Hamburg. Regen ist ihr Lieblingswetter: Wie sich Schirmhändlerin Meike Vertein gegen Online-Shops und Billigware aus Drogerien durchsetzt.
Je höher die Niederschlagswahrscheinlichkeit, desto besser ist die Laune von Meike Vertein. Die 36-Jährige betreibt Hamburgs einziges Fachgeschäft für Regenschirme. Mitten in der Innenstadt verkauft Vertein nicht nur Schirme, sie baut und repariert diese auch. Ihr Laden „Schirm und Co.“ hat Tradition: Seit 1876 bewahrt ihre Familie Menschen aus Hamburg und Umgebung vor dem typischen Schietwetter.
Schirm und Co.: Das Geheimnis eines Hamburger Kultladens
Regenbogenfarben soll er sein: der Schirm, den eine hereinkommende Kundin sucht. Vor mehr als zehn Jahren habe sie hier genau so einen gekauft. Und der soll es jetzt wieder sein. Meike Vertein spannt unterschiedliche Modelle auf und zeigt der Kundin eine Variante mit geschwungenem, eine mit geradem Griff. Die Kundin wirkt unsicher. „Schauen Sie doch einmal nach, ob Sie ein Foto vom Schirm wiederfinden“, schlägt Vertein vor. „Und dann kommen Sie noch einmal her.“
Bis zu 45 Menschen kaufen bei Regenwetter im Laden, der mitten in Hamburgs Innenstadt am Gertrudenkirchhof liegt. „Gutes Wetter“, heißt das bei Vertein. Schlechter läuft es, wenn die Sonne scheint. Dann hat sie etwa 14 zahlende Kunden am Tag. Die Schirmherrin lacht. „Meine Freundinnen sagen: Wenn sie nach vier Wochen Dauerregen gute Laune haben wollen, rufen sie mich an.“
Der Umsatz bei Schirm und Co. hängt massiv vom Wetter ab
Denn nicht nur die Laune der Fachhändlerin hängt von der Menge des Niederschlags ab, sondern auch ihr Erlös. Je nach Wetter setzt sie zwischen 200.000 bis 300.000 Euro im Jahr um. Den Laden betreibt sie nicht allein: Ihre Mutter Carola Vertein ist offiziell Geschäftsführerin. Außerdem arbeitet hier ihr „Bonus-Papa“, wie sie ihn nennt. „Und meine Tante macht die Buchhaltung.“
Vor fast 150 Jahren fing der Großvater ihres Großvaters unter „Schirm Eggers“ mit der Produktion an, seit 2005 arbeitet Meike Vertein als sechste Generation selbst mit. Nachdem Schirm Eggers zwischenzeitlich elf Filialen in Hamburg und Umgebung hatte, konzentrierte sich ihr Großvater nur noch auf den Laden in der Innenstadt. Hier mieten sie seit 1992 die Geschäftsräume mit rund 50 Quadratmetern Ladenfläche. „Wir haben zum Glück noch einen alten Mietvertrag“, sagt die 36-Jährige und lächelt verschmitzt.
Warum es bei Schirm und Co. keine Sonnenschirme gibt
„Ah, hier gibt es genug Schirme“, sagt die nächste Kundin, als sie das Geschäft betritt. 4000 Schirme sind auf der Ladenfläche in den Auslagen, in Regalen und an der Decke drapiert. Außerdem verkauft Vertein Gehstöcke, Portemonnaies, Gürtel – und mittlerweile auch Sonnenhüte und Fächer. Sonnenschirme gibt es keine. „Das lohnt sich aktuell noch nicht.“
Die Kundin möchte einen kleinen Schirm für ihre Handtasche kaufen. Vertein berät sie zu Griffform und Farbe. „Wenn es regnet, ist es dunkel genug, da werden sie mit einem hellen Schirm im Straßenverkehr besser gesehen“, sagt die Expertin für Regenschutz. Die Frau entscheidet sich für ein Modell der Marke „Sturmtrotz“, lässt aber den Plastikgriff durch einen aus Holz austauschen. 75 Euro kostet alles zusammen.
So viel kosten Regenschirme aus eigener Herstellung
Bei Schirm und Co. gibt es günstige Modelle ab zehn Euro – das teuerste mit Griff aus Krokodilleder kostet 1200 Euro. Die Schirme, die Vertein auf einer Werkbank hinter der Ladentheke selbst baut, gehen in der Regel für 120 bis 160 Euro über den Ladentisch. Dafür haben sie auch eine Lebensdauer von dreißig Jahren.
Die Gestelle aus Federstahl bezieht die Regenschirm-Bauerin aus Italien. Für den Bezug können Kundinnen und Kunden aus Polyesterstoffen und hochwertigeren Baumwoll- oder Krawattenstoffen wählen. „Die acht Bahnen Stoff können wir farblich kombinieren, wie wir lustig sind“, sagt Vertein. Wenn sie konzentriert arbeite, brauche sie für einen Regenschirm rund 90 Minuten.
Schirm und Co.: „Wer billige Schirme verkauft, wird reich“
Immer wieder betritt Kundschaft den Laden. Vertein erklärt ihnen die Vor- und Nachteile verschiedener Modelle auf fast schon komödiantische Weise. Ein guter Service sei sehr wichtig, sagt die Schirmherrin. Vor allem aber rate sie ihren Kundinnen und Kunden zu Qualität: „Ich vergleiche das immer mit einem hochwertigen Kugelschreiber: Davon kauft man einen und passt gut darauf auf.“
Von Billig-Schirmen aus Drogerien wie Rossmann oder Budni hält Vertein nicht besonders viel – trotzdem repariert sie diese in ihrem Geschäft. „Wer billige Schirme verkauft, wird reich“, davon ist die Fachhändlerin überzeugt. Ihr Anspruch an die Schirme, die sie baut, ist ein anderer: Sie sollen möglichst lange halten. „Das ist ja auch viel nachhaltiger.“
Wie sich das Hamburger Traditionsunternehmen gegen Billig-Schirme durchsetzt
Doch von dieser Qualität zu leben, ist nicht leicht. Ihre Stammkunden kommen manchmal nur alle zehn Jahre. Die Fachfrau setzt unter anderem auf ihren Reparaturservice. „Ich bin der Magnet für die Hamburger Innenstadt“, sagt Vertein überzeugt. Wer sich vornehme, einen Regenschirm reparieren zu lassen, komme extra zu ihr – und erledige dann weitere Einkäufe.
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Die meisten Kunden kommen persönlich in ihr Geschäft. Wenn es regnet, begrüßt sie besonders viel Laufkundschaft. Außerdem ist ihr Laden verkehrsgünstig gelegen. Etwa sechs Minuten Fußweg sind es vom Hauptbahnhof in die Rosenstraße. Das nächste Parkhaus liegt keine vierzig Meter entfernt. Nur einen geringen Anteil ihres Umsatzes mache sie online, sagt Vertein. Den entsprechenden Shop hat die 36-Jährige in der Corona-Zeit selbst aufgebaut.
Auch wenn sie mit ihrem Umsatz zufrieden ist: Zum Siebenschläfertag am 27. Juni hat sich die Fachhändlerin vorsorglich Regen gewünscht: Nach einer alten Bauernregel bestimmen die Verhältnisse an diesem Tag das Wetter der kommenden sieben Wochen. In diesem Jahr wurden Temperaturen von 30 Grad durch Starkregen abgelöst. Das wäre für viele Hamburgerinnen und Hamburger kein leichter Sommer – für Schirm und Co. aber ein besonders umsatzstarker.