Hamburg. Präsident Andreas Bartmann fürchtet weiteres Ladensterben in der Hamburger Innenstadt und vermisst eine attraktive Anbindung zur HafenCity.

Über der Mönckebergstraße glitzert die Weihnachtsbeleuchtung, in den Schaufenstern der Geschäfte locken Rabatte, und alle paar Meter gibt es an Hunderten Marktbuden Glühwein, Schmalzgebäck und Christmashits. Es ist ordentlich was los in der HamburgerInnenstadt in diesen letzten Tagen vor dem Fest. Passanten und Weihnachtsshopper mit Einkaufstüten eilen durch die Straßen. „Der Eindruck stimmt, die Stadt ist voll“, sagt Andreas Bartmann, der Präsident des Handelsverbands Nord. „Aber die Menschen kommen deutlich weniger zum Einkaufen in die Stadt. Für die meisten Einzelhändler fällt das Weihnachtsgeschäft in diesem Jahr aus.“

Nun sind düstere Prognosen aus dem Handel seit einigen Jahren der Normalfall. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation und als Folge all dessen: eine anhaltende Konsumflaute oder zumindest Konsumverlagerung. Aber so hoffnungslos wie in diesem Jahr haben die Händler sehr lange nicht mehr ins nächste Jahr geschaut. „Wir kommen im Weihnachtsgeschäft nicht an das Niveau heran, das wir erwartet haben“, sagt Bartmann, der auch Geschäftsführer des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter ist.

Zwar ergebe sich durch die Preissteigerungen ein Umsatzplus von etwa zwei Prozent in Hamburg. „Das wird aber inflationsbereinigt aufgefressen, sodass wir ein reales Umsatzminus von mindestens vier Prozent erwarten.“ Ob es noch höher ausfällt, wird sich in der Woche zwischen den Jahren zeigen.

Maues Weihnachtsgeschäft: Hamburger Einzelhandel unter Druck

Das ist kein Hamburger Phänomen, aber anders als in der Vergangenheit trifft das schwache Weihnachtsgeschäft auch die Hansestadt mit Wucht. Von der Modeboutique bis zum Heimwerkerbedarf, auch der Onlinehandel kann das nicht mehr auffangen. „Es gibt keine Branche, die Hurra schreit“, sagt der Handelsexperte, der auch Vizepräsident des Handelsverbands Deutschland ist.

Immerhin: Etwas besser laufen die Geschäfte in den Stadtteilzentren, die seit der Pandemie mit vielen Restriktionen und vor allem mehr Arbeit im Homeoffice eine Renaissance erleben. „Dort gibt es mehr zufriedene Händler als in der City“, sagt der 64-Jährige.

Klar ist: Spätestens mit dem Beginn der Pandemie ist die gut geölte und auf Wachstum eingestellte Maschinerie des Einzelhandels gehörig ins Stottern geraten. Beschaffungs- und Lieferketten funktionieren nicht mehr wie früher, genau wie die Prognosen, was wann gekauft wird. „Es gab noch nie einen so großen Warenbestand im Handel und in den Geschäften“, so Bartmanns Befund. Er sagt auch: So viel wie im Moment sei noch nie so frühzeitig abgeschrieben worden.

Präsident des Handelsverbands Nord befürchtet Ladensterben in Hamburger City

Da wird nicht am Black Friday mit hohen Rabatten rausgehauen, was möglich ist. „Online-Newsletter sind das Fieberthermometer der Branche“, sagt Bartmann. Die sich überbietenden Preisnachlässe bezeichnet er „als wirtschaftlichen GAU“. Kurzfristig gut für den Kunden, aber langfristig nicht auskömmlich und überlebensfähig für die Betriebe.

Die Folgen der Misere zeichnen sich schon länger ab: Ladenschließungen, Leerstände. Und weiterer Schwund ist programmiert. Der Präsident des Handelsverbands erwartet ein weiteres Ladensterben in Hamburg, auch und gerade in der Innenstadt. „Wir werden im nächsten Jahr Geschäfte im niedrigen zweistelligen Prozentbereich verlieren“, sagt er. Auf absolute Zahlen will Bartmann sich nicht festlegen, aber vor allem für Anbieter mit größeren Flächen werde es immer schwieriger.

