Hamburg. Filiale an der Hoheluftchaussee ist der größte hybride Supermarkt Europas. Wie das Shoppen funktioniert. Ein Blick hinter die Kulissen.

Normalweise läuft der Supermarkteinkauf so: Einkaufswagen schnappen, Waren einsammeln, an die Kasse gehen, alles aufs Band legen, danach in die Tasche packen, zum Schluss bezahlen. Das kann dauern. Seit einiger Zeit gibt es in vielen Märkten Selbstscannerkassen, in anderen kann man die Waren direkt am Regal selbst erfassen. Kann auch nerven, vor allem bei einem größeren Einkauf. Der Lebensmittelkonzern Rewe macht jetzt den nächsten Schritt zum Einkaufen ohne Kasse.

Reingehen, Einpacken, Rausgehen: In Hamburg startet an der Hoheluftchaussee der europaweit größte hybride Supermarkt, in dem sowohl klassische Bezahlmethoden als auch ein kassenloser Check-out möglich sind. Hinter dem Pick&Go-Testmarkt steckt eine neuartige Technologie, für die in den vergangenen Monaten Kameras und Sensoren in dem Verkaufsraum installiert worden sind. Zur Eröffnung am Mittwoch wurden der Hamburger Unternehmer Ralf Dümmel, bekannt aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“, erwartet sowie Rewe-Nord-Chef Jochen Vogel.

Einkaufen ohne Kasse: Rewe startet Supermarkt der Zukunft

Das Abendblatt hatte schon vorher exklusiv die Möglichkeit, die Einkaufswelt der Zukunft auszuprobieren. „In den vergangenen Wochen haben Kunden und Kundinnen immer wieder gefragt, wann es losgeht“, sagt Marktleiter Joschua Zimmermann. Er steht am Eingang des Supermarkts, der erst im März nach einem kompletten Umbau wiedereröffnet worden war, gemeinsam mit Pick&Go-Projektleiterin Jana Sanktjohanser. „Wir können direkt loslegen“, sagt die 39-Jährige.

Einkaufswagen oder Korb? Braucht man für Pick&Go nicht. Allerdings müssen Kunden und Kundinnen, die sich den Gang zur Kasse sparen wollen, eine spezielle App installieren, in der man ein Konto mit den üblichen Angaben wie Wohnadresse, Mailadresse und Zahlungsart erstellen muss. Danach packt man die gewünschten Artikel in die Tasche.

REWE Pick&Go
An der Hoheluftchaussee wandelt sich der klassische Rewe-Markt in einen hybriden Supermarkt, in dem ein kassenloser Check-out möglich ist. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Einkaufswagen ade, Waren direkt in die Tasche

Grapefruit und Ingwer, Spaghetti und Kaffee, Joghurt sind schnell zusammengesucht und verstaut. Das fühlt sich ziemlich ungewohnt an. Denkt gerade jemand, dass man die Lebensmittel klauen will? Tatsächlich sind in dem 1200 Quadratmeter großen Verkaufsbereich mehrere Hundert Kameras installiert, die den Einkauf erfassen und direkt in die Software übertragen. Dahinter steht ein 3-D-Modell des Markts. „Wir wissen auf den Zentimeter genau, wo was steht. Alle Regale sind mit Sensoren ausgestattet, die bei der Entnahme die Gewichtsveränderung registrieren“, erklärt Rewe-Projektleiterin Sanktjohanser das System des israelischen Start-ups Trigo Vision.

REWE Pick&Go
Obst und Gemüse werden weiterhin abgewogen. Den Preisaufkleber braucht man nicht mehr, der Posten wird erfasst und landet direkt im virtuellen Warenkorb. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Weiter zur Frischetheke. Auch dort funktioniert Pick&Go, wenn man sich in einem extra ausgewiesenen Bereich anstellt. Verkäuferin Gabriela Korff schneidet das gewünschte Stück Käse vom Laib, verpackt es wie gewohnt, scannt den Bon – zack, auch dieser Posten landet im virtuellen Warenkorb. Zum Schluss soll es noch ein Weißwein sein. Normalerweise ist das bei Selbstbedienungskassen der Augenblick, in dem ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin einen Alkoholeinkauf für über 18-Jährige freigeben muss.

