Hamburg. Russland-Embargo hat Bahnverkehr aus Hamburg nach Asien fast zum Erliegen gebracht. HHLA arbeitet an einem Ausweg über Kasachstan.
Viel geht nicht mehr. Ein bis zwei Züge pro Woche fertigt die Bahntochter Metrans des Hamburger Hafenkonzerns HHLA derzeit über Russland in Richtung China ab. Das war schon einmal ganz anders. Vor zehn Jahren rief der chinesische Staatspräsident Xi Jinping die Wiederbelebung der Seidenstraße aus. Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) sprang als westlicher Pionier auf die Strategie der „Belt and Road Initative“ auf, die die „Eiserne“ Seidenstraße als Alternative zum Seeweg zwischen China und Europa entwickelte. Mit wachsendem Erfolg.
Spätestens seit der Corona-Pandemie und den dadurch verursachten Kapazitätsengpässen in der Schifffahrt boomte die schienengebundene Transportverbindung zwischen chinesischen Wirtschaftszentren und dem Hamburger Hafen. 2020 fertigte Metrans insgesamt 913 Züge (2019: 426 Züge) ab, die aus China kamen oder dorthin fuhren.
Bahn nach China: Hamburger Firmen errichten neue Seidenstraße
Doch dann kam der 24. Februar 2022. Der Tag des russischen Überfalls in die Ukraine. Seitdem hat sich vieles für die HHLA geändert. Denn Russland fällt als Transitland zwischen Europa und Asien weitgehend aus. „Transitverkehr durch Russland unterliegt zwar nicht dem Embargo. Dennoch wird dieser aktuell deutlich weniger genutzt. Vor allem in der West-Ost-Richtung. Viele Firmen vermeiden seit dem Überfall die Fahrt durch Russland, weil sie Bedenken haben. Zudem hat sich die Zusammenarbeit mit den Behörden deutlich erschwert“, sagt Martin Koubek, Direktor Seidenstraße und GUS-Staaten bei Metrans.
Will die HHLA ihre Landverbindung nach Asien aufrechterhalten, benötigt sie eine alternative Route. Genau daran basteln die Auslandsexperten der HHLA, die über eigene Standorte im kasachischen Almaty, in Aserbaidschan, in der georgischen Hauptstadt Tiflis und in der Hafenstadt Poti in Georgien besitzt. „Central Trans-Caspian Network“ (CTCN) heißt das Projekt, das die HHLA zusammen mit anderen Unternehmen vorantreibt: ein Schienenweg von Europa über den Kaukasus und das Kaspische Meer bis nach China.
Ist der Nordkorridor über Moskau für den Transit-Eisenbahnverkehr geschlossen, rückt jetzt der sogenannte Mittelkorridor in den Fokus. Aus China kommend fahren die Züge in die größte Metropole Kasachstans, Almaty. Von dort geht es quer durchs Land zum kasachischen Aktau am Kaspischen Meer. Container werden hier auf spezielle Containerschiffe verladen, Projektladung bleibt auf den Zügen, die wiederum auf Fähren rollen. Diese haben Platz für bis zu 54 Eisenbahnwaggons und 35 schwere Lkw. Weniger als ein Tag dauert die 253 Seemeilen (470 Kilometer) lange Seefahrt bis zum Hafen von Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Dort rollen die Züge wieder aufs feste Gleis, oder die Fracht wird vom Schiff auf Waggons umgehoben.
China-Hamburg: Mittelkorridor ist Alternativroute zu Russland
Von dort rollt die Fracht über die Hafenstadt Aljat zur georgischen Hauptstadt Tiflis und weiter zum Hafen Poti am Schwarzen Meer. Dort geht es zurück aufs Schiff und quer übers Meer zum rumänischen Hafen Konstanza. Von dort über den Metrans-Standort Malaszewicze in Polen in Richtung Hamburg. Klingt kompliziert? Ist es auch – noch. Immer wieder kommt es zu Stauungen auf der Route, sodass die Züge mitunter 40 Tage von China bis Hamburg benötigen. Damit ist der Mittelkorridor von den Transitzeiten über Russland, die nur 14 Tage betragen, noch Wochen entfernt.
