Hamburg. Kamila Wolak hat einen der härtesten Jobs vor den Festtagen. Das Abendblatt begleitete die Paketbotin in der Hamburger City.
Jetzt nicht den Überblick verlieren. Kamila Wolak öffnet schwungvoll die Hecktür des gelben DHL-Transporters und zieht die ersten Pakete aus einem Regal im Innenraum. Gerade hat sie sich energisch einen Parkplatz in der Lieferzone der Mönckebergstraße in der Hamburger Innenstadt gesichert. „Ich arbeite mich ganz systematisch Hausnummer für Hausnummer weiter“, sagt die Paketbotin und stapelt Kartons, Tüten und Boxen auf einer Sackkarre. Das Programm auf ihrem Smartphone zeigt ihr, dass sie ein knappes Dutzend Sendungen an der Adresse Mönckebergstraße 31 zustellen soll.
Los geht‘s. Obwohl das Wort gehen hier untertrieben ist, so eilig wie die 26-Jährige auf das Kontorhaus an der Einkaufsstraße zusteuert. „Ich bin immer schnell“, sagt Kamila Wolak. Das muss sie auch. An diesem Dezembertag hat sie fast 200 Pakete im Wagen, die bis spätestens 16 Uhr beim Empfänger sein müssen. Jetzt, kurz vor Weihnachten, ist das der ganz normale Paket-Wahnsinn. Bis zu 11 Millionen Sendungen werden jeden Werktag in Deutschland mit DHL verschickt, fast doppelt so viele wie normalerweise.
DHL-Paketbotin: Einer der härtesten Jobs vor Weihnachten
Von wegen der Weihnachtsmann hat viel um die Ohren! Auch Paketbotin Kamila Wolak ist Weihnachten am Limit. Sie hat gerade einen der härtesten Jobs in der Stadt. Kurz vor 8 Uhr ist sie an diesem Morgen an der DHL-Paketzustellbasis an der Wilhelm-Siemens-Straße in Billbrook angekommen, um 8.10 Uhr fing ihre Schicht an. Da war es noch dunkel. Einige Minuten später steht die Zustellerin in schwarz-rot-gelbem DHL-Sweater vor einem riesigen Berg von Päckchen und Paketen in der Pakethalle: große und kleine, dünne und dicke, die meisten aus braunem Pappkarton. Aber es gibt auch einige bunt glänzenden Weihnachtsverpackungen. Man kann sich nur wundern, dass sie so ruhig bleibt.
„Die Pakete werden in der Nacht mit großen Lastwagen angeliefert“, sagt Heiner Kohs. Der 31-Jährige ist stellvertretender Chef der Zustellbasis in einem großen Industriegebiet und zuständig für 53 Zustellbezirke in der Mitte der Stadt. An diesem Tag sind mehr als 13.000 Sendungen avisiert. Während die Pakete über lange Förderbänder in die Pakethalle in der Größe eines Fußballfelds transportiert werden, dort nach den Adressen sortiert und über große Rutschen den jeweiligen Touren und ihren Fahrern zugeteilt werden, trifft er schnell noch einige Absprachen mit den Zustellern. Der Ton: freundlich, locker trotz der anstehenden Mengen. Hier weiß jeder, was zu tun ist.
Kamila Wolak ist die einzige Frau unter den mehr als 100 Beschäftigten im Billbrooker DHL-Standort. Ihren Elektro-Transporter hat sie vor dem Ladetor geparkt. Spätestens um 9.30 Uhr startet ihre Tour. Dann kommt die nächste Schicht, zweite Welle nennen sie das bei dem Logistikkonzern. An manchen Tagen gibt es auch noch eine dritte Welle.
Aber dafür muss Kamila Wolak die riesige Menge an Paketen und Päckchen vor sich in ihren Wagen geladen haben. Das bedeutet für die Frau mit den aufwendig manikürten Fingernägeln: jede einzelne Sendung in die Hand nehmen, Adresse einscannen und auf eines der Regale wuchten. Manche Kartons sind leicht, andere ziemlich schwer. Wenn Weinflaschen drin sind, zum Beispiel. Verschickt werden auch Computer, Monitore, Briefpapier – im Prinzip alles, was man sich vorstellen kann.
