Die Ex-Partnerin des SPD-Politikers legte vor Gericht ein Geständnis ab. Auch der Abgeordnete Metin Hakverdi gerät ins Visier der Ermittler.

Hamburg. Vielleicht wird man den 24. April 2009 als den Tag in Erinnerung behalten, an dem das Ende der politischen Karriere von Bülent Ciftlik seinen Anfang nahm. Es war der Tag, an dem zwei Beamte auf eine Anzeige der Ausländerbehörde hin wegen des Verdachts einer Scheinehe um sieben Uhr morgens bei Nicole D. klingelten. Mit einem richterlichen Beschluss in der Hand durchsuchten sie die Wohnung der 33-Jährigen. Stutzig machte die Beamten, dass sie bis auf einige wenige Dinge nichts von ihrem Ehemann Kenan T. vorfanden. Nicht einmal eine Zahnbürste. Nicole D. saß dann neben einer Ermittlerin auf dem Sofa, auf dem Tisch vor ihr, so erzählt es die Angeklagte, lag ein Darlehensvertrag, darauf ein Name. „Hat er die Scheinehe initiiert?”, fragte die Polizistin. Nicole D. antwortete nicht. Sie nickte nur.

Ein Nicken, das womöglich ein Ermittlungsverfahren gegen einen der populärsten Vertreter der Hamburger SPD los trat - den Bürgerschaftsabgeordneten Bülent Ciftlik. Am Freitag, fast genau ein Jahr nach der Durchsuchung, legt Nicole D. vor dem Amtsgericht St. Georg ein Geständnis ab, während Ciftlik die Vorwürfe, eine Scheinehe angestiftet zu haben, vehement bestreitet. Länger als eine Stunde wird die Diplom-Kauffrau darüber sprechen: Über die Scheinehe mit Kenan T., die der Politiker vermittelt haben soll. Über Ciftlik, der versucht habe, falsche Zeugenaussagen zu akquirieren, über seine Verdunkelungsabsichten und Drohungen. Ciftlik hingegen spricht von der verschmähten Liebe einer eifersüchtigen Frau. Am Ende wird der Staatsanwalt ihr Geständnis als “glaubhaft” bewerten - und die Journaille, die in Gerichtssaal 101 en grosse versammelt ist, nur ungläubig den Kopf schütteln.

Gerichtssaal 101 ist vollbesetzt, und die Luft ist zum Schneiden. Vor zwei Wochen war der Prozess unterbrochen worden, nachdem zwei Verteidiger von Ciftlik überraschend ihre Mandate niedergelegt hatten. Der 37-Jährige verspätet sich ein paar Minuten und nimmt am Ende der Anklagebank Platz, links und rechts von ihm seine Anwälte. Im Fokus stehen erst einmal die Medien: Das Verfahren solle eingestellt werden, beantragt seine junge Verteidigerin: Ihr Mandant sei öffentlich vorverurteilt worden, und auch der Staatsanwalt habe schon vor Ende der Beweisaufnahme seinen Stab gebrochen. Damit, so folgert die Juristin, würden die Grundsätze eines fairen Verfahrens verletzt - zehn Minuten später weist der Vorsitzende Richter den Antrag zurück. Nach der juristischen Ouvertüre erzählt Nicole D., eine zierliche Frau mit blonden Haaren und gestärkten Brillengläsern: von ihrer Affäre mit Bülent Ciftlik, die vor fünf Jahren begonnen habe. Von ihrem Wunsch nach einer echten Partnerschaft mit dem Politiker. Von den 17.000 Euro, die sie ihm geliehen habe, damit er seinen Bürgerschafts-Wahlkampf finanzieren könne.

