Hamburg. Einige Parteien fühlen sich durch die vorgezogene Bundestagswahl benachteiligt. Womit Hamburger Landesverbände aktuell zu kämpfen haben.
- In einem Schreiben an Olaf Scholz beklagten kleine Parteien, ein vorgezogener Wahltermin widerspreche „den Grundsätzen einer fairen Demokratie“
- Wie gut schlagen sich die kleinen und neuen Parteien in Hamburg aktuell?
- Ein Überblick über die Situation vom BSW bis zur Tierschutzpartei
In einem offenen Brief haben zahlreiche Kleinparteien die „übereilten Neuwahlen“ beklagt. Kleine Verbände wie die Piraten- und Tierschutzpartei sowie die ÖDP würden durch den neuen Termin für die Bundestagswahl benachteiligt, heißt es im Schreiben. Besonders problematisch: Für die Landeslisten müssen sie bis Weihnachten zahlreiche Unterschriften von Unterstützern sammeln.
„Im Fall vorgezogener Neuwahlen blieben uns wenige Wochen“, kritisieren die Autoren. Diese Hürde sei „unzumutbar“ und widerspreche „den Grundsätzen einer fairen Demokratie“. Adressiert ist der Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und den Deutschen Bundestag. Die Kleinparteien bitten darum, die Zahl der Unterschriften anzupassen, um „demokratische Fairness“ herzustellen. Wie gut schlagen sich die kleinen und neuen Parteien in Hamburg aktuell?
Doppelwahl 2025: Bündnis Sahra Wagenknecht zählte in Hamburg zuletzt 960 Unterstützer
Lange durfte gemunkelt werden, ob auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft auf dem Zettel steht, oder ob sich die junge Partei vorerst auf Landtagswahlen im Osten und die Bundestagswahl konzentriert. Doch siehe da: Erst kürzlich sagte Żaklin Nastić, Hamburger Ex-Linke und BSW-Bundestagsabgeordnete, dem Abendblatt: „Ja, wir werden unseren Landesverband des BSW am 15. Dezember in Hamburg gründen und auch eine Liste zur Bürgerschaftswahl aufstellen.“ Schon seit Monaten sei die Partei mit dem Wahlprogramm für Hamburg beschäftigt.
Wer als Spitzenkandidat antreten könnte? Das ist bislang völlig unklar. Neben der Landesbeauftragten Nastić zählt Fabio De Masi (ebenfalls vormals Linke) zu den großen Namen beim BSW in Hamburg. Er hat sich allerdings schon für die Partei ins Europaparlament wählen lassen. Außerdem: Ein bekannter Name und eine eindrückliche Biographie müssten nicht bedeuten, dass sich die jeweilige Person auch aufstellen lassen will, sagt Nastić.
„Wir sind hochmotiviert und zuversichtlich. Trotzdem: Das wird natürlich ein Kraftakt, beide Wahlen zu stemmen“, so die Landesbeauftragte gegenüber dem Abendblatt. Trotz sehr geringer Mitgliederzahlen zähle das BSW auf ausreichend Helfer im Wahlkampf: „Wir haben zwar nur 28 Mitglieder, aber mittlerweile etwa 1000 Unterstützer in Hamburg, die auch bei der Vorbereitung der Wahl helfen wollen“, sagt Nastić. „Das ist bei uns ein bisschen anders als bei anderen Parteien – es gibt sozusagen keine Karteileichen.“
Das BSW zeigt sich bundesweit restriktiv, was die Aufnahme von neuen Mitgliedern anbetrifft. Den offenen Brief der Kleinparteien hat das BSW nicht unterzeichnet.
Volt Hamburg: „Wir befinden uns im Endspurt“
Volt konnte bereits alle 1000 Unterschriften für die Landesliste sammeln. Um in allen 17 Wahlkreisen anzutreten, braucht die Partei zudem für jeden Wahlkreis mindestens 100 Unterzeichner. „Wir befinden uns im Endspurt“, sagt Jacob Schoo, Co-Vorsitzender des Landesverbands Hamburg. Die Mitglieder hätten tatkräftig auf den Straßen gesammelt. „Bis zum 24. Dezember um 16 Uhr muss alles eingereicht sein. Wir denken, dass wir schon deutlich früher damit fertig sind.“
Ebenso zuversichtlich zeigt sich Schoo mit Blick auf die Bundestagswahl. Insgesamt müsse die Volt-Partei 1299 Unterschriften zusammenbekommen. „Die Zeit ist knapp, aber wir sind überzeugt, dass wir es schaffen“, stellt Schoo klar. Seit der Europawahl im Juni habe sich die Mitgliederzahl in Hamburg auf rund 350 verdoppelt. Nun sei der Enthusiasmus spürbar: „Unsere Mitglieder wollen etwas bewegen.“ Zudem würden Mitglieder aus anderen europäischen Ländern den Verband unterstützen.
Allerdings sehe sich Volt Hamburg nicht als Kleinpartei und habe sich auch nicht an dem offenen Brief der anderen Parteien beteiligt, heißt es von der Partei. Erklärtes Ziel sei bei der Bürgerschaftswahl der Einzug in allen 17 Wahlkreisen.
