Hamburg. Flughafenchef Eggenschwiler hört auf. Im Abschiedsinterview spricht er über die Geiselnahme, lange Wartezeiten und neue Ziele.
Im Jahr 2003 ist Michael Eggenschwiler in die Geschäftsführung des Flughafens Hamburg eingetreten. Zwei Jahre später übernahm er den Vorsitz. In wenigen Tagen wird der 65-Jährige aus dem Amt scheiden und den Staffelstab an seinen Nachfolger Christian Kunsch übergeben. Zum Abschied sprach unsere Redaktion mit dem gebürtigen Schweizer über seine Zeit am Airport.
Der Geiselnehmer am Hamburger Flughafen ist Anfang November ohne viel Widerstand auf das Flughafengelände gelangt. Warum war das möglich?
Das war eine außergewöhnliche Situation in jeglicher Hinsicht. Der Flughafen hat sein Sicherheitskonzept, das regelmäßig zusammen mit den Behörden überprüft wird. Sämtliche geforderten Kriterien haben wir erfüllt. Unser Konzept war zu dem Zeitpunkt völlig in Ordnung. Nach dem Vorfall haben wir es aber sofort hinterfragt und erste Maßnahmen umgesetzt.
Was ist genau geplant und wie viel werden Sie dafür ausgeben?
Es kommen Torverstärkungen und Einfahrschutzmaßnahmen. Das machen wir so schnell wie möglich, hängt aber auch von den Lieferfristen ab. Im ersten Quartal 2024 sollen die Maßnahmen abgeschlossen sein. Details werden wir aber nicht öffentlich benennen. Insgesamt werden wir eine siebenstellige Summe investieren. Am Zaun wurden bereits weitere Kameras montiert. Zudem wird es künftig noch eine Sensorik geben, damit der Zaun schwieriger überwunden werden kann ...
Flughafen Hamburg: Eggenschwiler rechnet bald mit Direktflug in die USA oder China
... wie es der Letzten Generation im Juli gelungen ist. Will der Flughafen Schadenersatz gegen die Organisation einklagen?
Wir tragen die entstandenen Kosten und entgangenen Einnahmen wie Start- und Landeentgelte sowie Umsätze gerade zusammen. Das muss minutiös erfolgen, damit es vor Gericht Erfolgschancen hat. Es geht um einen sechsstelligen Betrag. Strafanzeige haben wir bereits erstattet. Je nachdem, wie das weitergeht, entscheiden wir über unser weiteres Vorgehen. Wir werden die juristischen Mittel auf jeden Fall nutzen.
Der Airport war häufig in den Schlagzeilen, weil es zu langen Schlangen an der Sicherheitskontrolle kam. Offenbar ist der Dienstleister FraSec mit dieser Aufgabe überfordert. Überlegt der Flughafen, diese Dienstleistung in Eigenregie zu übernehmen?
Kurzfristig ist es keine Option, weil der Vertrag von FraSec mit dem Bund noch mehrere Jahre läuft. Es ist auch keine primäre Aufgabe für den Flughafen. Für uns ist wichtig, dass die Bundespolizei und FraSec Stabilität in Richtung nächsten Sommer hinbekommen mit Wartezeiten unter 15 Minuten für die Passagiere – da wollen wir in jedem Fall hin. Wir erwarten von der Bundespolizei, dass die technischen Möglichkeiten besser genutzt werden. Bisher ist ein CT-Scanner im Einsatz, bei dem Passagiere Flüssigkeiten im Handgepäck lassen können. An dieser Spur geht die Kontrolle wesentlich schneller als an anderen. Wir gehen davon aus, dass die Bundespolizei um den Jahreswechsel noch einige dieser Geräte bekommt. Mein Wunsch wäre es, dass wir Ende 2024 an allen 18 Spuren CT-Scanner haben. Realistisch wird es ein Drittel bis die Hälfte sein.
Lärmschutz am Flughafen Hamburg: Eggenschwiler hat Verständnis für Anwohner, aber ...
