rabatt auf die neue Kollektion“ steht auf einem Plakat an der Scheibe. In der Boutique, in der bis vor Kurzem Kleider, Blusen und Pullover von internationalen Marken wie Versace, Missoni, Diane von Fürstenberg und Twinset dicht an dicht hingen und ein Cashmere-Pullover schon mal 400 Euro kostete, ist das Angebot schon sehr ausgedünnt. Der hintere Verkaufsraum ist komplett leer. „Es ist bitter“, sagt die Sellnau-Chefin über das Aus für das Fachgeschäft, das auch Stars der TV-Soap „Rote Rosen“ eingekleidet habe.
„Rote Rosen“-Stars bei Sellnau eingekleidet
Sellnau gibt es seit 1985. Gründerin Gisela Quick, der das Geschäftshaus an der Bardowicker Straße 4 auch gehört, hatte es zu einer exklusiven Adresse mit bis zu 50 Marken über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht. 2020 übernahmen ihr Sohn und seine Frau die Edel-Boutique, um sie in die nächste Generation zu führen.
Andreas Quick ist kein Unbekannter in Hamburg, unter anderem ist der Unternehmer an der Waschanlage Best Carwash an der Spaldingstraße beteiligt. Ihm gehören der Autoreinigungsservice Cargloss sowie diverse Gewerbeimmobilien in der Region. Außerdem ist der 59-Jährige Teil des DJ-Producer-Teams Housemeisters und hat früher selbst in Hamburger Clubs aufgelegt.
Für Sellnau hatte das Unternehmerpaar große Pläne. Sandra Quick-Fries, die aus der Immobilienbranche kommt, übernahm Geschäftsführung und Einkauf in dem Multibrandshop. Co-Gesellschafterin Katharina Bakrac war für den Onlineshop zuständig. „Aber wir sind mitten in der Corona-Zeit gestartet“, sagt Quick-Fries. Erst habe die Pandemie mit Zwangsschließungen und vielen Auflagen dem Modegeschäft zugesetzt, danach seien die Umsätze in Folge von Ukraine-Krieg, Inflation und Konsumflaute zurückgegangen.
Corona, Inflation und eine Steuerrückzahlung – Insolvenzanmeldung
Nach schwierigen Jahren 2021 und 2022, in denen Sellnau in die roten Zahlen rutschte, lief es 2023 besser. „Die schlechten Zahlen haben wir zu einem Großteil wieder ausgeglichen“, sagt Andreas Quick. Er war vor gut einem Jahr aus der Geschäftsführung ausgeschieden, ist aber weiterhin für die Finanzen zuständig. Dann seien nach einer Prüfung 2024 Steuernachzahlungen fällig geworden. Ein weiterer Faktor: die Rückzahlung der Corona-Hilfen. „Uns war klar, das schafft die Firma nicht“, sagt Quick, der eigenen Angaben zufolge bereits Geld in die Premium-Boutique geschossen hatte. Nach Abendblatt-Informationen geht es bei den Verbindlichkeiten insgesamt um eine Summe im hohen fünfstelligen Bereich. Eine Fortführungsperspektive gibt es demnach nicht.
Dass die Geschäftsschließung jetzt zudem zum Politikum in Lüneburg wurde, hat mit der Kritik der Sellnau-Inhaber an der Verkehrsberuhigung in der Altstadt zu tun, der sie eine Mitschuld am Aus des Fachgeschäfts geben. In einem Bericht der „Lüneburger Landeszeitung“ zitiert der vorläufige Insolvenzverwalter Sämisch Geschäftsführerin Quick-Fries: „Diejenigen, die früher mit dem Auto gekommen sind, kommen heute einfach nicht mehr.“
Lüneburgs Bürgermeisterin weist Kritik der Sellnau-Inhaber zurück
Bürgermeisterin Claudia Kalisch hatte den Zusammenhang daraufhin in einer öffentlichen Erklärung zurückgewiesen. „Da sind viele verschiedene Dinge vermengt und teilweise falsch dargestellt worden“, heißt es darin. So seien nach ihren Angaben in dem betreffenden Gebiet keine Parkplätze weggefallen, auch habe sich die Erreichbarkeit nicht geändert. Auto- und Radfahrende gegeneinander auszuspielen, mache kaum Sinn, da viele Menschen beide Verkehrsmittel nutzten, so die Bürgermeisterin. Sie verweist zudem darauf, dass die Besucherfrequenzen in der Altstadt seit 2022 konstant seien.
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„Dass Geschäfte schließen, hängt in der Regel maßgeblich mit gestiegenen Kosten und dem geänderten Kaufverhalten der Menschen zusammen – Stichwort Strukturwandel und Onlinehandel“, so Kalisch. Allerdings ist die anhaltende Krise des stationären Handels auch in der Lüneburger Innenstadt unübersehbar. Nach einer aktuellen Erfassung stehen derzeit 37 Ladenlokale leer.
Aus nach 39 Jahren: Modehaus Sellnau in Lüneburg schließt
Spätestens ab dem 1. Januar gehören auch die Geschäftsräume von Sellnau dazu. In der Nachbarschaft stehen teilweise schon länger eine Reihe von Läden leer. „Es ist nicht so, dass die Verkehrssituation monokausal zu der Insolvenzanmeldung geführt hat. Aber die Erreichbarkeit spielt eine Rolle“, sagt Sanierungsexperte Sämisch, der selbst aus Lüneburg stammt, auf Abendblatt-Anfrage.
Sellnau-Geschäftsführerin Sandra Quick-Fries bleibt nur, den Räumungsverkauf in den nächsten Wochen zu Ende zu bringen. Alles, was in ihrem Laden ist, habe sie persönlich ausgesucht, sagt sie. „Es fällt nicht leicht, wenn man das jetzt verramschen muss.“ Der Onlineshop ist bereits geschlossen. Noch bis Weihnachten soll das Geschäft geöffnet sein. Einen Nachmieter gibt es derzeit nicht.