Hamburg. Bundesweit fehlt bezahlbarer Wohnraum. Der Ruf nach einer Umwandlung leer stehender Büroetagen wird lauter – auch in der Hansestadt.

In Hamburg fehlen Tausende Wohnungen. Und es sieht nicht so aus, dass sich das ändert. Familien, Studierende, Migranten finden immer seltener eine bezahlbare Bleibe, vor allem Mietwohnungen sind mehr als knapp. Ein Ende der Spirale ist angesichts der steigenden Kosten und Zinsen beim Eigenheimbau nicht absehbar. Die Zahl der Baugenehmigungen hat sich in diesem Jahr fast halbiert. Bis einschließlich September ist in der Hansestadt der Bau von 3700 Wohnungen genehmigt worden, während es im Vorjahreszeitraum 7300 waren. Ziel des Senats ist es eigentlich, dass jedes Jahr Baugenehmigungen für mindestens 10.000 Wohnungen erteilt werden.

Parallel gibt es mehr Gewerbeimmobilien, die leer stehen. Weil seit der Corona-Pandemie viele Menschen im Homeoffice arbeiten und weniger Büroflächen gebraucht werden, weil Geschäfte schließen und sich keine neuen Mieter finden. Nach Berechnungen des Maklers Grossmann & Berger hat sich der Leerstand gegenüber dem Vorjahreszeitraum um knapp zehn Prozent auf rund 600.000 Quadratmeter in Hamburg erhöht. Tendenz steigend. Experten erwarten, dass die Leerstandsquote in den nächsten zwölf Monaten die Marke von fünf Prozent überschreiten wird. Die Neuvermietungen von Büroflächen sind schon eingebrochen: um 39 Prozent in den ersten drei Quartalen 2023, wie aus aktuellen Berechnungen des Immobiliendienstleisters CBRE hervorgeht.

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Da ist es eine naheliegende Idee, aus leeren und nicht mehr benötigten Gewerbeflächen, Wohnungen zu machen. Die Bundesregierung hat diese Idee sogar in ihr 14-Punkte-Programm aufgenommen, mit der in den nächsten Jahren die Schaffung von neuen Wohnungen angekurbelt werden soll. Das Ziel: bundesweit 400.000 neue Wohnungen im Jahr. Unter anderem will Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ein neues Förderprogramm der staatlichen KfW-Bank mit 480 Millionen Euro auflegen, um den Umbau von Büros in Wohnungen zu unterstützen. Bis zu 235.000 neue Wohneinheiten könnten so geschaffen werden, heißt es aus Berlin unter Berufung auf Schätzungen aus dem Bundesinstitut für Bau, Stadtentwicklung und Raumordnung.

Das klingt gut, aber in der Realität gibt es zahlreiche Hürden vom Bau- und Planungsrecht bis zu Eigentümerstrukturen und Renditeerwartungen. Bei Abendblatt-Recherchen kam heraus: In Hamburg gibt es bislang kaum Beispiele für größere Umwandlungsprojekte. „Wir wundern uns, dass nichts passiert. Das Potenzial ist erkannt, beschrieben, und die Erfordernisse sind benannt“, sagt Carsten Venus, Inhaber von Architekten Venus. Der 56-Jährige ist ein Vorreiter der Umnutzungsidee in der Hansestadt, hat sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt und treibt das Thema im Vorstand der Hamburger Architektenkammer voran.

27 Wohnungen in Hamburg-St. Georg in früheren Büros

Wie eine Umnutzung laufen kann, hatte der Architekt, damals mit dem Büro Blauraum Architekten, beim Handelshof (Lange Reihe) gezeigt. In dem denkmalgeschützten Backsteinkomplex, der nach den Plänen des Chile-Haus-Architekten Fritz Höger entstanden war, wurden bis 2010 die zum Hinterhof gelegenen Büros in 27 Wohnungen umgebaut. Redevelopment heißt das in der Fachsprache. Schon 2005 hatte Venus mit einem Team ein früheres UFA-Bürogebäude aus den 1970er-Jahren in der Bogenallee in Harvestehude umgewandelt. Auf vier Geschossen waren 15 Eigentumswohnungen entstanden.

Früher und heute: der Handelshof in der Langen Reihe 29 in St. Georg (Ansicht Hinterhof), wo Büroflächen in 27 Wohnungen umgebaut worden sind.
Früher und heute: der Handelshof in der Langen Reihe 29 in St. Georg (Ansicht Hinterhof), wo Büroflächen in 27 Wohnungen umgebaut worden sind. © Architekten Venus | Architekten Venus

Trotz der positiven Beispiele herrscht mehr oder weniger Stillstand beim Thema Umnutzung. Zwar waren bei der aufwendigen Sanierung der Stadthöfe in der Hamburger Innenstadt auch Wohnungen entstanden, aber das ist wie ein weiteres Vorhaben in der Bergedorfer Straße die Ausnahme.

