Hamburg. Präsident des Handelsverbandes Nord warnt vor nie da gewesener Rabattschlacht und Abwanderung der Kunden.
Andreas Bartmann, Präsident des Handelsverbands Nord und Geschäftsführer des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter, ist einer von den Hamburgern, die im Sommer generell nicht verreisen. „Ich genieße den Sommer in der Stadt“, sagt der 63-Jährige. Zum Interview-Termin mit dem Abendblatt kommt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus der Firmenzentrale in Alsterdorf in die große Globetrotter-Filiale in Barmbek.
Der Laden ist gut besucht. In der Damenabteilung bedient eine Mitarbeiterin drei Kundinnen parallel. Bei den Schuhen fehlen Standardgrößen gängiger Modelle. Personalmangel, Lieferengpässe sind nur zwei Themen, mit denen der Handel im dritten Corona-Sommer kämpft. Und die Händler an der Mönckebergstraße haben es aktuell besonders schwer.
Hamburger Abendblatt: Inzwischen geht der dritte Corona-Sommer zu Ende. Wie ist die Bilanz für den Einzelhandel in Hamburg vor allem in der Innenstadt?
Andreas Bartmann: Man kann sich auch an Schlimmes gewöhnen. Aber im Ernst, aus meiner Sicht ist die Hamburger Innenstadt im Bundesvergleich insgesamt gar nicht so schlecht aufgestellt. Da tun sich andere Metropolen schwerer, etwa Köln, Berlin oder auch München. Wir erreichen fast wieder das Umsatzniveau von vor Corona. Das kann man für die ersten Monaten 2022 sagen. Allerdings gab es in den vergangenen beiden Jahren auch zusätzlich zu den Pandemie-Auswirkungen deutlich mehr Baumaßnahmen im Zentrum. Das hat die Sache nicht einfacher gemacht.
Die Baustellen sind das eine, aber es gibt auch Leerstände, und gefühlt ist in den Geschäften an der Mönckebergstraße seit Monaten Dauerschlussverkauf – nicht unbedingt eine Visitenkarte für die Hansestadt. Oder wie sehen Sie das?
Bartmann: Die Mö ist ein Sonderfall. Da ist vieles zusammengekommen. Wenn man permanent Baustellen hat, findet so eine Art Verslumung statt. Die Innenstadtbesucher sind verunsichert, meiden die Straße und wandern in andere Bereiche ab. Und leider ist es so, dass es in den nächsten ein, zwei Jahren nicht ruhiger wird. Vieles ist zu lange liegen geblieben, die Modernisierung des Stromnetzes, die Erneuerung der Plätze, der Umbau bei der U-Bahn. Und ja, es stimmt: Die laufende Rabattschlacht ist eine der härtesten und aggressivsten, die wir in den vergangenen Jahren hatten. Vielen Unternehmen geht die Lage so sehr an die Substanz, dass sie so viel Ware abverkaufen wie möglich und dies um fast jeden Preis. Das ist das Fieberthermometer einer Branche. Man kann sagen: Umso größer und knalliger die Rabattschilder werden, desto höher ist das Fieber. Preisreduzierungen gehören zum Einzelhandel. Natürlich freuen sich Kunden, wenn sie einen guten Preis bekommen. Aber auf Sicht funktioniert das nicht. Der Handel muss sich andere Konzepte überlegen.
Karstadt Sports und Kaufhof, die beiden großen Kaufhäuser am Anfang der Mö, sind seit zwei Jahren dicht. Neue Konzepte gibt es offenbar bislang nicht. Mit welchen Folgen?
Bartmann: Die Wahrnehmung der Straße ändert sich, sowohl regional als auch überregional. Nachdem die Stadt jetzt wieder voller ist und die Touristen zurückkommen, wächst der Leidensdruck. Der Finanzsenator hat über den Freiflächen-Fonds Möglichkeiten für eine kreative Zwischennutzung im Karstadt-Sports-Haus und im Kaufhof geschaffen. Alles ist besser als Leerstand. Eine weitere Folge, und darüber bin ich sehr erfreut: Wir lernen jetzt, wie man Innenstadt-Konzepte der Zukunft angehen muss und Immobilien-Strukturen neu gestalten kann. In Hamburg ist das Zentrum zu stark auf Einzelhandel fokussiert. Wir haben davon viel zu viel. Und klar ist, dass die meisten großen Handelsdinosaurier mit mehreren 10.000 Quadratmetern nicht der Handel der Zukunft sein werden.
Was würden Sie sich konkret für die beiden Immobilien wünschen?