„Bei der Bundestagswahl stehen wir zudem vor Herausforderungen, die für alle Parteien gelten. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Druckdienstleistern für Wahlplakate, und alle Parteien wollen jetzt deren Kapazität für ihre Plakate. Die Erstellung der Wahlprogramme erfordert ebenfalls viel Zeit. Wir werden dennoch ein großartiges Programm haben, hätten aber genauso wie die anderen Parteien gerne noch mehr Zeit gehabt. Das sind jetzt Herausforderungen, mit denen wir auskommen müssen. Es sind aber keine, vor denen wir exklusiv stehen.“
Wählervereinigung für Frieden und Gerechtigkeit sieht Unterschriften als „schaffbar“
Bei der Wählervereinigung „Die Wahl für Frieden und soziale Gerechtigkeit“ sei das Spaß- derzeit höher als das Stresslevel, sagt Die-Wahl-Mitgründer Martin Dolzer: „Wir arbeiten hart, aber mit Spaß. Politik zu entwickeln, ist gesellschaftlich wichtig und geht mit Verantwortung einher, darf aber auch Freude machen.“
Die Wählervereinigung, die sich als linke oppositionelle Kraft in Hamburg begreift, will bei der Bürgerschaftswahl antreten. Sie war erst Ende Oktober von Dolzer und seinen Mitstreitern Keyvan Taheri und Mehmet Yildiz – alle drei Ex-Linke – gegründet worden. Man befinde sich angesichts der näher rückenden Bürgerschaftswahl nun in intensiven Vorbereitungen.
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Die junge Wählervereinigung gewinne immer mehr Befürworter, erzählt Dolzer: „Wir wachsen. Wir bekommen täglich neue Mitglieder dazu.“ Eine genaue Zahl könne er aber nicht nennen. „Auch die Landesliste wird relativ groß sein, mit rund 20 Personen aus vielen Bereichen der Gesellschaft“, berichtet das frühere Linkenmitglied.
Die besagte Landesliste soll am Sonntag aufgestellt werden, ebenso wie die Listen für mehrere Wahlkreise. „Danach“, das heißt vom 25. November an, dürfte „Die Wahl“ auf Hamburgs Straßen unterwegs und auf Stimmenfang sein. Weil es sich um eine neue Wählervereinigung handelt, sind stadtweit 1000 Unterschriften notwendig, um zur Wahl zugelassen zu werden. Ob sie die erforderlichen Signaturen zusammenbekommen? „Das ist sicher schaffbar“, befindet Dolzer.
Piraten haben bislang keine einzige Unterschrift gesammelt
Schon jetzt ist der Druck bei den Piraten hoch. Bei der aktuell dichten Wahl-Abfolge sind die Herausforderungen für die von Aktivisten und Idealisten gegründete Partei „enorm groß“. In diesem Jahr sei viel Geld und Zeit in eine Doppelwahl geflossen. Nach Europa- und Bezirkswahl stehe Anfang kommenden Jahres eine ähnliche Situation bevor. „Davon lassen wir Piraten uns aber nicht unterkriegen und machen jetzt mobil, wo wir können“, sagt Niklas Koopmann, Vorstandsvorsitzender Piratenpartei Hamburg.
Ein vorgezogener Wahltermin wirke sich nur begrenzt auf die Wahlkampfplanung aus, Vorkehrungen für die Bürgerschaftswahl wurden bereits getroffen. Falls die Partei zur Bundestagswahl mit ihrer Landesliste zugelassen werden sollte, müssen Ressourcen „schlichtweg früher abgerufen werden als geplant“.
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Die Piraten sind Unterzeichner des offenen Briefs – der Landesvorsitzende der Piratenpartei Niedersachsen, Thomas Ganskow, startete eine Petition. Den verkürzten Wahlkampf empfinden sie nicht nur als „unfair und unpraktisch, sondern als hochgradig undemokratisch“, so Koopmann. Alle kleineren Parteien würden von einer Teilnahme an der Bundestagswahl ausgeschlossen.
Doppelwahl 2025: „Die Situation könnte für uns schlimmer nicht sein“
Auch die Piraten benötigen 1000 Unterschriften für die Bürgerschaftswahl, 1300 für Bundestagswahl. Noch sei keine einzige Unterschrift gesammelt worden, so Koopmann. „Die Situation könnte für uns schlimmer nicht sein.“ Hamburgerinnen und Hamburger seien zudem erfahrungsgemäß weniger motiviert, in der klirrenden Kälte über Politik zu diskutieren, was das Sammeln von Unterschriften weiter erschwere, so der Vorstandsvorsitzende.
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Eine weitere Hürde: Die Piraten setzen im Wahlkampf auf Social Media. „Ausgerechnet gestern wurde allerdings unser Instagram-Account wegen des Verdachts, jemand versuche sich als Piratenpartei Hamburg auszugeben, endgültig gesperrt.“ Ob die Piraten diese Probleme über Bord werfen können, erfahren Wählerinnen und Wähler auf anderen Social-Media-Kanälen – und letztlich auf dem Wahlzettel.
Tierschutzpartei: „In allen Bundesländern ist das nicht mehr zu schaffen“
Bei der Tierschutzpartei habe erst am vergangenen Samstag in Hamburg die Aufstellungsversammlung stattgefunden, teilt ein Sprecher auf Anfrage des Abendblatts mit. „Daher konnten auch noch keine Unterschriften gesammelt werden. Die Herausforderung, die Unterschriften noch rechtzeitig zu sammeln, ist immens.“ Zudem sei die Partei nicht mitgliederstark, wodurch die „Sammel-Arbeit“ an relativ wenigen Personen haften bleibe. Die Partei gesteht: „In allen Bundesländern ist das nicht mehr zu schaffen in der verbleibenden Zeit.“ Somit fehlten auch für einen „wirklichen Wahlkampf“ Zeit und Kapazitäten, Wahlplakate und Flyer seien noch im Entwurf, nicht im Druck.