Hamburg. Hinter sehr speziellen Essenswünschen stünden beispielsweise Macht-Themen. Expertin aus Hamburg warnt vor verheerenden Folgen. Einige Fehler machen fast alle Eltern.
- Expertin alarmiert: Kinder werden krank durch dauerndes Essen, Essstörungen seien vorprogrammiert
- Beraterin mit Praxis in Hamburg: „Eltern sind verzweifelt und unsicher, da geht es oft gar nicht mehr um die Ernährung.“
- Wie Familienessen wirklich geht und wie oft Kinder essen sollten. Gesunde Routinen sind gefragt.
Überall in Hamburg, 15 Uhr: Eine Mutter betritt eine Kita, ihr Kind springt ihr in die Arme. „Hallo Mama, was hast du für mich dabei?“ Die Mutter lacht. „Hallo du, heute die Einhornmaisflips!“ Das Kind wendet sich ab. „Na gut. Wollte aber lieber Brezel heute.“ Diesen oder ähnliche Dialoge finden in der ganzen Stadt täglich tausendfach statt. In Kitas, Grundschulen, auf Spielplätzen, in Turnhallen oder in Umkleiden. Kinder verlangen nach Snacks. Eltern haben diese dabei. In mehrfacher Ausführung. Snackification heißt dieses Dauersnacken, das immerwährende Futtern seit Neuestem.
Nach dem Mittagessen, das Kinder in Hamburg zumeist in Schulen oder Kitas zu sich genommen haben, oder schon zuvor geht es los: Es wird gesnackt. Daher kommen die Flips, Kekse, Maiswaffeln oder Riegel in Brotdosen oder Tüten, frisch aus dem Drogerieregal oder vom Bäcker. Verputzt wird in Dauerschleife, auf Apfelschnitze folgen Quetschies, dann noch ein Brötchen. „Fatal“, so das eindeutige Urteil von Susanne Büscher, Ernährungsberaterin aus dem Alstertal.
Der Körper reagiert mit Alarmsignalen: Warum Dauersnacken bei Kindern „fatal“ ist
„In puncto Ernährung von Kindern sehe ich komplett verunsicherte Eltern, die gar nicht mehr wissen, was sie wann ihren Kindern zu essen geben sollen“, so Büscher. „Mittlerweile ist es in vielen Familien so, dass die Kinder nach ihren Lieblingsgerichten verlangen, es wird also kein Familienessen mehr zubereitet, von dem alle essen, sondern für jeden was anderes.“ Falls am Ende des Tages überhaupt gemeinsam an einem Tisch gegessen werde – meistens sei kein Kind wirklich hungrig, dem Dauersnacken zuvor sei Dank.
„Snackification per se bedeutet ja, dass in kleinen Abständen immer eine geringe Dosis an Essen reingeschoben wird“, erklärt Büscher, kaum ein Kind esse mal mehrere Stunden nichts, vielmehr immerzu ein bisschen. „Das bedeutet, dass der natürliche Verdauungsprozess gar nicht zustande kommt, weil es viel zu wenig Nahrung ist und eine geregelte Arbeit des Darms nicht erfolgt.“ Und damit die Aufnahme der einzelnen Nährstoffe nur unzureichend erfolgen könne. „Die Folge für die Kinder: Bauchschmerzen, Blähungen oder Unverträglichkeiten, das ist vorprogrammiert“, sagt die Expertin. Auch der Blutzuckerspiegel „wird durch das Reinpfeifen von Kohlehydraten immer wieder hochgefahren, das ist absolut nicht gut.“
In ihrer Praxis, die sie seit fünfzehn Jahren betreibt, sieht sie verzweifelte Familien und Essstörungen bei Kindern in jede Richtung: adipös oder anorektisch, einige essen zu viel, das Falsche, andere von allem viel zu wenig. „Die Eltern sind so unsicher, da geht es oft gar nicht mehr um die Ernährung an sich, da stehen andere Themen dahinter“, meint die Ökotrophologin. „Ich nehme wahr, dass Kinder mittlerweile ein Projekt ihrer Eltern sind, die Familien wollen nach außen bestens wirken und lassen sich aber von allem vereinnahmen. Denken, dass Nahrungsergänzungsmittel helfen, Gummibärchen mit Mikronährstoffen kaufen, damit die Kinder für den Schulalltag gewappnet seien.“