Und davon, wie sie zunächst noch an einen Scherz glaubte, als er ihr im November 2007 am Telefon mitteilte, dass er für Kenan T. eine “Frau zum Heiraten” suche und dass er an sie gedacht habe. „Er sagte, dass Kenan T. übel mitgespielt worden sei und er ihm helfen wolle, ein Bleiberecht zu erhalten”, sagt Nicole D. Nach anfänglichem Zögern habe sie zwei Monate später nachgegeben. „Er schmierte mir Honig ums Maul und deutete an, dass er an unserem Verhältnis arbeiten möchte. Ich hoffte, dass er damit eine ganz normale Beziehung meinte”, sagt die Diplom-Kauffrau. Mit Kenan T. hätten sie und Bülent für das Eingehen der Scheinehe 7000 Euro vereinbart, 3000 Euro habe Ciftlik bekommen sollen. Um sich vor eventuellen Ansprüchen Kenans zu schützen, habe sie auf einen Ehevertrag gepocht und sich auf Ciftliks Vermittlung hin von seinem Parteifreund beraten lassen: dem Anwalt und SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Metin Hakverdi, der Kenan T. bereits in einem früheren Scheinehe-Prozess anwaltlich beraten habe.

Nun hat die Hamburger Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss bei Hakverdi erwirkt. "Wir haben Anfang der Woche ein Ermittlungsverfahren gegen Herrn Hakverdi wegen des Verdachts der Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz eingeleitet", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers gegenüber abendblatt.de. Der Durchsuchungsbeschluss musste laut Möllers allerdings nicht vollstreckt werden. Rechtsanwalt Hakverdi habe sich kooperativ gezeigt und die geforderten Datenträger, Unterlagen und Anwaltsakten freiwillig herausgegeben. Hakverdi soll laut Staatsanwaltschaft ein Treffen mit einem weiteren Anwalt arrangiert haben, der Ciftliks frühere Lebensgefährtin Nicole D. über die Konsequenzen der Scheinehe rechtlich beraten und einen Ehevertrag aufgesetzt haben soll. Gegen diesen Anwalt wird allerdings nicht ermittelt. Er gab ebenfalls alle von der Staatsanwaltschaft geforderten Akten heraus. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass Hakverdi von Anfang an von der Scheinehe wusste. Am 29. Februar 2008 wurde die Ehe im Standesamt am Grindelberg geschlossen, Kenan T. habe als Hauptwohnsitz zwar ihre Wohnung angegeben, sie hätten jedoch zunächst in ihren eigenen Wohnungen gelebt.

Auf Geheiß von Ciftlik habe sie persönliche Dinge von Kenan in ihrer Wohnung deponiert, erst im Juni, nach der ersten Hausdurchsuchung, sei er zu ihr gezogen. „Kenan war da schon lange mit einer türkischen Frau verheiratet, mit der er zwei Kinder hat”, sagt Nicole D. Mitte 2009 hätten sie einen Urlaub mit seiner in der Türkei lebenden Familie verbracht. „Die Reise diente nur einem Zweck”, sagt die Angeklagte, „Urlaubsfotos zu machen, um eine ganz normale Ehe nachzuweisen zu können.” Gleichzeitig sei Ciftlik durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft enorm unter Druck geraten. Zwischen August 2009 und Januar 2010 habe sie ihm 18.000 Euro in bar für die Anwaltskosten geliehen - zu den 17.000, die er ihr schon geschuldet habe. „Ich habe aber nur 900 Euro zurück erhalten”, sagt sie - Ciftlik streitet das später ab. Einige Zuschauer lächeln oder gucken verblüfft. „Warum haben Sie das gemacht?”, will der Vorsitzende Richter wissen. „Ich habe ihm eben vertraut”, sagt Nicole D.

