Hamburg. Am Eppendorfer Baum wird die Technologie seit 2022 erprobt. Hamburger Start-up gewinnt große Tankstellenkette als Kunden dafür.

Bei Hoody geht es an diesem späten Vormittag mitten in der Woche ziemlich ruhig zu. Genau genommen ist gar nichts los in dem kleinen Lebensmittelgeschäft am Eppendorfer Baum. Im Supermarkt, einige Hundert Meter entfernt, bilden sich zu Beginn der Mittagspause indes erste Kundenschlangen vor den Kassen. Bei Hoody kann das nicht passieren. Dort geht Einkaufen so: reingehen, einpacken, rausgehen, das Bezahlen geschieht automatisch. Alles ohne Warteschlange. Trotzdem lässt sich eine Viertelstunde lang kein einziger Kunde blicken. Ist Hamburgs erster Supermarkt ohne Kassen gut ein Jahr nach der Eröffnung ein Flop?

Nein, im Gegenteil, sagt James Sutherland, der Chef des Hamburger Start-ups Autonomo. So heißt das Unternehmen, das hinter dem Eppendorfer Laden mit den vielen Kameras unter der Decke steht. „Hoody ist profitabel.“ Nur ist das bei der Frage nach Erfolg oder Misserfolg gar nicht der entscheidende Punkt für Sutherland und den Autonomo-Mitgründer und ehemaligen Real-Chef Patrick Müller-Sarmiento.

Edeka in Hamburg: Jörg Meyer plant Supermarkt ohne Kassen

Der Mini-Supermarkt ist das Reallabor, in dem Autonomo seine Technologie für sogenannte autonome Stores ohne Personal und Kassen im Alltagseinsatz testet und weiterentwickelt. „Wir sind kein Lebensmittelhändler, sondern ein Software-Unternehmen. Wir wollen die Technologie vermarkten“, sagt Sutherland, ein US-Amerikaner mit Harvard-Abschluss. Und das scheint zu klappen. Hamburgs erster Supermarkt ohne Kassen wird bald einen Nachfolger in der Hansestadt bekommen.

Der selbstständige Edeka-Kaufmann Jörg Meyer, der in Hamburg und zwischen Stade und Sylt diverse Supermärkte und Frischecenter betreibt, hat sich schon vor einigen Monaten für die Autonomo-Technologie entschieden. Gemeinsam mit Deutschlands größter Supermarktkette will er sie nun ebenfalls in einem rund um die Uhr geöffneten Laden nach dem „Pick and Go“-Prinzip ausgiebig testen. Für das Edeka-Geschäft ohne Kassen biete sich das „Umfeld eines unserer Märkte an“, sagt er.

Edeka-Kaufmann Jörg Meyer mit einem intelligenten Einkaufswagen. Nächstes Jahr will er in Hamburg ein vollautomatisches Lebensmittelgeschäft ohne Kassen eröffnen.
Edeka-Kaufmann Jörg Meyer mit einem intelligenten Einkaufswagen. Nächstes Jahr will er in Hamburg ein vollautomatisches Lebensmittelgeschäft ohne Kassen eröffnen. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Funke Foto Services

Das Projekt sei schon „relativ weit“ gediehen, und Meyer hat bereits sehr konkret einen Standort in Hamburg im Blick. Weil letzte Details noch zu klären sind, will er mehr dazu derzeit nicht preisgeben. Nur so viel: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir da 2024 etwas auf die Beine stellen werden.“

Meyer denkt jedoch eher in Größenordnungen von 200 bis 250 Quadratmeter Verkaufsfläche. Dort soll es nach seinen Vorstellungen neben Basisprodukten wie Molkerei- und Backwaren, Getränken, abgepackter Wurst und Käse ein größeres Angebot von Convenience-Artikeln wie Sandwiches, Wraps und hochwertigen Fertiggerichten geben, die schnell und bequem erwärmt werden können. „In den Niederlanden sind sie da schon sehr viel weiter als hierzulande“, weiß Meyer. Er ist gerade zurück aus Südkorea. Dort hat er sich hochautomatisierte Schnell-Gastronomie-Konzepte angesehen.

Edeka in Hamburg: Supermarkt ohne Kassen – Digitalisierung im Lebensmittelhandel

Die Liste der Gründe für eine Digitalisierung des Lebensmittelhandels ist lang: Personalmangel, stark gestiegene Betriebskosten der herkömmlichen Märkte, ein wachsender Anteil von Singlehaushalten, verändertes Kaufverhalten. „Wir müssen jetzt schnell agieren“, sagt Meyer.

Bei Hoody bekommen Kunden inzwischen auch mit der Kredit- oder EC-Karte Zutritt zum Laden und können damit automatisch zahlen. Das ist das wichtigste Detail, das Autonomo verändert hat. Anfangs musste man zwingend eine Smartphone-App herunterladen und die Kontodaten hinterlegen. Auch der Pick-and-Go-Pionier Amazon Go und mehrere andere Technologie-Anbieter halten es mittlerweile so.

