Der Praxistest steht noch aus. Er wird auch über die politische Zukunft von Schwarz-Grün entscheiden.
Hamburg. Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) hat beschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. "Wir gehen mit viel Kraft und guter Vorbereitung ins neue Schuljahr. Ich freue mich darauf", sagte die Senatorin in dieser Woche. Kein Wort davon, dass die Primarschulreform, die laut Goetsch nun "in die Phase der Umsetzung" geht, noch keineswegs in trockenen Tüchern ist.
Bei Licht betrachtet sind die kommenden zwölf Monate das Jahr der Entscheidung, was das größte Reformprojekt der schwarz-grünen Koalition angeht. Und das heißt auch: Es geht um das Wohl oder Wehe dieses ungewöhnlichen Bündnisses, um die Zukunft von Schwarz-Grün. Weil Christa Goetsch das weiß, ist ihre gute Laune eben auch ein bisschen wie das Pfeifen im Walde.
Das politische Risiko für Goetsch und ihre Mitstreiter hat einen Namen: Walter Scheuerl. Der Rechtsanwalt ist Macher und Motor der Volksinitiative "Wir wollen lernen", die nur ein Ziel hat: die Primarschulreform zu kippen. Vom 28. Oktober bis zum 17. November läuft das Volksbegehren gegen die Reform. Parallel dazu berät die Bürgerschaft das neue Schulgesetz, in dem die Primarschule festgeschrieben werden soll.
Trotz vernehmlichen Murrens in der CDU dürfte die schwarz-grüne Mehrheit stehen. Dass das Konzept der Reform ohne große Abweichungen das Parlament passieren wird, liegt auch an der kühnen Volte von Bürgermeister Ole von Beust. Der Senatschef hatte sich nicht nur aus Koalitionsräson, sondern inhaltlich uneingeschränkt zum längeren gemeinsamen Lernen bekannt. Für jeden Christdemokraten ist es seitdem kaum mehr möglich, gegen die Lichtgestalt in den eigenen Reihen aufzumucken.
Trotzdem gibt es für Scheuerls Initiative vor allem in bürgerlichen, CDU-nahen Kreisen Sympathien. Deswegen ist durchaus vorstellbar, dass das Volksbegehren erfolgreich abgeschlossen werden kann, wofür rund 60 000 Unterstützer-Unterschriften erforderlich sind. Ist das der Fall, wird am 4. Juli 2010 der Volksentscheid folgen - eine reguläre Abstimmung wie bei Wahlen.
Scheuerl und seine Gruppe haben ein Problem: Ihnen fehlen die kampagnenfähigen Bündnispartner. Die CDU fällt aus nahe liegenden Gründen aus. Die SPD ist in der Reformfrage gespalten. Es gibt Gegner der sechsjährigen Primarschule, aber die Beschlusslage der Partei ist eindeutig: für längeres gemeinsames Lernen.
Die Gewerkschaften, die über ihre Mitglieder eine hohe Mobilisierungswirkung entfalten könnten, fallen auch aus. Der Ver.di-Vorsitzende Wolfgang Rose und DGB-Chef Erhard Pumm (beides Sozialdemokraten) haben sich eindeutig für die Primarschule ausgesprochen. Auch die originär zuständige Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist stets für längeres gemeinsames Lernen an Schulen eingetreten.
Auch wenn man sich auf Grund unterschiedlicher Umfragewerte darüber streiten kann, wie hoch die Zustimmung für die Primarschule ist, bleibt festzuhalten: Die Frage ist ein Stück weit ent-ideologisiert. Wer für gemeinsames Lernen über Klasse vier hinaus ist, muss nicht mehr zwingend in das linke Lager eingeordnet werden. Selbst in wirtschaftsnahen Kreisen gibt es Sympathien für diese Reform. So haben die Unternehmensberater von McKinsey & Company in einer Bildungsstudie für die Robert-Bosch-Stiftung ausdrücklich festgehalten: Mit der Primarschulreform habe sich Hamburg die "erfolgversprechende Kombination" von längerem gemeinsamen Lernen und stärker individualisiertem Unterricht zu eigen gemacht.
Dennoch sollte der schwarz-grüne Senat gewarnt sein: Die Rathaus-Regenten haben schlechte Erfahrungen mit den Wählern bei Volksentscheiden gemacht. Die Initiative "Mehr Demokratie" führte den Volksentscheid für ein neues Wahlrecht am 13. Juni 2004 ganz ohne starken Partner und sogar gegen eine große Koalition von CDU und SPD zum Erfolg.
Sollten die Hamburger erneut wider den Stachel der etablierten Parteien löcken, wollen CDU und GAL das Ergebnis akzeptieren.