DHL-Paketbotin – Quereinsteigerin und gelernte Köchin
„Mir macht das nichts“, sagt die gelernte Köchin, die mit 18 Jahren aus der Nähe des polnischen Gdansk nach Deutschland kam. Seit 1,5 Jahren arbeitet sie als Paketbotin bei DHL. „Immer nur drin sein, ist nichts für mich“, sagt sie zu dem Quereinstieg bei dem Logistikunternehmen. Dass sie eine von ganz wenigen Frauen in einem Männerberuf ist, stört sie nicht. „Ich mag meinen Job.“
Inzwischen sind die Regale in ihrem Transporter schon gut gefüllt. Die ganz großen Kisten lässt sie auf den Boden, schlängelt sich geschickt daran vorbei. Das System beim Einladen ist entscheidend dafür, dass es nachher bei der Zustellung rund läuft. Ein bisschen wie Tetris. „Das macht jeder anders“, sagt Kamila Wolak. Sie hat bestimmte Regalplätze für jede Straße in ihrem Zustellbezirk, der sich vom Rathausmarkt bis in die Neustadt erstreckt.
„Auf meiner Tour sind viele Geschäftskunden“, sagt sie. Das macht die Sache einfacher, weil sie oft gleich mehrere Pakete an einer Adresse abladen kann und auch, weil meistens jemand da ist, der die Sendungen entgegennimmt. Allerdings gehört auch der Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus zu ihrem Bezirk. Locker zwei Dutzend Pakete türmen sich an diesem Tag, die an die Händler in den engen Gassen adressiert sind. „Die übernimmt heute ein Kollege, der als Verstärker eingesetzt ist“, sagt die Paketbotin. Auch beschädigte Sendungen, fehlgeleitete und solche mit einem Wunschzustelltermin hat sie zur Seite gestellt. Auch darum muss sich jemand anderes kümmern. Kamila Wolak muss jetzt los, um den straffen Zeitplan einzuhalten.
Starkverkehr, so nennen sie bei DHL die irren Wochen vor Weihnachten. Ein Begriff, der aus der Zeit stammt, als bei der Deutschen Post noch Beamte Dienst schoben. Inzwischen hat sich das Zustellwesen radikal geändert. Nicht nur, dass die Prozesse immer stärker digitalisiert werden. Jede Sendung wird auf dem Weg vom Absender zum Empfänger mehrfach gescannt. Es gibt Zeitfenster für den Liefertermin und Sendungsverläufe, bei denen die Empfänger live auf dem Smartphone mitverfolgen können, wo ihr Paket gerade ist.
Täglich 300.000 Pakete vor Weihnachten bei DHL in Hamburg
Dass vor Weihnachten mehr Pakete verschickt werden, ist nicht neu. Aber seit die Corona-Pandemie den Bestell-Hype der Deutschen in neue Höhen getrieben hat, außerdem Rabattaktion wie Black Friday für einen weiteren Versandboom sorgen, sind die Mengen noch mal deutlich gestiegen und bleiben auf hohen Niveau. Die Deutsche Post DHL haben zusätzlich zu den 116.000 Zustellern und Zustellerinnen und 40.000 Beschäftigen in den Sortierzentren für die Hochsaison zwischen November und Dezember 10.000 Arbeitskräfte eingestellt. Außerdem wurden 9000 zusätzliche Fahrzeuge auf die Straße geschickt.
In der Metropolregion Hamburg arbeiten in den zehn Zustellbasen etwa 4000 Beschäftigte, die im Moment täglich bis zu 300.000 Pakete ausliefern. Inzwischen fährt ein Drittel der 900 DHL-Transporter elektrisch. In Hamburg gibt es zehn Zustellbasen, davon sind sechs mechanisiert. Dort werden wie in Billbrook im Gegensatz zur manuellen Verarbeitung, die Sendungen automatisch den einzelnen Touren zugeordnet und am Ende der überdimensionalen Rutschen von den Zustellern eingesammelt.
