Hamburg. Experte sagt: Gemeinsamer Wahltermin hätte einen wichtigen Vorteil. Eine Partei würde am stärksten profitieren – die überraschenden Gründe.

  • Politikexperte erklärt, welchen großen Nachteil zwei Wahlen an aufeinanderfolgenden Sonntagen hätten
  • Er sagt: „Eine niedrige Wahlbeteiligung kann nicht im Interesse der Hamburger Politik sein“
  • Grünen-Wähler in Hamburg lassen sich am leichtesten mobilisieren, zur Wahl zu gehen

Der Hamburger Parteienforscher Prof. Elmar Wiesendahl sieht gute Gründe, einen gemeinsamen Termin von Bundestagswahl und Bürgerschaftswahl am 23. Februar sehr ernsthaft zu erwägen – und zwar auch unabhängig von den Interessen der Hamburger Parteien.

„Bei zwei Wahlen innerhalb von nur einer Woche wird die Wahlbeteiligung für die nachgelagerte Bürgerschaftswahl deutlich geringer ausfallen“, sagt der Hamburger Politologe. Dieses sei eine Erfahrung aus anderen kommunalen Wahlen. „Eine niedrige Wahlbeteiligung kann nicht im Interesse der Hamburger Politik sein, auch weil es die Legitimität der neu gewählten Bürgerschaft senkt.“ Was die Parteien betrifft, müsste aus seiner Sicht vor allem die Hamburger SPD Nachteile durch die niedrigere Wahlbeteiligung befürchten. Der Grund dafür überrascht.

Nach Ampel-Aus: Neuwahlen zum Bundestag sorgen für Planänderung in Hamburg

Das Scheitern der Ampel-Regierung beschert der Hamburger Politik ein besonderes Problem: Die Neuwahlen zum Bundestag, nach derzeitigen Plänen am 23. Februar, liegen nur eine Woche vor der seit Langem für den 2. März angesetzten Bürgerschaftswahl 2025.

Zwei Wahlen an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen – das hat in Hamburg den Ruf nach Zusammenlegung des Termins laut werden lassen. FDP, Steuerzahlerbund und auch die CDU fordern, die Bürgerschaftswahl auf den 23. Februar vorzuziehen, weil so Kosten gespart und die Organisation erleichtert werden könnten. Für den Senat ist die Rechtssicherheit der Wahl entscheidend, die durch eine Verkürzung der Fristen gefährdet sein könnte. Am Donnerstagnachmittag wollen die Parteien im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft mit Landeswahlleiter Oliver Rudolf über diese Frage beraten.

Politikwissenschaftler für Zusammenlegung beider Wahlen – mit wichtigem Argument

Der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl empfiehlt nun eine Zusammenlegung der beiden Wahlen: „Wenn an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden zwei wichtige Wahlen stattfinden, wird die Wahlbeteiligung für die nachgelagerte Bürgerschaftswahl deutlich geringer ausfallen“, sagt er. „Eine Zusammenlegung wäre im Interesse der Hamburger Politik. Es kann den Hamburgern nicht recht sein, wenn die Wahlbeteiligung sinkt.“ Dieses könne auch ein gewichtiger Grund für die Parteien sein, die seit Langem bestehenden Pläne für die Bürgerschaftswahl am 2. März noch einmal abzuändern. „Es ist auch demokratietheroretisch ein schlagendes Argument. Niemand kann sehenden Auges eine niedrigere Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl 2025 in Kauf nehmen wollen“, sagt er dem Abendblatt.

Die Hamburger Politiker*innen Dennis Thering, Peter Tschentscher, Katharina Fegebank
Die Spitzenkandidaten Dennis Thering (CDU), Peter Tschentscher (SPD) und Katharina Fegebank (Grüne) treten bei der Bürgerschaftswahl 2025 in Hamburg gegeneinander an. © Roland Magunia, Marcelo Hernandez (2) | Roland Magunia, Marcelo Hernandez (2)

Indirekt könnte sich eine niedrigere Wahlbeteiligung aber auch auf die Chancen der Hamburger Parteien auswirken, und das hat laut Wiesendahl mit ihrer unterschiedlichen Fähigkeit zur Mobilisierung ihrer Anhänger zu tun, tatsächlich am Wahlsonntag wählen zu gehen. So hänge die Wahlbeteiligung auch vom sozialen Hintergrund der Wählerinnen und Wähler ab.