Expertin aus Hamburg rät: Zuhause am Tisch essen, nicht Kinder über Gerichte bestimmen lassen
Es ist zu hören, dass Büscher es unglaublich findet, wie einige Eltern den Kompass verloren haben. „Fragt die Kinder bloß nicht, was sie essen wollen“, rät sie ihren Klienten, „das sind oftmals Macht-Themen.“ Es ginge auch darum, mal ein Gericht zu essen, was nicht das Lieblingsessen sei, nicht nur dem Appetit und aktuellen Bedürfnis zu folgen. „Man kann ja einen wöchentlichen Essensplan besprechen und dann darf jedes Kind einen Wunsch äußern. Ich habe hier aber Kinder, die sagen, ‚ich esse nur dieses bestimmte Brötchen mit diesem einen runden Käse, und das auch nur mittwochs und linksrum‘, da geht es ums Gesehen-Werden, nicht ums Essen.“
Ihr Appell: „Hört auf, die Kinder beliebig vollzustopfen!“ Vor allem nicht mit Ungesundem: leeren Kohlenhydraten oder Industriezucker. Was ist mit dem guten alten Butterbrot für unterwegs? „Eine gute Idee, für viele Eltern aber unvorstellbar, da man es vorplanen muss und Zeit zum Zubereiten braucht“, meint Büscher. „Wenn ich den Eltern dann aber ganz pragmatisch erkläre, dass sie ebenso viel Zeit in der Schlange beim Bäcker für ein Franzbrötchen am Nachmittag für ihre Kinder anstehen, sehen es viele ein.“
Absolutes No-Go: Anderen Kindern ungefragt Snacks geben. Selbst bei Hunden würde gefragt
Sowieso sieht sie die Eltern in der Verantwortung, mit den Essgewohnheiten ein Vorbild zu geben, dass die Kinder dann auch in ihr eigenes Erwachsenenleben mit hinübernehmen könnten. „Der Alltag vieler Eltern ist gefüllt mit Events und Veranstaltungen, zu Hause ist man selten, es wird viel mitgenommen, oder Kinder essen von anderen mit, ohne dass es vorher abgesprochen wird, was die betroffenen Eltern sehr unglücklich macht“, weiß Büscher. „Weil man höflich sein möchte, sagt man dann nichts. Obschon man jeden Hundebesitzer doch vorher fragen würde, ob man seinem Hund etwas zu essen geben dürfe. Bei Kindern passiert das oft ungefragt.“
Zwischenmenschliche Themen, Emotionen und die eigene Geschichte spielen also bei der Art, Kinder zu ernähren eine bedeutende Rolle. „Aktuell erleben wir die erste Generation Kinder von essgestörten Müttern, die Frauen wissen gar nicht mehr, wie es geht.“ Unter anderem würden deren Kinder dann mit vermeintlich guten Snacks wie Quetschies, püriertem, hocherhitztem und haltbar gemachtem Obstbrei aus dem Plastikbeutel „ruhig gestellt, obwohl da der letzte Abfall drin ist“, meint Büscher. „Was für viele eine Rolle spielt, ist, dass man das Quetschie nur dem Kind mit einer Hand hinhalten muss und die andere fürs Handy freihat – also mehr Zeit, in der man sich nicht mit dem Kind beschäftigen muss.“
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Wichtig für Kinder sei jedoch: drei feste Mahlzeiten am Tisch, am besten gemeinsam, ohne Fernseher, Handys, bestimmt von den Eltern. Kein andauerndes Außer-Haus-Essen. Dazu kommen bei Kindern zwei Zwischenmahlzeiten. „Das können einige Käsewürfel, Nüsse, Rohkost oder eine Banane sein“, sagt Büscher.