Empfänger nicht da, dann gibt‘s eine Benachrichtigung
Kamila Wolak hat an diesem Dezembervormittag mit ihrem Transporter eine knappe halbe Stunde bis zu ihrem Zustellbezirk gebraucht. Inzwischen ist es 11 Uhr und die ersten Adressen sind ausgeliefert. Anders als Paketboten in Wohngebieten schreibt sie selten die berühmt-berüchtigten Zustellbenachrichtigungen, mit denen die Empfänger teilweise quer durch die Stadt fahren müssen, um das erwartete Paket an einer Paketbox oder in einer Filiale abzuholen.
„Ich kenne inzwischen viele meiner Kunden“, sagt die DHL-Zustellerin. Sie beliefert Schuhläden und Modeboutiquen mit neuen Waren, verteilt Firmensendungen in Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder bei Versicherungen. Einen Zustellversuch muss sie pro Paket machen. Wenn sie niemand antrifft, gibt sie in bestimmten Fällen auch mal was beim Nachbarn ab. Das ist auf ihrer Tour nicht anders als überall sonst.
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Schwieriger wird es, wenn der Empfänger an der Adresse nicht zu ermitteln ist. Da wird die Paketbotin manchmal zur Detektivin. Auch an diesem Tag, als die Hausnummer auf einem besonders schweren Paket sowohl als 27 als auch als 22 gelesen werden kann. „Es gibt auf jeder Tour irgendwelche Problempakete. Eigentlich müsste ich das direkt zurückschicken“, sagt Kamila Wolak. Nach einer kurzen Internet-Recherche ist der Fall geklärt und das Paket kommt doch noch an. Sehr zur Freude der Empfängerin.
Ein kurzes Lächeln, dann ist die Paketbotin wieder unterwegs. Treppauf, Treppab. Zurück zum Wagen und mit dem nächsten Stapel zur nächsten Adresse. Im Jahr läuft sie vier bis fünf Paar Schuhe durch, sagt Kamila Wolak. Die Anzeige für den Job als DHL-Zustellerin hatte sie Mitte vergangenen Jahres durch Zufall im Internet entdeckt und sich beworben. „Ich dachte, ich probiere es mal“, sagt sie. Ihre Bilanz: „Mir macht es Spaß.“
DHL-Zustellerin: 2000 Euro netto im Monat
Dazu kommt, dass das Gehalt besser ist als in der Gastronomie. „Ich komme auf etwa 2000 Euro netto“, sagt Kamila Wolak, die mit ihrem Hund in Meiendorf wohnt. Die Regelarbeitszeit beträgt 38,5 Stunden in der Woche. Der Einstiegslohn liegt Firmenangaben zufolge aktuell regional differenziert bei 16 Euro. Bei DHL gibt es einen Haustarifvertrag. Anders als bei anderen Logistikunternehmen wie Hermes oder DPD, für deren Beschäftigte die Gewerkschaft in den aktuell laufenden Tarifverhandlungen deutlich höhere Löhne einfordert.
Kamila Wolak ist zufrieden. Seit einiger Zeit hat sie zusätzlich einen Mini-Job in einem Büro angenommen. „Ich würde aber auch mit dem Geld von DHL auskommen“, sagt sie. Jetzt vor Weihnachten macht sie zudem ab und zu Überstunden, die extra vergütet werden. „Es ist schon stressig jetzt, aber ich versuche mir keinen Stress zu machen“, sagt sie und hat schon wieder eine Sackkarre vollgepackt.
Und wie ist es mit Ärger oder Beschwerden? „Klar, das kommt schon mal vor. Vor allem, wenn ich es nicht schaffe, ein Paket noch an dem Tag zuzustellen. Manche Kunden verstehen nicht, dass ich meine Arbeitszeiten habe.“ Das Paket kommt dann sicher am nächsten Tag.
DHL-Zustellerin: Knochenjob, Fitnesstraining inklusive
In der Regel schafft die flinke Paketbotin ihr Pensum. „Es läuft gut“, sagt sie. So gut, dass sie inzwischen auch Weihnachtskarten von ihren regelmäßigen Kunden bekommt. „Auf einer hatten letztens alle Mitarbeiter des Büros unterschrieben – und dann war noch Trinkgeld drin“, sagt die Zustellerin mit einem Lächeln. Das lässt dann vergessen, dass ihr Job harte Knochenarbeit ist. „Fitnesstraining ist inklusive“, sagt sie. Aber Rückengymnastik braucht sie regelmäßig als Ausgleich.