Hoody bietet Einkäufern auch mit Kreditkarte statt App Zutritt zum Laden

In der Branche wurde schon geunkt, Kunden, die zu faul zum Bezahlen seien, seien wohl auch zu faul, um die App herunterzuladen und sich zu registrieren. James Sutherland hat eine andere Erklärung für die zusätzliche Option: „Stammkunden nutzen meist die App, mit der Kreditkarten-Funktion öffnen wir uns auch für Laufkundschaft, die den Laden nicht gezielt ansteuert.“

Aufgegeben hat Hoody den Anspruch, ein Biomarkt mit einigen wenigen regionalen Nicht-Bio-Produkten zu sein. „Anfangs war das Sortiment zu 100 Prozent bio, jetzt sind wir bei 95 Prozent und führen auch Red Bull, Coca-Cola und Schokoriegel“, sagt Sutherland. Die Kunden hätten es so gewollt. Andere wünschen sich im Gästebuch, dass bei Hoody im Eingang ausliegt, „Hafermilch, die nicht nach Wasser schmeckt, sondern nach Hafer“.

Einkauf in Hamburger Supermarkt: Kameras erkennen, welche Artikel der Kunde kauft

Bei Autonomo haben sie seit der Hoody-Eröffnung im August vergangenen Jahres viel darüber gelernt, wann und wie viel die Kunden von den etwa 600 unterschiedlichen Artikeln im Sortiment einkaufen. Der Einkaufswert betrage zumeist zwischen 7 und 15 Euro, sagt Sutherland. Genau ermittelt wird das von den Kameras an der Ladendecke. Sie erfassen, welcher Kunde welchen Artikel aus dem Regal nimmt – und auch, ob er ihn tatsächlich einsteckt oder zurück ins Regal stellt. Minuten nach dem Einkauf erscheint in der App der Einkaufsbon.

Die Autonomo-Gründer James Sutherland (l.) und Patrick Müller-Sarmiento im Hoody-Laden. Das Start-up betreibt das Lebensmittelgeschäft am Eppendorfer Baum.
Die Autonomo-Gründer James Sutherland (l.) und Patrick Müller-Sarmiento im Hoody-Laden. Das Start-up betreibt das Lebensmittelgeschäft am Eppendorfer Baum. © Autonomo | Autonomo

„Abends und am Wochenende sind mehr Kunden im Geschäft. Dienstags und mittwochs ist der Umsatz weniger gut. Wir haben keine Ahnung, warum ausgerechnet an diesen Tagen“, sagt Sutherland. In der Regel sind die Artikel bei Hoody teurer als im normalen Supermarkt. Mal 10 Cent, mal 50, mal 1 Euro.

Und nachts steigen die Preise für alkoholische Getränke wie Bier und Wein in Richtung Kioskniveau, sie sollen allerdings unter dem Tankstellenpreis bleiben. Flexibel sind die Preise auch nach unten. „Wir denken gerade darüber nach, Kernprodukte wie Butter, Milch, Eier um die Mittagszeit günstiger zu machen, um Menschen zu erreichen, die tagsüber zu Hause sind“, so der Autonomo-Chef.

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Edeka-Kaufmann Meyer sieht genug Potenzial für weitere autonome Lebensmittelgeschäfte in der Stadt. „In Stadtteilen wie Eppendorf und Winterhude wird man so was problemlos profitabel betreiben können. Wichtig ist, dass der Einkauf für die Kunden einfach und zuverlässig rund um die Uhr möglich ist.“ Deshalb hat er seinen anfänglichen Plan, einen kassenlosen Laden in Wenningstedt auf Sylt zu schaffen, zu den Akten gelegt. Dort hätte das Geschäft nicht rund um die Uhr geöffnet sein dürfen – und hätte außerhalb der Saison wohl ohnehin nur wenig Umsatz erzielt.

Jörg Meyer ist nicht der Einzige, den Autonomo inzwischen für seine Pick-and-Go-Technologie gewonnen hat. Sie werde künftig auch von „einer großen Tankstellenkette mit mehreren Hundert Stationen in Deutschland“ genutzt. Voraussichtlich noch in diesem Jahr werde der erste autonome und rund um die Uhr geöffnete Einkaufsshop auf einer Tankstelle in Betrieb gehen, sagt Sutherland. Konkreter kann und will er nicht werden. Auch nicht zu der Kette von mittelgroßen Lebensmittelläden, die die in Deutschland entwickelte Technologie nach seinen Angaben künftig einsetzen will.

Hoody in Hamburg: Testladen bleibt am Eppendorfer Baum

Und was wird aus dem kleinen Hoody-Laden? „Wir investieren ständig in neue technische Ausstattung und testen dort Weiterentwicklungen, bevor wir sie unseren Technologiekunden anbieten“, sagt James Sutherland. Er versichert: „Wir haben keine Pläne, den Store zu schließen.“ Hoody ist an den Eppendorfer Baum gekommen, um mindestens vorerst zu bleiben – auch wenn es im Laden manchmal ziemlich einsam ist.