Der Anwalt von Ciftliks Ex-Freundin greift Bülent Ciftlik an und fordert Akteneinsicht in alle alten Fälle, an denen der SPD-Politiker beteiligt war.
Hamburg. Eigentlich ist alles schon vorbei, der Zeuge, ein Ermittler, hat seine Aussage fast beendet. Eigentlich geht es in Saal 1.01 des Amtsgerichts St. Georg um den Vorwurf der Anstiftung einer Scheinehe gegen den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Bülent Ciftlik, 38. Doch der Prozess war bisher an jedem Verhandlungstag für eine Überraschung gut - so auch gestern.
Denn plötzlich fällt das Wort "Wahlbetrug". Der Mann vom Landeskriminalamt war bei der Rekonstruktion gelöschter Daten darauf gestoßen. Daten, die sich auf einem beschlagnahmten Computer von Ciftlik befunden hätten. Dabei habe er, Martin E., 27, eine wiederhergestellte E-Mail auf dem Schirm gelesen. "Wir müssen aufpassen, dass das nicht als Wahlbetrug betrachtet wird", zitiert er aus der Mail. "Es ging um Leute, die zur Wahlkampfveranstaltung von Herrn Ciftlik entsandt wurden ..." - da fällt ihm der Verteidiger von Ciftlik ins Wort: Darum ginge es hier gar nicht.
Droht dem Politiker nun neuer Ärger? Fest steht: Die Staatsanwaltschaft hatte 2008 gegen unbekannt ermittelt: Unbekannte hatten während des Bürgerschaftswahlkampfes 2008 in Altona versucht, mit gefälschten Briefwahlanträgen an Briefwahlstimmzettel zu kommen. Die gut 100 Absender, überwiegend solche mit türkischen Namen, existierten zum Teil nicht oder wussten nichts von den Anträgen. Ciftlik, damals aussichtslos auf Platz vier der SPD-Wahlkreisliste, holte sich das Direktmandat - Unterstützer hatte Ciftlik nach eigenen Angaben vor allem bei den Deutschtürken im Wahlkreis geworben. "Während einer Durchsuchung der Wohnung von Ciftlik im Zuge der Scheinehe-Ermittlungen sind wir in Bezug auf das Verfahren wegen versuchten Wahlbetrugs auf eine neue Spur gestoßen", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. "Wir ermitteln weiter gegen unbekannt."
Als wäre der Prozess, der gestern in die vierte Runde ging, nicht schon genug. Zunehmend gereizt reagiert Ciftlik im Gerichtssaal, dreimal muss ihn sein Verteidiger bremsen, Johann Schwenn eine zornige Replik entgegenzuschleudern. Denn der Verteidiger von Bülent Ciftliks Ex-Freundin, der Mitangeklagten Nicole D., 33, setzt den Politiker und seinen juristischen Beistand höllisch unter Druck. Und Ciftlik weiß: Wird er verurteilt, ist er politisch am Ende.
Nun fordert Schwenn auch noch Einsicht in sämtliche Akten, in denen Ciftlik mal als Beschuldigter oder als Zeuge auftaucht. Damit ließe sich Ciftliks "Lebensprinzip" des "Tricksens und Täuschens" belegen. Der Politiker habe schon in einem früheren Landgerichtsverfahren, damals als Zeuge, die Unwahrheit gesagt habe. Der Verteidiger von Ciftliks kontert, das vorgeschaltete Amtsgericht habe keine Zweifel an Ciftliks Aussagen gehabt. "Wenn es ihm gelungen ist, eine Amtsrichterin hinters Licht zu führen", so zeige dies nur sein Geschick, sagt wiederum Schwenn.
Nach Ermittlungen der Anklagebehörde soll Ciftlik seine Ex-Freundin Nicole D. überredet haben, eine Scheinehe mit seinem Bekannten Kenan T. einzugehen. 3000 Euro soll er dafür als Kredit für seinen damaligen Wahlkampf erhalten haben. Während Ciftlik die Vorwürfe energisch bestreitet, hatte Nicole D. dazu bereits ein Geständnis abgelegt, das Ciftliks Verteidiger Cornelius Weimar gestern als "Lüge" geißelte.
Ein Geständnis, das die ersten Zeugen in den wesentlichen Punkten bestätigen. So wie die Polizistin Alexandra F., 39, die von der Durchsuchung der Wohnung von Nicole D. Mitte April 2009 berichtet. Dabei habe Nicole D. zugegeben, dass Ciftlik sie zur Scheinehe überredet habe. Weitere Indizien entdeckte sie in den persönlichen Aufzeichnungen der Angeklagten. Darin habe Nicole D. erklärt, dass sie in die Scheinehe nur eingewilligt habe, um eine "Hoffnung auf eine Perspektive mit dir (Ciftlik)" zu haben. Dass sie ihm "alles" gegeben habe: "meinen Körper, mein Geld, meinen Lebenslauf". Anlass für die Durchsuchung war eine getrennte Anhörung von Nicole D. und Kenan T., die einen Mitarbeiter der Ausländerbehörde stutzig gemacht hatte. Zudem, so erzählt der Chef des Einwohnerzentralamtes, Ralph Bornhöft, habe sich Ciftlik bei ihm persönlich nach einer Aufenthaltserlaubnis für Kenan T. erkundigt.
Am Montag wird weiterverhandelt. Bis dahin will das Gericht entscheiden, ob es Akten aus dem vorläufig eingestellten Ermittlungsverfahren gegen den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Metin Hakverdi heranzieht. In einigen Punkten widerspreche Hakverdi den Angaben von Nicole D., sagte Ciftliks Verteidiger. Der Politiker war von der Staatsanwaltschaft beschuldigt worden, Kenan T. und Nicole D. zur Absicherung ihrer Scheinehe beraten zu haben.