Nach 20 Jahren, davon 18 als Chef, werden Sie den Flughafen Ende des Jahres verlassen. Was verbuchen Sie als Ihre größten Erfolge?
Wir haben bei der Infrastruktur viel bewegt: Terminals, die Plaza und das Frachtzentrum wurden neu gebaut. Die Vorfeldsanierung bei laufendem Betrieb war eine Mammutaufgabe. Dank der Doppelrollgasse bewegen sich die Flugzeuge nun deutlich besser. Der Flughafen ist im Betrieb CO2-neutral, durch unseren neuen Windpark werden wir in einigen Jahren autark bei der Energie sein. Wir bereiten uns auf Wasserstoff als künftigen Antrieb vor. Die S-Bahn zum Flughafen ist ein Riesengewinn. Wir sind als Verkehrsplattform für die Metropole gewachsen. Als ich angefangen habe, lagen wir bei knapp zehn Millionen Passagieren. Vor Corona waren es dann drei Jahre lang mehr als 17 Millionen. Die Mobilität und Reiseintensität nahmen zu, und das System Luftfahrt ist effizienter geworden. 2003 hatten wir im Schnitt 75 Passagiere pro Flug, dieses Jahr 129 – plus 72 Prozent. Die Auslastung der Maschinen stieg von zwei Drittel auf fast 80 Prozent.
Immer wieder gibt es harsche Kritik von Lärmschutzinitiativen und Umweltverbänden. Diese fordern mehr Ruhe am Airport, vor allem zwischen 22 und 6 Uhr dürfe es keine Starts und Landungen geben. Haben Sie Verständnis für deren Position?
Je nachdem, wo jemand wohnt, verstehe ich das. Das ist aber auch etwas sehr Persönliches. Jeder empfindet das etwas anders. Aber wir nehmen das ernst. Wir haben aber auch den Auftrag, für die Mobilität und Erreichbarkeit der Stadt zu sorgen. Das muss in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Regelung hier in Hamburg in Ordnung ist. Sie erlaubt, die vorhandene Nachfrage adäquat zu bedienen, und ermöglicht umgekehrt die Ruhe für die Nacht. Es gibt wenige Verkehrsträger, die zwischen 0 und 6 Uhr keine Bewegung haben. Die Stunde von 23 bis 0 Uhr brauchen wir, um Verspätungen – wie es sie in der Luftfahrt immer gibt – aufzufangen. Wir haben die Entgelte für späte Starts und Landungen erhöht, die Airlines passen ihre Flugpläne an und sind für das Thema sensibilisiert.
Flughafen-Chef Eggenschwiler störten Wartezeiten am Gepäck – Interimsterminal verteidigt er
Was waren Ihre größten Niederlagen, was hat Ihnen in Ihrer Amtszeit nicht gefallen?
Ich habe mich immer schwergetan mit den vielen Streiks, die wir hatten. Sei es im öffentlichen Dienst, bei Fluglinien oder Fluglotsen. Man sollte miteinander reden und Streiks möglichst vermeiden und stattdessen miteinander Lösungen finden. Ansonsten gibt es immer mal Dinge, die einen ärgern, weil sie nicht so kommen, wie man es gern hätte.
Wir werfen mal ein Stichwort ein: die 2016 sehr langen Wartezeiten an den Gepäckbändern ...
Das hat mich geärgert, stimmt. Wir haben damals so schnell wie es ging reagiert. Damals legte die Passagierzahl sehr stark zu. In den vergangenen Jahren läuft der Betrieb aber sehr stabil. Unsere Tochter HAM Ground Handling hat im Sommer 100 Leute eingestellt. Der Sommer verlief gut, obwohl wir mittlerweile Spitzenbelastungen haben, die höher sind als 2019.
Zweites Stichwort: das für 30 Millionen Euro gebaute Interimsterminal, das nun seit Jahren halb fertig und ungenutzt auf dem Vorfeld steht ...