Dennoch sehen die HHLA-Verantwortlichen großes Potenzial: „Der Mittelkorridor ist eine echte Alternativroute“, sagt der Geschäftsführer von HHLA-International, Philipp Sweens. „Vor dem 24. Februar 2022 wurde dieser eher als weniger wichtige Transitroute abgetan. Das hat sich nach dem 24. Februar grundlegend gewandelt. Nun steht der Mittelkorridor im Fokus.“
China und Almaty: Trassen sind nicht ausreichend, Stau in Häfen
Um ihn allerdings so weit zu etablieren, dass er vergleichbare Mengen aufnehmen kann wie der Nordkorridor, seien erhebliche Investitionen notwendig. „Die Trassen zwischen China und Almaty sowie in Kasachstan sind derzeit noch nicht ausreichend ausgebaut und ineffizient. Auch die Bahnverbindung zwischen Baku und Poti ist nicht darauf ausgelegt, Hunderttausende zusätzliche Container aufzunehmen“, sagt Sweens. Zu Staus komme es auch bei der Verladung in den Häfen von Aktau und im georgischen Poti am Schwarzen Meer.
Die Kapazitäten im Hafen von Aktau seien noch ausreichend. „Aber problematisch ist der geringe Tiefgang, der den Einsatz größerer Schiffe nicht ermöglicht.“ Zudem seien alle Nutzer auf dem Kaspischen Meer von einer einzigen Reederei abhängig, die nicht nach allgemeinen Fahrplänen fährt, sondern nach dem Ladungsaufkommen.
Transitzeiten werden deutlich verkürzt
Gleichwohl plädiert Sweens für den Mittelkorridor: „Man muss nur bedenken: Europa hat 20 Jahre benötigt, seine Verkehrswege auszubauen, da können wir von den Ländern kaum erwarten, dass sie das innerhalb weniger Monate schaffen.“ Aber es tut sich etwas: So haben die Premierminister von Kasachstan und Aserbaidschan im Juni die Gründung eines gemeinsamen Logistikunternehmens vereinbart. Mit dem Abkommen sollen Tarife vereinheitlicht und Transitzeiten auf zehn bis 15 Tage verkürzt werden.
Die HHLA-Tochter Metrans will die Zusammenarbeit mit der kasachischen Staatsbahn intensivieren. Auch andere deutsche Logistikunternehmen haben den Reiz des Mittelkorridors für sich erkannt, zum Beispiel Rhenus Logistics. Das Unternehmen plant einen Containerhub im Hafen von Aktau. Die Hamburger Luno-Gruppe, ein Spezialist für Ost-West-Geschäfte, ist ebenfalls an der transkaspischen Route interessiert. Auch ein Südkorridor über die türkischen Städte Kars und Istanbul wird geprüft.
EU Studie empfiehlt Ausbau der Alternative der Seidenstraße
„Wir sehen aus unserer Beratertätigkeit ein großes Interesse bei Firmen, sich an einem Ausbau zu beteiligen“, sagt Frank Busse, Unternehmensberater bei der HHLA-Tochter HPC Hamburg Port Consulting. „Kasachstan ist ein schnell wachsendes Land, das auf viele Güter aus dem Westen angewiesen ist. Unter anderem beraten wir ein Unternehmen in Almaty, das sein Eisenbahnterminal ausbauen will. Das kann für die HHLA ein bedeutender logistischer Raum werden.“
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Geplant ist auch der Schienenausbau zwischen der chinesischen Grenze und Almaty. Die EU ist ebenfalls an einer Alternative zur chinesischen Seidenstraße interessiert. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat für die Europäische Kommission mögliche Transportkorridore in Zentralasien untersucht und plant Maßnahmen und Infrastrukturinvestitionen, um auf dem Mittelkorridor ein Volumen von 865.000 Stahlboxen bei einer Transitzeit von 13 Tagen zwischen der EU und Asien zu erreichen. Mit dieser Transportdauer wäre der Mittelkorridor endgültig wettbewerbsfähig zur alten Seidenstraße.