Ein Grund, so Architekt Venus, der auch im Vorstand der Hamburger Architektenkammer ist: „Durch die niedrigen Zinsen in den vergangenen Jahren war das Geld billig, deshalb wurde neu statt umgebaut.“ Dazu kommt: Eigentümer von Gewerbeimmobilien haben komplett andere Kalkulationen als die von Wohnobjekten. „Oftmals ist auch ein längerer Leerstand attraktiver als eine Umwandlung in Wohnraum“, sagt er. „Der Leidensdruck muss schon groß sein.“

Hamburg hat keine Statistik zu Umnutzungsprojekten

Genaue Zahlen für Hamburg? Fehlanzeige! „Eine allgemeine Statistik über Umnutzungen von Gewerbeimmobilien zu Wohnungen wurde bislang zwar nicht geführt“, heißt es auf Abendblatt-Anfrage aus der Behörde von Stadtentwicklungssenatorin Karin Pein (SPD). Redevelopment-Projekte laufen in der Hansestadt eher unter dem Radar. „Die Bezirksämter sowie die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen loten im Austausch mit den Eigentümerinnen und Eigentümern alle Wege aus, um Umnutzungen zu Wohnraum zu ermöglichen“, so ein Behördensprecher. Dazu gehöre auch, dass die Hamburgische Investitions- und Förderbank im Rahmen der Hamburger Wohnraumförderung gezielt die Umwandlung von gewerblich genutzten Flächen zu Wohnraum mit anschließenden Mietpreis- und Belegungsbindungen fördere. Eine Prämie, die es vor einigen Jahren gab, wurde allerdings gestrichen.

Dass das Thema jetzt in den Fokus rückt, hat mit der wirtschaftlichen Lage im Land zu tun, aber auch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Arbeitsleben. Auch in Hamburg haben zahlreiche Firmen schon angefangen, Büroflächen zu reduzieren, oder wollen es in Zukunft tun. Die Immobilienspezialisten von Jones Lang LaSalle (JLL) haben in einer aktuellen Studie aus dem Juli das Potenzial für den Umbau in Wohnungen in sieben deutschen Metropolen untersucht. Insgesamt könnten 20.000 zusätzliche Wohneinheiten entstehen, so die Experten. Für Hamburg ergibt sich aus den Berechnungen eine Zahl von 2900 neuen Wohnungen durch Umwandlung. Immerhin.

Neue Studie sieht Potenzial für 2900 neue Wohnungen

Allerdings, stellt auch JLL-Studienleiter Helge Scheunemann fest: Bislang spielten Umnutzungen von Büros in Wohnungen in den untersuchten Großstädten kaum eine Rolle. Einzige Ausnahme sei die Bankenmetropole Frankfurt, wo sich die sogenannten Flächenkonversionen in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt hätten. Auch wenn es zahlreiche Aspekte, wie technische Kriterien, Lage und Anbindung sowie Kosten, zu beachten gebe, sieht Scheunemann einige Vorteile: Im Schnitt sind nach den Berechnungen von JLL die Kosten für einen Umbau um die Hälfte günstiger als für einen Neubau. Dazu kommt, dass Umbauen klimafreundlicher ist als Neubauen.

Aber nicht jede Bürofläche ist für eine Wohnung geeignet. Die Stadtentwicklungsbehörde verweist deshalb auch auf Projekte, bei denen auf den Grundstücken ehemaliger Bürogebäude Wohnungen entstehen oder beim Neubau auch ein Wohnanteil als separates Gebäude auf dem Gelände errichtet wird. Prominente Beispiele sind das Deutschlandhaus am Gänsemarkt, das Johann-Kontor, der ehemalige Allianz-Komplex zwischen dem Großen Burstah und der Nikolai-Kirche sowie das Projekt Ipanema in der City Nord und das ehemalige Euler-Hermes-Gelände in Bahrenfeld.

Wohnen in Hamburg: CDU-Bauexpertin kritisiert zögerliche Bauverwaltung

Doch es gibt Stimmen in der Hamburger Politik, denen das nicht reicht. „Wir haben in Hamburg viele unattraktive Bürogebäude“, sagt die Bauexpertin der oppositionellen CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft, Anke Frieling. Als ein Beispiel für einen Umbau nennt sie ein Bürogebäude in Bahrenfeld, das inzwischen eine Flüchtlingsunterkunft ist. „Das zeigt, dass Umwidmungen möglich sind, vor allem wenn der Druck größer wird. Und der Druck ist ja groß genug.“ Um klare Signale zu setzen, müsse die Stadt sich jetzt Gebäude strategisch anschauen und Musterbeispiele entwickeln. „Dazu gehört dann auch, dass B-Plan-Änderungen und Umbaugenehmigungen zügiger erteilt werden.“

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Architekt Carsten Venus sagt: „Wir merken, dass auf politischer Seite das Thema Wohnen und der Wille zu Veränderungen Fahrt aufnimmt, aber dass die Umsetzung in der Verwaltung stockt.“ Er setzt darauf, dass es in der nächsten Zeit neue Öffnungsklauseln geben wird, die Umbauten leichter machen. Dabei ist klar, dass diese Projekte nur ein Mosaikstein bei der Bekämpfung der Wohnungsknappheit sein können. „Im Schnitt sind von 100 Wohnungen, die erstellt werden, drei aus einem Umwandlungsprojekt“, sagt Venus.

Carsten Venus, Inhaber von Architekten Venus und im Vorstand der Hamburger Architektenkammer.
Carsten Venus, Inhaber von Architekten Venus und im Vorstand der Hamburger Architektenkammer. © Architekten Venus | Architekten Venus

Im Moment erarbeitet das Büro Architekten Venus in einem Netzwerk mit einer internationalen Beratungsagentur und einem Spezialisten für New Work an einer Strategie, um zu zeigen, dass die Transformation Wohnen statt Büro nachvollziehbar und wirtschaftlich ist. In seinen Büros in Hamburg und Osnabrück verzeichnet er aktuell steigende Anfragen von Immobilienbesitzern. „Wir untersuchen derzeit einige Objekte auf ihr Potenzial. Aber keines davon ist in Hamburg.“