Hamburg. Am XXL-Einsatz waren 924 Polizisten beteiligt, rund 7600 Personalstunden fielen an. Neben Kosten steht eine weitere Frage im Raum.
Der Hamburger Flughafen hatte in den vergangenen drei Wochen nur bedingt ein Mitteilungsbedürfnis. Gerade einmal vier Neuigkeiten wurden beispielsweise auf dem Portal X (früher Twitter) hochgeladen. Da war das neue, vegane Angebot am Hamburg Airport, der Job eines sogenannten Ramp Agent wurde vorgestellt, und dann gab es da auch noch News zum klimaverträglichen Fliegen. Trotzdem könnte man wohl sagen: Im (Nord-)Westen von Hamburg nichts Neues.
Das sah Anfang November noch ganz anders aus, als die Geiselnahme eines vierjährigen Mädchens nicht nur den Airport Helmut Schmidt und ganz Hamburg, sondern sogar die ganze Republik in Atem gehalten hatte. In den knapp 18 Stunden der Geiselnahme am 5. und 6. November, als der bewaffnete Vater des Kindes mit einem Pkw auf das Rollfeld des Flughafens gelangt war, informierte die Social-Media-Abteilung beinahe stündlich über X.
Die Polizei war seinerzeit mit einem Großaufgebot von 924 Einsatzkräften im Dauereinsatz – und manch einer fragte sich nach dem Happy End: Was hat das alles bloß gekostet? Und wer zahlt eigentlich die Rechnung?
Eine Antwort auf diese Fragen findet man natürlich nicht bei X – in Ansätzen aber in der parlamentarischen Datenbank der Bürgerschaft. Denn dort kann man nun die Senatsantworten auf eine Kleine Anfrage der AfD mit dem Titel „Geiselnahme am Flughafen Hamburg – wie hoch waren die Kosten?“ nachlesen.
Geiselnahme am Flughafen: 924 Einsatzkräfte waren im Einsatz
Zwar wollte (oder konnte) der Senat nicht die konkrete AfD-Frage beantworten, wie teuer einer der größten Polizeieinsätze in diesem Jahr genau war. Aber aufgrund der Information, dass bei dem Großeinsatz insgesamt 7600 Personalstunden für die Einsatzkräfte der Polizei Hamburg angefallen waren, hat die AfD selbst den Rechenschieber in die Hand genommen.
Und so heißt es in einem Statement: „Laut der Gebührenordnung für Sicherheit und Ordnung (SOG) entfallen auf eine Polizeistunde 66,40 Euro. Insgesamt belaufen sich die Gesamtkosten des 7600 Personalstunden umfassenden Einsatzes demnach auf eine Höhe von 504.640 Euro.“
Polizei betont, dass zur Gesamtrechnung noch weitere Faktoren kommen
Ganz so einfach ist die Rechnung dann aber offenbar doch nicht. Auf Abendblatt-Nachfrage erklärt ein Polizeisprecher: „Die Verrechnung der entstandenen Personalstunden mit den genannten 66,40 Euro ist zu pauschal, da gegebenenfalls noch andere Kostenfaktoren hinzukommen können.“ So könnten innerbetriebliche Kosten wie Material- und Fahrzeugkosten die Gesamtrechnung sogar noch nach oben schrauben.
So oder so kann man aber wohl schon bilanzieren, dass der Großeinsatz der Hamburger Polizei den Steuerzahler mehr als eine halbe Million Euro gekostet haben dürfte. Doch die Rechtspartei belässt es natürlich nicht beim einfachen Addieren. Für Dirk Nockemann, den Fraktionschef der AfD, lautet das Ergebnis seiner Rechnereien: Der Türke muss zahlen.