Rückblickend ist man in vielen Dingen schlauer. In Erwartung der zukünftigen Passagierzahlen war die Entscheidung für den Bau damals aber richtig. Flughäfen müssen viele Entscheidungen sehr früh treffen. Es gibt Planungs-, Genehmigungs- und Bauphasen – das dauert. Letztlich hat Corona bei dem Projekt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Zukunft wird zeigen, wann und wie es in Betrieb gehen wird. In den nächsten zwei, drei Jahren sehe ich es noch nicht. Aber wenn Bedarf da ist, kann man es relativ schnell aktivieren.
Flughafen Hamburg erwartet für dieses Jahr schwarze Null beim Ergebnis
Sie sprechen Corona an: War die Pandemie die größte Herausforderung für Sie?
Ja. Es gibt immer mal Krisen wie eine Aschewolke oder einen Stromausfall. Corona war aber von 100 auf null innerhalb von zwei Wochen. Und es gab danach ganz lange keine Perspektive. Man wusste nicht, wie lange die Pandemie gehen wird. In kurzer Zeit mussten wir Entscheidungen wie Kurzarbeit, Rückfahren der Investitionen und Budgetkürzungen treffen und versuchen, die Mitarbeitenden zu beruhigen. Das war schon eine Belastung.
Und finanziell ein harter Einschnitt ...
Wirtschaftlich war es ein sehr massiver Einschnitt. Jahrelang haben wir mittlere zweistellige Millionengewinne ausgewiesen. Dann drei Jahre lang massiv Verlust gemacht. Für dieses Jahr glauben wir, auf Kurs einer schwarzen Null zu sein. Die Energiekosten sind nicht so hoch wie ursprünglich angenommen. Die Verkehrsentwicklung entspricht etwa unseren Planungen, wir werden eng an die für das Jahr geschätzten 13,8 Millionen Passagiere herankommen.
Aus der Hamburger Wirtschaft wird kritisiert, dass es außer Dubai keinen Langstreckenflug gibt. Warum findet sich derzeit keine Airline, die Hamburg mit China oder den USA verbindet?
Die Anbindung Hamburgs ist ziemlich gut, zu den Drehkreuzen gehen viele Flüge pro Tag. Ein Standort wie Frankfurt hat nicht mehr Lokalverkehr in Richtung USA als Hamburg, aber hat ein Drehkreuz der Lufthansa. Bisher sind wir darauf angewiesen, dass ausländische Airlines uns an ihre Drehkreuze anbinden. So wie es Emirates mit Dubai macht und United mit Newark gemacht hat. So kommt auch Verkehr vom anderen Ende nach Hamburg. Aus Hamburg war die Nachfrage nach Newark immer gut, umgekehrt allerdings nicht.
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Setzen Sie große Hoffnungen auf den neuen kleinen Langstreckenflieger A321XLR, den Airbus im zweiten Quartal 2024 erstmals ausliefern will?
Ja. Mit dieser um die 200 Passagiere fassenden Maschine sind Punkt-zu-Punkt-Verkehre von Hamburg nach New York, Boston oder Chicago wirtschaftlich zu betreiben. Wir führen dazu Gespräche mit Airlines. Auch in Richtung China übrigens. Sobald dort durch politische Vereinbarungen mehr Kapazität ermöglicht wird, ist die Chance hoch, dass Hamburg eine Verbindung in die Volksrepublik bekommt. Ich gehe davon aus, dass es in zwei, drei Jahren eine Langstrecke von Hamburg Richtung USA oder China gibt. Von den Passagierzahlen her dürfte die attraktivste Strecke Hamburg–New York sein.
Am 22. Dezember wird Ihr letzter Arbeitstag am Flughafen sein. Was werden Sie als Privatier machen?
Meine Frau und ich werden in Hamburg bleiben, wir sind hier heimisch geworden, haben unsere Freunde hier. Alle Ämter, die mit dem Job verbunden sind, gebe ich zum Jahresende auf. Nur Honorarkonsul für die Schweiz und andere Ehrenämter werde ich weitermachen. Nach gut 40 Berufsjahren werde ich mir Zeit nehmen für die Dinge, die in letzter Zeit zu kurz gekommen sind: Familie, längere Reisen – und ich werde Herr meiner Zeit sein.