REWE Pick&Go
An der Frischetheke scannt Rewe-Mitarbeiterin Gabriela Korff den Bon ein, der ebenfalls in den virtuellen Warenkorb übermittel wird. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

„Das fällt bei Pick&Go weg“, sagt Marktleiter Zimmermann. Beim Einrichten der App wird das Alter einmal durch einen Beschäftigten verifiziert. Aus Sicht des 33-jährigen Kaufmanns ist das ein weiterer Pluspunkt für den Testlauf in seinem Markt. Die Klientel sieht er vor allem in eiligen Kunden, die etwa nach Feierabend schnell noch etwas besorgen wollen. Aber auch für die Beschäftigten sei es eine Verbesserung. „Mit der Entlastung in der Kassenzone habe man mehr Zeit für Beratung, Sortimentspflege und Service.“ Bedenken, dass der nächste Digitalisierungsschritt zu Personalabbau führt, weist er als unbegründet zurück. „Im Gegenteil, das Team ist von 45 Beschäftigten auf 50 gewachsen.“

Ein heikles Team ist der Datenschutz. Schon draußen an der Fassade weisen Schilder auf den Kameraeinsatz hin, auch im Verkaufsraum hängen Schilder. Laut Rewe werden die Einkäufe datensparsam erfasst. „Wir filmen die Kunden nicht. Weder findet eine Gesichtserkennung statt, noch kann das System Personen nach einem Besuch wiedererkennen“, sagt Projektleiterin Sanktjohanser. Erfasst werden demnach schematische Merkmale, Bewegungspunkte und Interaktionen, ein bisschen wie Strichfiguren.

Reklamationen sind über die App möglich

Wie sonst auch endet die Einkaufstour mit dem digitalen Einkaufskorb im Kassenbereich. Nur dass man ähnlich wie in der Fastlane am Flughafen einfach nur mit dem QR-Code auscheckt. Das war’s. Keine Warteschlange an der Kasse, kein Einscannen von Waren. Die Abrechnung erfolgt automatisch. Einige Minuten nach dem Verlassen des Ladens ploppt eine Nachricht mit dem Bon für den Einkauf auf. Darüber sind auch eventuelle Reklamationen möglich.

REWE Pick&Go
An der Kasse haben die Kunden die Wahl: Fastlane, Scannerkassen oder ganz klassisch zur Kassiererin. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Im Rewe-Markt an der Hoheluftchaussee gibt es nach dem Umbau nur noch eine klassische Bandkasse mit Kassiererin. „Es gibt ja auch Kunden, die die gewohnten Bezahlprozesse beibehalten wollen“, sagt Marktleiter Zimmermann. Dazu kommen sechs Selbstbedienungskassen. Besonderheit: Drei davon sind mit der Pick&Go-Technologie ausgestattet, die das Bezahlen ohne Einscannen und App ermöglichen.

„Der heutige Tag markiert einen Meilenstein: für unsere Kunden und Kundinnen, denen wir den Einkauf so einfach wie nie zuvor gestalten, und für uns als Rewe Region Nord“, erklärte Regionalchef Jochen Vogel zu dem Start des hybriden Marktes in Hamburg. „Smart Shopping“, wie die digitale Bezahloption in der Fachsprache heißt, ist schon länger ein Trend im Lebensmittelhandel. Zuletzt haben etwa mehrere kassenlose Mini-Supermärkte eröffnet, die vor allem in ländlichen Regionen und Tourismusspots im Einsatz sind.

Mehr Wirtschaftsthemen

In Hamburg gibt es seit 2022 den kassenlosen Supermarkt Hoody am Eppendorfer Baum. Dahinter steckt das Start-up Autonomo. Offenbar läuft der Mini-Testmarkt, der anders als der neue Rewe-Testmarkt rund um die Uhr geöffnet ist. „Hoody ist profitabel“, hatte Mitgründer James Sutherland im Herbst im Abendblatt gesagt. Auch Edeka-Kaufmann Jörg Meyer, der in Hamburg und zwischen Stade und Sylt diverse Supermärkte und Frischecenter betreibt, hatte sich für die Autonomo-Technologie entschieden und sieht weiteres Potenzial in Hamburg.

Einkaufen ohne Kasse: Rewe eröffnet zweiten Testmarkt im Schanzenviertel

Rewe experimentiert schon länger mit der Pick&Go-Technologie. Der Markt an der Hoheluftchaussee ist nach Berlin, München, Köln und Düsseldorf der fünfte Teststandort. In der Hansestadt steht der zweite Markt in den Startlöchern: Im Schanzenviertel an der Ecke Altonaer Straße/Amandastraße soll nach dem Sommer das System auf mehr als 900 Quadratmetern Verkaufsfläche verfügbar sein. Der Markt wurde Mitte Juni nach Umbau wiedereröffnet und befindet sich derzeit im Testbetrieb.