AfD fordert, dass der Straftäter zur Kasse gebeten wird
Nockemann sagt: „Rund eine halbe Million Euro Personalkosten sind für die Geiselnahme am Hamburger Flughafen entstanden. All das wegen eines wahnsinnig gewordenen 35-jährigen Türken, der seine Tochter aus den Händen der Mutter entriss und das Land verlassen wollte.“ Und weiter: „Wenn Klimachaoten oder Demonstranten in Gewahrsam genommen werden, dann müssen sie für den Einsatz finanziell aufkommen. Auch vor diesem Hintergrund fordern wir, dass der Rechtsstaat den Straftäter zur Kasse bittet.“
Klingt erst einmal plausibel, doch das Einmaleins des Straf- und Zivilrechts ist dann doch ein weniger komplexer. So hat das Abendblatt gleich mehrere Hamburger Juristen gefragt, ob die AfD-Forderung tatsächlich legitim und auch realistisch sei – und die eindeutige Antwort aller lautet: Nein.
Staatsanwaltschaft: Polizeikosten können nicht geltend gemacht werden
Auch die Polizei sagt im Hinblick auf die Kosten von über einer halben Million Euro: „Es können anhand der geltenden Gesetzes- und Verordnungslage keine Gebühren in Rechnung gestellt werden.“ Übrigens genauso wenig wie beim Großeinsatz an einer Schule in Blankenese, als kurz nach dem Flughafenvorfall eine Amoktat vermutet wurde. Und auch Oberstaatsanwältin Liddy Oechtering bestätigt: „Kosten, die der Polizei im Wege der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben insbesondere durch Überstunden oder Verwaltungsaufwand etc. entstehen, können grundsätzlich nicht (...) geltend gemacht werden.“
Mit anderen Worten: Der Steuerzahler zahlt die Zeche. Zumindest für den Polizeieinsatz. Etwas differenzierter muss man die immensen Kosten des Flughafens und der Airlines betrachten. Hier könnten die Unternehmen zwar theoretisch versuchen, dem Täter die Kosten in Rechnung zu stellen, praktisch wäre da aber sicherlich nichts in annähernd erforderlicher Höhe zu holen. Auch eine private Haftpflichtversicherung des Verursachers würde bei Vorsatz nicht zahlen.
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Auf Abendblatt-Nachfrage betont eine Flughafensprecherin dennoch, dass das Prüfen juristischer Schritte derzeit noch laufe, wobei man auch gute drei Wochen nach der Geiselnahme noch gar nicht weiß, wie hoch die Gesamtkosten nun ausfallen: „Das Zusammentragen der Kosten dauert noch an, und wir können jetzt noch nicht absehen, wann dies beendet sein wird.“
Etwas konkretere Antworten darf man wohl am 14. Dezember erwarten, wenn im gemeinsamen Innen- und Wirtschaftsausschuss offene Fragen rund um die Geiselnahme politisch aufbereitet werden sollen. Neben der Kostenfrage dürfte dann auch die Frage nach dem offenbar ungenügenden Sicherheitskonzept im Vordergrund stehen.
Flughafen hat Sofortmaßnahmen bei der Sicherheit ergriffen
Nach Angaben des Flughafens seien erste Sofortmaßnahmen im Bereich der Sicherheit bereits umgesetzt worden. „Darüber hinaus werden derzeit dauerhafte bauliche Verstärkungen geplant. Die Baumaßnahmen werden schnellstmöglich beginnen“, sagt Flughafensprecherin Katja Bromm. „Dabei wird der Flughafen zahlreiche zusätzliche Abwehrmaßnahmen installieren, die je nach Lage auf dem Flughafengelände ganz unterschiedlich ausfallen. Ein Beispiel sind massive Toranlagen und erweiterter Einfahrschutz.“
Im Ausschuss wird dann der scheidende Flughafenchef Michael Eggenschwiler persönlich Auskunft geben. Es dürfte einer seiner letzten Auftritte als Vorsitzender der Geschäftsführung sein, da Eggenschwiler am Ende dieses Jahres in den Ruhestand gehen wird. Im neuen Jahr heißt es dann: Im (Nord-)Westen von Hamburg ganz viel Neues.