Bartmann: Vielfalt und Qualität in Hamburger City rückläufig

Gemeint sind in Mönckebergstraße Kaufhäuser wie Kaufhof und Karstadt Sports, die schon geschlossen haben und auch nach mehr als drei Jahren leer stehen beziehungsweise über das städtische Programm Frei_Fläche subventioniert und nicht mehr kommerziell genutzt werden. Gemeint ist auch der Modehändler C&A, der sich deutlich verkleinert hat, oder die Schuhkette Görtz, die im Zuge des inzwischen abgeschlossenen Insolvenzverfahrens die Zahl der Filialen in Hamburg halbiert hat. Allein in der City sind im vergangenen Jahr zwei Standorte geschlossen worden. „Die Angebotsvielfalt und die Qualität sind zurückgegangen.“

Bartmann macht sich inzwischen große Sorgen um die Hamburger Innenstadt. Vor allem, wenn das Westfield-Überseequartier in der HafenCity im Frühjahr 2024 eröffnet. „Das wird ein tolles Einkaufszentrum.“ Aber es werde auf Kosten des heutigen Geschäftszentrums zwischen Hauptbahnhof und Gänsemarkt gehen. „Die Umsätze, die künftig dort gemacht werden, müssen ja irgendwoher kommen.“ Besonders sauer macht ihn, dass es trotz jahrzehntelanger Diskussionen nicht gelungen sei, eine attraktive Anbindung zwischen den beiden Geschäftszentren zu schaffen. „Es ist das totale Versagen der Politik“, sagt der Präsident des Handelsverbands Nord.

Mehr Wirtschaftsthemen

An Ideen mangelte es dabei nicht: Diskutiert wurden schon Seilbahn, Highline nach New Yorker Vorbild und Cablecars wie in San Francisco. Passiert ist nichts. Auch die 2022 mit hohen Erwartungen eingesetzte Innenstadtkoordinatorin scheitere nach positivem Start an der konkreten Umsetzung. „Es reicht nicht, den Domplatz ein bisschen aufzuhübschen“, sagt der Handelsverbandspräsident. „Auch ein breiter Boulevard und ein paar Blumenkübel am Jungfernstieg werden unsere Innenstadt nicht retten.“ Dazu kommt: Selbst wenn das, was an städtebaulichen Veränderungen geplant sei, umgesetzt würde, dauere es Jahre. Aber diese Zeit gebe es nicht mehr.

Es braucht neue Konzepte, im Großen wie im Kleinen. Die Signa-Pleite sei ein neuerlicher Schlag für die Hamburger Innenstadt. Zwar ist Bartmann optimistisch, dass die betroffenen Handelshäuser Galeria Karstadt, SportScheck und das Alsterhaus eine gute Fortführungsperspektive haben. Aber stagnierende Baustellen, wie etwa die Signa-Immobilie Alsterarkaden/Neuer Wall, in der unter anderem eine große Filiale des Edel-Juweliers Wempe beheimatet ist, seien wie „schmerzende Wunden“ im Stadtbild. Und es ist nicht die einzige.

Handelsverbandspräsident: Ein totales Versagen der Politik

„Wir sind im Vergleich zu Ende vergangenen Jahres bei den Lösungen der Probleme nicht weitergekommen“, konstatiert der Präsident des Handelsverbands Nord. Schlimmer noch: „Wir sind ganz unten im Tal angekommen.“

Dabei ist er sich der unternehmerischen Verantwortung jedes einzelnen Händlers bewusst. Aber die Politik habe die versprochene Hilfestellung, die der ehemalige Hamburger Bürgermeister und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem Handschlag besiegelt habe, nicht gegeben. „Dass seitdem nichts passiert ist, bereitet in der City gerade große Probleme.“