Hamburg. Einfach abreißen und neu bauen – das ist fatal für das Klima. Eine Expertin erklärt, was in Hamburg dringend geändert werden muss.
Als der Begriff „graue Energie“Anfang 2019 erstmals im Hamburger Abendblatt erwähnt wurde, war er kaum bekannt. Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein und der damalige BUND-Vorsitzende Manfred Braasch forderten angesichts der Klimabelastung durch die Baubranche, vor jeder Abrissgenehmigung eine Analyse des Gebäudes zu erstellen, die dessen CO2-Ausstoß angibt und auch die bei Abriss und Neubau anfallenden Emissionen berücksichtigt.
Heute ist der Begriff, mit dem die Erstellungs-, Abriss- und Entsorgungsenergie eines Gebäudes gemeint ist, auch in Hamburg längst in den Fokus gerückt. „In der Wissenschaft wird das Thema natürlich schon lange diskutiert. Und in den letzten Jahren hat in Politik und Baubranche ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Aber es wird immer noch zu kurz gedacht“, sagt Alexa Lutzenberger. „Wir müssen auf die Ressourcen gucken!“
Immobilien Hamburg: Welche Häuser eigentlich gar nicht gebaut werden dürften
Die Ingenieurin mit eigenem Büro ist promovierte Naturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit und seit 2005 in den Bereichen Ressourcen, Klima und Energie tätig. Nach langer Tätigkeit an der Universität Lüneburg arbeitet sie mittlerweile als Beraterin in der Baubranche, ist im Landesvorstand des Bundes deutscher Baumeister und engagiert sich bei der Hamburger Stiftung MUT, die sich für Sanierung und Umnutzung innerstädtischer Bestandsgebäude einsetzt.
Als Beispiel für das „Bauen vor dem Bewusstseinswandel“ nennt sie das neue Deutschlandhaus am Gänsemarkt, das demnächst fertiggestellt wird. „Das ist eines von den Gebäuden, die heute eigentlich nicht mehr so gebaut werden sollten“, sagt sie sogar.
Klimaschutz Hamburg: Was bei Neubauten bedacht werden muss
Mit seinem großen überdachten Lichthof versiegele es enorm viel Fläche, es gebe keine Dachbegrünung und kein Regenwassermanagement. „Neubauten wie diese, zu denen übrigens auch das neue Johann Kontor am Hauptbahnhof gehört, tragen nicht zur Anpassung der Städte an den Klimawandel bei.“
Da die Planungen für das Deutschlandhaus im Jahr 2017 begonnen hätten, gäbe es keine Berechnungen zum CO2-Ausstoß, heißt es aus dem Büro von Hadi Teherani. Ein wesentlicher Ansatzpunkt des Entwurfs sei aber, die Emissionen über die gesamte Nutzungsdauer des Gebäudes so gering wie möglich zu halten.
Deutschlandhaus beim Gänsemarkt: Projektleiter betont Klimakonzept
Laut Projektleiter Christian Bergmann wurde die Typologie des Gebäudes als geschlossene Blockrandbebauung mit einem überdachten Atrium bewusst gewählt. „Bemessen am nutzbaren Innenraum haben wir so eine recht kleine Fläche, die im Sommer dem Wärmeeintrag über die Sonne ausgesetzt ist und im Winter eine potenzielle Quelle für Wärmeverluste darstellt, also gedämmt werden muss.“
Neben einem „sehr ausgeklügelten Klimakonzept“ für das Atrium, das sommers wie winters quasi als „Pufferzone“ wirke, verweist Bergmann auch auf Sonnenschutz- und Wärmeschutzverglasung, die Anbindung an das Fernwärmenetz sowie die hocheffiziente mechanische Lüftungsanlage inklusive Wärmerückgewinnung. Die verwendeten Ziegel hätten eine lange Lebensdauer und könnten recycelt werden.
Neubau: 60 Prozent der CO2-Emissionen entstehen bei der Herstellung
Für Alexa Lutzenberger sind das keine wirklich nachhaltigen Maßnahmen. „Man hätte recycelte Ziegel verwenden können – etwa aus dem abgerissenen Altbau.“ Generell reiche es nicht, Gebäude im KfW-40- oder KfW-50-Standard zu errichten und nur auf die Nutzungsphase zu schauen.
Denn mittlerweile entstünden 60 Prozent aller CO2-Äquivalent-Emissionen eines Gebäudes durch die Herstellung der Baumaterialien und im Bau. Im Betrieb sind es bis zu 40 Prozent – wird viel erneuerbare Energie zum Heizen und Kühlen eingesetzt, auch weniger.