Die Chemie stimmte aber offenbar nicht mehr, als Nicole D. von Ciftlik aus einem Australienurlaub im Januar 2010 nach Hamburg zurückbeordert wurde. Da habe sie der Politiker gedrängt, eine eidesstattliche Versicherung zu unterschreiben, wonach sie keine Scheinehe mit Kenan T. führe. „Für den Fall, dass ich das Papier nicht unterschreibe, drohte er, er werde sein Netzwerk aktivieren und dafür sorgen, dass ich keinen Job mehr bekomme”, sagt Nicole D. Kenan und sie habe er zudem aufgefordert, „Zeugen zu besorgen, die bestätigen, dass wir eine ganze normale Ehe führen”. So hätten auch ein mit Ciftlik bekannter Fitnesstrainer und ihr Freund Jan B. zu seinen Gunsten aussagen sollen. Nicht nur das: Mit einem gewissen „Nick”, der ihr als ehemaliger Staatsanwalt vorgestellt worden sei, hätten Kenan, sie und ihre Schwester im Studio einer mit Ciftlik befreundeten Fotografin mögliche Zeugenvernehmungen regelrecht „durchgespielt”.

Es ist ein Verfahren mit allen Tricks. Die Nachfragen von Ciftliks Verteidiger Cornelius Weimar brandmarkt Nicole D.s Anwalt Johann Schwenn als “Eigentore”, die Absicht, Entlastungszeugen zu laden als „prozessuale Selbsttötung”. Die Verteidiger von Ciftlik haben sich indes auf den Staatsanwalt eingeschossen, der, blind für eine mögliche Unschuld von Ciftlik, lediglich Belastendes zusammengeschart habe. Der Staatsanwalt wiederum rät Ciftlik dringend zu einem Geständnis und sagt: „Es wäre schlimm, wenn hier Zeugen aufträten, die sich wegen Meineides oder Falschaussage strafbar machen würden.”

Äußerlich bleibt Bülent Ciftlik gelassen. Er wirkt ernst und konzentriert, sitzt da mit durchgedrücktem Rücken. Der Politiker verzieht keine Miene und bestreitet alle Vorwürfe. „Ich habe keine Scheinehe angestiftet”, sagt er. „Und ich habe auch kein Geld für so etwas bekommen.” Die Ausage von Nicole D. - eine Lüge. Die Dinge hätten sich nicht mal „ansatzweise” so zugetragen, wie sie sie geschildert habe. Er sei „schockiert”, der Vorwurf, er habe Zeugen gebeten, in seinem Sinne auszusagen, sei „empörend”. „Ich bin ein Kind dieses Rechtsstaates”, sagt Ciftlik. Es handele sich um einen „ehrabschneidenden Vorwurf”. Er sei immer davon ausgegangen, dass Kenan T. und Nicole D. eine Liebesbeziehung führten. Er habe sogar noch versucht, den beiden zu helfen, indem er bei der Ausländerbehörde angerufen habe.

Doch warum sollte sich die 33-Jährige selbst so schwer belasten? Aus verschmähter Liebe, wie Ciftlik es andeutet? „Entgeistert” habe Nicole D. reagiert, nachdem sie erfuhr, dass er sich mit einer anderen Frau verlobt habe. „Sie hat gesagt, sie könne es nicht ertragen, wenn ich mit einer anderen Frau eine feste Beziehung eingehe”, sagt Ciftlik. Nach sieben Stunden endet der zweite Verhandlungstag. Verteidiger Johann Schwenn hat bereits eine Abtrennung des Verfahrens gegen seine Mandantin beantragt - unter Umständen müsste sie, wenn das Gericht zustimmt, später erneut gegen Ciftlik aussagen, dann aber als Zeugin. Wenn am 10. Mai weiter verhandelt wird, will Ciftlik auch zur ominösen E-Mail aussagen, die am 15. April bei der Staatsanwaltschaft eingegangen war. In der Mail soll Nicole D. ihre belastende Aussage zurückgenommen haben. Die Angeklagte beteuert jedoch, keine einzige Zeile der Mail geschrieben haben. Offenbar muss in diesem Prozess unter der ganzen schmutzigen Wäsche die reine Wahrheit mit der Lupe gesucht werden.