Hamburg. Aber breites Bündnis ruft auf zu „Run for their Lives“ für israelische Geiseln. Weitere Veranstaltungen – und eine sehr umstrittene Demo.
Ihr Schicksal droht angesichts der aktuellen Eskalation von Gewalt im Nahen Osten in den Hintergrund zu geraten: Ein breites Bündnis will in Hamburg am Wochenende mit den Bildern an die Geiseln erinnern, die bei dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verschleppt wurden. Die Gruppen laden für Sonntag, den 6. Oktober, zu einem Gedenk-Spaziergang mit dem Titel „Run for their Lives“.
Dabei handelt es sich um eine weltweite Bewegung, die sich seit einem Jahr jeden Sonntag in Form von Demonstrationsmärschen für die Freilassung der Geiseln einsetzt. In Hamburg findet dieser Lauf jeden Sonntag an der Alster statt. Zum Jahrestag wird der Marsch am 6. Oktober von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis von jüdischen und nicht-jüdischen Institutionen und Organisationen sowie Hamburger Parteien unterstützt. Los geht es um 12 Uhr vor dem Dammtor-Bahnhof (Theodor-Heuss-Platz, Sammelpunkt ist die Shell-Tankstelle). „Wir werden Bilder der noch immer von der Hamas verschleppten Geiseln tragen“, kündigt der Anmelder des Marsches, Nicolas Stampe, an. Der „friedliche Spaziergang“ führt vom Dammtor über die Kennedybrücke rund um die Binnenalster und dann zurück zur Moorweide.
Marsch zum Gedenken an Geiseln: Auch HSV und St. Pauli unterstützen „Run for their Lives“
Gefordert wird die Freilassung der verbleibenden 101 Geiseln, die noch immer von der Terrororganisation Hamas gefangen gehalten werden (#BringThemHomeNow). Darunter sind Frauen und zwei kleine Kinder. Zahlreiche weitere Geiseln waren im Verlauf des Jahres ermordet worden.
Unterstützt wird der Aufruf unter anderem von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und dem Verband Jüdischer Studierender Nord sowie CDU, FDP und Volt, vom HSV, dem FC St. Pauli und dem Eimsbüttler Turnverein (ETV) sowie dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der Stiftung Bornplatzsynagoge und dem Ökumenewerk der evangelischen Nordkirche. Die SPD wirbt zwar für den „Run for their Lives“, gehört aber nicht zu den offiziellen Unterstützern.
Kein offizielles Gedenken in Hamburg: „Chance, Haltung zu beweisen, vertan“
Auf der Veranstaltung wird unter anderem der Hamburgische Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel seine Rede halten und Landesrabbiner Shlomo Bistritzky ein Gebet sprechen.
Scharfe Kritik daran, dass der rot-grüne Senat und die Bürgerschaft keine eigenen Gedenkveranstaltungen abhalten, kommt von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hamburg. Die Stadt Hamburg sehe „offenbar keine Notwendigkeit, eine öffentliche Gedenkveranstaltung zu den Massakern, die unsere Welt verändert haben, zu veranstalten – als einziges Bundesland“, kritisieren Daniel Killy und Moritz Golombek, die Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hamburg, und werfen Hamburg Tatenlosigkeit vor.
Deutsch-israelische Gesellschaft fordert Verbot pro-palästinensischer Demos
In Hamburg verweise man auf die hochkarätig besetzte internationale Nachhaltigkeitskonferenz am Montag in der Handelskammer und dem Rathaus, die Zeit und Raum binde. „Eine prestigeträchtige Nachhaltigkeitskonferenz scheint wichtiger“, kritisiert entsprechend die Deutsch-Israelische Gesellschaft. „Selbst die Chance, vor deren internationalen Gästen durch eine Beflaggung öffentlicher Gebäude, etwa mit der gelben Flagge, die an die noch immer in Gaza gefangenen Geiseln erinnert, Haltung zu beweisen, wurde vertan.“
Stattdessen seien gleich zwei von antisemitischen Akteuren beworbene Aufläufe genehmigt worden – am Sonnabend und auch am 7. Oktober selbst. „Wir fordern den Innensenator auf, beide Demonstrationen, auf denen voraussichtlich das Ende des Zionismus und damit das Ende der Existenz Israels postuliert werden, zu verbieten. Judenhass und islamistische Hetze haben auf unseren Straßen nichts verloren. An diesem Anspruch muss sich Hamburg messen lassen“, so Killy und Golombek. Auch Sonja Lahnstein-Kandel, Initiatorin der Kampagne „Siebteroktober.de“ hatte sich bereits ähnlich geäußert.