Klimaschutz Hamburg: Auf Emissionen bei Technik und Materialien achten
Ob Neubau oder Sanierung – wer bei der Planung von Gebäuden die technische Ausstattung mit einbeziehe und darüber hinaus Materialien auswähle, die emissionsarm in der Herstellung sind, könne den Ausstoß schädlicher Klimagase deutlich reduzieren, so die Expertin.
Ein Beispiel, wie das funktionieren kann, liefert die Magna Real Estate AG mit den Plänen für das derzeit als Flüchtlingsunterkunft genutzte ehemalige Postbankareal in der City Nord. Geplant sind drei Bürogebäude und ein Wohnturm auf einer gemeinsamen Tiefgarage.
City Nord Hamburg: Ehemaliges Postbankareal wird zum Teil erhalten
Für das Vorhaben sollte der Bestandskomplex am Überseering zunächst abgerissen und neu gebaut werden. Nach einem Werkstattverfahren 2019 entschied man sich dann aber für den Entwurf des Büros Sauerbruch Hutton, das – anders als alle anderen Teilnehmer – keinen Komplettabriss vorsah.
Vielmehr soll die Rohbaustruktur des Bestandsgebäudes partiell erhalten bleiben, um Rohstoffe und CO2-Emissionen einzusparen. Neubau und Aufstockung sind teilweise in Holzhybridbauweise – einer Kombination von Holz und Beton – geplant.
5000 Tonnen CO2 werden durch Aufstockung und Erhalt eingespart
„Nachhaltigkeit ist uns seit Anbeginn ein Kernanliegen“, sagt Martin Göcks, Vorstand der Magna Real Estate AG. „Bestandserhalt und innovative Ideen zur Gebäudetransformation sind für uns ein essenzieller Weg für eine auch künftig erfolgreiche Projektentwicklung.“
Laut einer vorläufigen Bilanzierung ließen sich durch Teilerhalt und Aufstockung mehr als 5000 Tonnen CO2 gegenüber einem Komplettabriss und einem in herkömmlicher Weise errichteten Neubau einsparen. Darüber hinaus sollten wertvolle Baum- und Gehölzbestände weitmöglichst erhalten bleiben, Dach und Tiefgarage begrünt und ein Drittel der Dachfläche für die Gewinnungs von Solarenergie genutzt werden.
Klimawandel: Hamburg nimmt an Modellprojekt für nachhaltiges Bauen statt
Die 2019 von Denkmal- und Gebäudeschützerin Kristina Sassenscheidt und Umweltschützer Manfred Braasch geforderte CO2-Analyse gibt es in Hamburg noch nicht. Die grundsätzliche Idee dahinter, nämlich die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft, werde derzeit aber von der Stadt im Rahmen eines Modellprojekts vorangetrieben, heißt es aus der Stadtentwicklungsbehörde.
Seit Juni 2019 nimmt Hamburg als einzige Stadt in Deutschland an dem von der EU geförderten Projekt CIRCulT teil, das auch in Finnland (Helsinki), Dänemark (Kopenhagen) und dem Vereinigten Königreich (London) durchgeführt wird. CIRCulT („circular construction“) bedeutet „zirkuläres Bauen“ durch Wiederverwendung, Austausch und Reparatur von Baumaterialien.
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Das Projekt will – unter Einbeziehung von Behörden, Bauindustrie, kommunalen Partnern und innovativen Unternehmern und Wissenschaftlern – Lösungen aufzeigen, wie auch im Bausektor eine Kreislaufwirtschaft von Materialien und Ressourcen etabliert werden kann.
Immobilien Hamburg: Klimaschutz – Städte sind die „Rohstofflager der Zukunft“
Ziel ist es, den jährlichen Verbrauch an Rohstoffen in Neubaugebieten um 20 Prozent zu senken und Kosteneinsparungen von 15 Prozent zu erzielen. In Hamburg arbeiten die Senatskanzlei und die Fachbehörden, die Technische Universität Hamburg sowie die Unternehmen Eggers Tiefbau, Otto Wulff und Otto Dörner zusammen an der Umsetzung des Projektbeitrags. Im September soll die Abschlusskonferenz sein.
Um Klima und Natur zu schützen, komme man um das Recyceln von Ressourcen nicht herum, sagt Alexa Lutzenberger. Man müsse die Städte als „Rohstofflager der Zukunft“ betrachten. Denn global seien bereits 56 Prozent der natürlichen Ressourcen verbaut worden.