Bartmann: Wir brauchen dort aus meiner Sicht Publikumsmagneten. Der Standort ist ein wichtiges Tor in die Stadt, auch gerade angesichts der geplanten Erweiterung des Hamburger Hauptbahnhofs. Ich stelle mir eine Mischnutzung vor – mit Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss, darüber Dienstleistungen und Büros. Wohnen in der Innenstadt ist ein wichtiges Thema. Da muss man auch mal querdenken und – mit Subventionen der Stadt – anderes, und vor allem eine jüngere Klientel ins Zentrum bringen. Wohnungen für Studenten oder Auszubildende wären eine Möglichkeit. Eine Immobilie muss eine Seele haben, sie muss leben.
Ist das ein Thema für die neue Innenstadtkoordinatorin?
Bartmann: Erst mal sind wir sehr erfreut, dass der Bürgermeister die Innenstadt zum Chefthema gemacht hat. Das war früher nicht so. Es gab inzwischen ein erstes Gespräch mit Frau Pahl-Weber. Als Innenstadtkoordinatorin hat sie eine übergreifende Verantwortung und auch Kompetenzen, damit nicht wie bislang nur über Probleme geredet wird, sondern Lösungen gefunden werden. Aus meiner Sicht gibt es zwei große Themen: Die Aufenthaltsqualität in der Stadt muss sich weiter bessern. Das ist unser Wohnzimmer, da soll man sich wohlfühlen. Das vorrangigste Thema ist für mich aber eine attraktive Verbindung zur HafenCity. Die Uhr läuft. 2024 eröffnet dort das Einkaufszentrum Überseequartier. Wir brauchen eine neue Achse, die von der Mönckebergstraße über den Domplatz direkt dorthin führt. Warum kann man nicht einen Flanierboulevard über die Willy-Brandt-Straße bauen? Ich bin sicher, dass die Verzahnung so klappen kann.
Wie sehr fürchten die Innenstadt-Händler das Überseequartier mit attraktiven Mietern wie dem Luxuskaufhaus Breuninger und dem Legoland Discovery Centre?
Bartmann: Das ist erst einmal betriebswirtschaftlich eine einfache Rechnung. Es kommen 20 Prozent Einzelhandelsfläche in der Hamburger Innenstadt dazu, aber die Gesamtumsätze werden nicht um 20 Prozent steigen. Ich bin mir sicher, dass das Überseequartier Umsätze aus der Innenstadt abziehen wird. Der Betreiber Unibail-Rodamco-Westfield hatte den Vorteil, den Handel der Zukunft wie auf einem weißen Papier neu zu entwerfen. Und das, was sie machen, machen sie gut – mit tollen Geschäften, Unterhaltung und Gastronomie. Das wird ziehen, die Leute werden sich wohlfühlen und sich fragen, warum soll ich noch in die Mönckebergstraße oder auf den Jungfernstieg gehen? Es wird ein harter Wettbewerb. Wir nehmen die Herausforderung an. Aber dazu gehört auch, dass politische Versprechen eingehalten werden. Schon Olaf Scholz hat in seiner Zeit als Erster Bürgermeister eine neue und attraktive fußläufige Anbindung zur Kerncity versprochen.
Ein weiteres kontroverses Thema ist die Situation am Jungfernstieg mit weniger Autos auf der einen Seite und Jugend-Treffpunkt auf der anderen. Muss die Stadt die Strategie ändern?
Bartmann: Der Jungfernstieg ist eine der schönsten und wichtigsten Straßen Hamburgs, die auch international wahrgenommen werden. Da hätte man sich bei der Verkehrsberuhigung ein höheres Niveau als gelbe Markierungen auf der Straße und ein paar Blumenkübel in der Mitte vorstellen können. Aber es ist ein Übergangsprozess. Wir haben in Hamburg seit Jahren die unrühmliche Situation, dass sich verschiedene Akteure bei dem Thema gegenseitig beharken. Ich glaube aber, dass es in Zeiten der Mobilitätswende zwingend ist, den Individualverkehr aus der Innenstadt rauszubekommen – aber mit der Erreichbarkeit der bestehenden Parkhäuser bei digitaler Unterstützung, mit guten ÖPNV-Angeboten und einer innerstädtischen Ringlinie mit einem Hopp-on/Hopp-off-Busverkehr zwischen Hauptbahnhof und Valentinskamp. Damit würden wir die Attraktivität deutlich steigern.
Dazu kommen Gaskrise, Ukraine-Krieg, Preissteigerungen – die Konsumstimmung in Deutschland ist so schlecht wie noch nie. Wie lange können die Unternehmen, viele durch die Corona-Zeit angeschlagen, das noch durchstehen?