Hamburg: Wer die größten Nachteile von zwei Wahlterminen hätte

„Die größten Nachteile von zwei aufeinanderfolgenden Wahlterminen muss die Hamburger SPD befürchten“, so der Politologe. „Sie wird die größten Probleme haben, ihre Anhänger beispielsweise in Billstedt und Wilhelmsburg am zweiten Wahlsonntag auch noch an die Urnen zu bringen.“ Genervt von der neuerlichen Wahl, könnten sie zu Hause bleiben. In gutbürgerlichen Stadtteilen sei die Wahlbereitschaft dagegen traditionell hoch. „Bei den Grünen-Anhängern ist die Mobilisierungsbereitschaft am größten. Sie haben es am leichtesten, ihre Wähler in die Wahllokale zu bringen“, sagt Wiesendahl. „Verlierer von zwei aufeinanderfolgenden Wahlterminen für die Bundestags- und die Bürgerschaftswahl wäre die Wahlbeteiligung und in der Folge die Hamburger SPD, die wegen der geringeren Wählerbeteiligung ihr Potenzial nicht würde ausschöpfen können.“ 

Wie wirken sich aber das Scheitern der Ampel-Regierung und die Neuwahlen generell auf die Chancen der Hamburger Parteien bei der Bürgerschaftswahl aus, unabhängig von Wahlterminen? Nach Wiesendahls Einschätzung gewinnt die Hamburger CDU daran am meisten. „Friedrich Merz wird diese Bundestagswahl gewinnen; die Frage ist nur, ob er 30 Prozent bundesweit bekommt oder mehr. Die Hamburger CDU wird diesen Bundessog, ganz unabhängig von ihrem eigenen Spitzenpersonal, abschöpfen und im Ergebnis davon profitieren.“

Politikexperte: Hamburger SPD kann nicht auf Mitleidseffekt hoffen

Umgekehrt müsse die SPD in Hamburg Nachteile befürchten, denn die Sozialdemokraten könnten im Bund nicht reüssieren, egal ob Olaf Scholz oder Boris Pistorius für sie als Kanzlerkandidat antrete. „An einen Mitleidseffekt für die SPD bei einer späteren Bürgerschaftswahl, wenn die Partei zuvor im Bund schlecht abgeschnitten hat, glaube ich nicht. Die SPD in Hamburg kann nicht damit rechnen, dass die Wählerinnen und Wähler eine Woche nach der Bundestagswahl, bei der die SPD abstürzt, in Hamburg ihr Kreuz aus Mitleid bei den Sozialdemokraten machen.“

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Die Hamburger FDP werde es ohnehin schwer haben, in die Bürgerschaft zu kommen. Die Bundesgrünen seien in einem Tief. Spitzenkandidat Robert Habeck sei keineswegs der Phoenix aus der Asche; ihm laste das Scheitern der Ampel-Regierung sowie als Wirtschaftsminister die aktuelle Wirtschaftslage an. „Die Hamburger Grünen müssen in Hamburg also auf die eigene Stärke setzen – aber sie sind hier auch stark und können sich auf ihre Milieus verlassen, auf stabile 20 Prozent hoffen.“ Der BSW, der in Hamburg ja sowohl zur Bundestagswahl als auch zur Bürgerschaftswahl antreten will, werde andere Parteien nach Auffassung des Politikwissenschaftlers bluten lassen, und zwar nicht nur die Linke, sondern auch die SPD. „Wegen des Ukrainekrieges dürften sich auch ältere Willy-Wähler – also solche, die mal wegen Willy Brandt zu SPD-Anhängern geworden sind – dem BSW zuwenden.“

Wahltermine in Hamburg: Ausschuss berät mit Landeswahlleiter

Der letzten Umfrage zufolge, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Abendblatts Ende Oktober erhoben hat, liegt die SPD bei der Bürgerschaftswahl vorn. Anders sieht es bei der Bundestagswahl aus. Für ein Vorziehen der Bürgerschaftswahl auf den Tag der Bundestagswahl sprechen neben Kosten- auch organisatorische Gründe. Unter anderem ist es schwer, für beide Tage 15.000 Wahlhelfer und Wahlhelferinnen zu gewinnen.

Für den rot-grünen Senat steht im Vordergrund, dass die Bürgerschaftswahl rechtssicher und fair über die Bühne gehen muss. Kleine Parteien könnten sich durch die Verkürzung der Fristen benachteiligt fühlen und klagen, so die Befürchtung. „Gerade auch vor dem Hintergrund der bundespolitischen Unwägbarkeiten legt der Senat weiterhin Wert auf ein rechtssicheres Verfahren zur Neuwahl der Hamburgischen Bürgerschaft“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) dem Abendblatt auf Anfrage. Es verstehe niemand in Hamburg, warum man zwei Sonntage hintereinander wählen solle, sagte sein CDU-Herausforderer Dennis Thering.

Ähnlich äußert sich nun Ex-Senatorin Herlind Gundelach, Vorsitzende der Senioren Union in Hamburg. „Alles zusammengenommen, spart eine zusammengelegte Wahl nicht nur Geld, sondern sie trägt auch dazu bei, die Wahlbeteiligung für die Hamburger Wahl deutlich zu erhöhen, denn an Bundestagswahlen nehmen in der Regel deutlich mehr Menschen teil als Landtagswahlen“, sagt sie. „Senat und Bürgerschaft sollten hier über ihren Schatten springen, denn beiden muss daran gelegen sein, ein möglichst repräsentatives Wahlergebnis bei der kommenden Wahl zu erhalten.“ An der Bürgerschaftswahl 2020 beteiligten sich 63 Prozent der Wahlberechtigten, bei der Bundestagswahl 2021 stimmten 77,8 Prozent der berechtigten Hamburgerinnen und Hamburger ab.