Bartmann: In Hamburg sind wir noch auf einem guten Niveau. In kleineren Städten in der Peripherie wird es schwieriger. Aber es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es nicht mehr den einen Handel gibt. Wir haben Konzepte, die stark unter Druck sind, andere hatten die besten Jahre in der Firmengeschichte. Verloren hat zum Beispiel der Modehandel, zu den Gewinnern zählt alles rund ums Einrichten. Wir haben jetzt die Situation, dass die Menschen vorsichtiger sind und spürbar weniger einkaufen. Aber wir haben unterschiedliche Einkommensschichten. Es gibt eine breite Schicht, die den Euro umdrehen muss und massiv unter den steigenden Energiekosten leidet. Gerade in Hamburg gibt es aber auch viele Menschen, die sich etwas leisten können und wollen. Der Luxusbereich geht gerade durch die Decke.
In diesem Segment ist aber nur der kleinste Teil der Händler aktiv. Erwarten Sie eine steigende Zahl an Ladenschließungen und Insolvenzen?
Bartmann: Ich erwarte nicht, dass es mehr Insolvenzen gibt. Es werden vielleicht mehr Händler aufgeben. Aber Geschäftsschließungen finden meistens still und leise statt. Gerade Einzelkaufleute fahren ihr Geschäft herunter, kündigen den Mietvertrag und machen die Tür zu. Bei großen Filialisten sieht das natürlich anderes aus.
Ihr Outdoor-Spezialist Globetrotter hat 2020 mit einem Minus von 16 Millionen Euro abgeschlossen. Wie soll das Unternehmen aus der Verlustzone kommen?
Bartmann: Wir sind ein Teil des schwedischen Unternehmens Fenix in einer Konzernstruktur und haben eine langfristige Denke. In den vergangenen Jahren haben wir sehr stark in die Neuausrichtung investiert und zudem zehn neue Filialen eröffnet. Die verdienen natürlich nicht sofort Geld. Das sind Investitionen in die Zukunft, die auch aus der Veränderung der Branche resultieren und den künftigen Anforderungen des Marktes gerecht werden.
Wie sieht die Entwicklung 2021 und in diesem Jahr aus?
Bartmann: 2021 war auch ein Jahr mit Verlusten. Durch den volatilen Markt muss man im Moment vorsichtig sein mit Prognosen. Aber wir kommen jetzt so langsam in den schwarzen Bereich. Entscheidend ist für uns, dass die Kunden und Kundinnen in den Städten zurück in die Läden kommen. Der stationäre Handel ist ja vielfach schon totgesagt worden, aber das ist nicht so. Wir sind richtig gut gewachsen, in diesem Jahr erwarten wir Umsatzzuwächse im zweistelligen Bereich.
Planen Sie weitere Neueröffnungen?
Bartmann: Es gibt gutes Potenzial in Deutschland mit unserem City-Konzept. Aber wir haben ein Problem, das ich mir nie hätte vorstellen können. Wir bekommen nicht ausreichend die nachgefragten Waren und keine dringend benötigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Mit einer Normalisierung der Lieferketten gerade für relevante Waren rechnen wir nicht vor Ende 2023. Deshalb haben wir alle Expansionsprojekte auf Mitte nächsten Jahres verschoben. Mit einer Normalisierung der Lieferketten gerade für relevante Waren rechnen wir nicht vor Ende 2023.
Das bedeutet auch bei Globetrotter sind Produkte bis dahin nicht verfügbar?
Bartmann: Wir haben durch das veränderte Reiseverhalten eine Nachfrage, die deutlich höher ist als das Angebot. Der Bereich Wanderschuhe etwa geht durch die Decke. Ich weiß schon jetzt, dass ich im nächsten Jahr deutlich mehr verkaufen könnte, bekomme die Ware aber nicht ausreichend. Die Produktionskapazitäten sind einfach nicht vorhanden. Die Verknappung macht sich bemerkbar, oft fehlen die gängigen Größen. Auch bei Rucksäcken gibt es große Lücken. Drei Container sind auf dem Weg, aber die sind irgendwo zwischen Asien und der Deutschen Bucht auf einem Schiff und kommen nicht nach Hamburg.
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Nach dem Ende der Sommerferien in Hamburg in der nächsten Woche geht es auf das Weihnachtsgeschäft zu. Wie wird es in diesem Jahr?
Bartmann: Als Händler denkt man positiv. Man muss sich auch Mut zusprechen. Ich halte es für unrealistisch, dass im Weihnachtsgeschäft signifikante Zuwächse generiert werden. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir kein Minus machen werden. Menschen sind so gepolt, dass sie sich belohnen wollen. Wir haben ein schweres Jahr mit hoher Komplexität. Nach Corona haben wir gedacht, es kann nicht schlimmer werden. Aber jetzt ist Krieg in Europa, und wir haben Preissteigerungen in nie geahnten Höhen. Ich glaube, dass am Ende des Jahres viele sagen: Lasst uns das Jahr vergessen und uns was Schönes gönnen. Das Weihnachtsgeschäft wird funktionieren.