Pro-palästinensische Demonstration am Sonnabend in der Innenstadt
Problematisch könnte am Sonnabend die pro-palästinensische Demonstration in Hamburg sein. Ab 12 Uhr ist eine Kundgebung am Steindamm geplant, dann soll der Aufzug über die Mönckebergstraße zum Gänsemarkt, weiter über die Lombardsbrücke, Lange Reihe und schließlich wieder zum Steindamm ziehen. Der Anmelder stammt nach Abendblatt-Informationen aus dem mittlerweile abgebauten Palästina-Camp auf der Moorweide. Das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft hat eine Gegendemonstration angemeldet, die zeitgleich stattfinden soll. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort.
Veranstaltungen zum Gedenken an Hamas-Opfer in Hamburg
Auch wenn es keine offizielle Gedenkveranstaltung gibt: Zum ersten Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel sind zahlreiche zivilgesellschaftlich organisierte Diskussionen und Ausstellungen geplant. Hier ein Überblick:
- 7. Oktober: Eröffnung der Ausstellung „7. Oktober 2023“ mit Bildern der ukrainisch-israelischen Künstlerin Zoya Cherkassky-Nnadi, die sich mit den erschütternden Ereignissen auseinandersetzen. Die Schau wird veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Antisemitismusbeauftragten sowie der Hauptkirche St. Petri und ist für wegen der Gewaltdarstellungen für Kinder nicht geeignet (16.30 Uhr, Petrikirche).
- 7. Oktober: Zentrale Gedenkzeremonie in Kooperation zwischen der Jüdischen Gemeinde und der Israelischen Community, auf Deutsch und Hebräisch. Eine Anmeldung mit vollem Namen und E-Mail-Adresse ist erforderlich unter: veranstaltungen@jghh.org (19 Uhr, Ort wird nach Anmeldung bekannt gegeben).
- 8. Oktober: Die TikTok-Intifada – Antisemitismus im Netz nach dem 7. Oktober. Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank, im Gespräch mit Olaf Kistenmacher. Veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit dem Warburg-Haus. Anmeldung mit vollem Namen und E-Mail-Adresse ist erforderlich unter: abut.can@bsb.hamburg.de (18.30–20 Uhr, Warburg-Haus, Heilwigstraße 116).
- 8. Oktober: Vortrag „1 Jahr 7. Oktober“. Der Vortrag von Ralf Balke bringt die Auswirkungen all dieser Ereignisse auf die israelische Gesellschaft zur Sprache und erklärt die Herausforderungen, ein Konzept für den „Tag danach“ zu finden, also eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen. Anmeldung mit vollem Namen und E-Mail-Adresse ist erforderlich unter kontakt@dighamburg.de. Personalausweis ist mitzubringen, keine Taschen und Rucksäcke (19 Uhr, Staats- und Universitätsbibliothek, Von Melle-Park 3).
- 10. Oktober: Buchvorstellung „Siebter Oktober Dreiundzwanzig“ mit dem Herausgeber Vojin Saša Vukadinović und dem Autor Ali Ertan Toprak im Gespräch mit Olaf Kistenmacher. Eine Anmeldung mit vollem Namen und E-Mail-Adresse ist erforderlich unter: abut.can@bsb.hamburg.de (18.30 UHR, Tschaikowsky-Saal, Tschaikowskyplatz 2).
Interreligiöses Forum Hamburg fordert sofortigen Waffenstillstand
Das Interreligiöse Forum Hamburg hat bereits zum Jahrestag des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel Terror und Gewalt gegen Unschuldige verurteilt. Man blicke „auf ein Jahr voller Schmerz und Trauer“ zurück. Nahezu täglich seien aus Israel und Palästina „neue Schreckensnachrichten“ gekommen, die sich jetzt auf den Libanon und Nord-Israel ausgeweitet hätten. Der Frieden scheine „weiter entfernt“ zu sein „als je zuvor“.
- Palästinenser-Demonstrationen – verstörende Signale aus Hamburg
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Das Forum spricht in seiner Erklärung den Opfern des Konflikts sein Mitgefühl aus, „unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben“. Es fordert die Freilassung der Geiseln und einen sofortigen Waffenstillstand. Zugleich würden die Forums-Mitglieder „für einen nachhaltigen Frieden“ beten, „der die Existenz sowohl Israels als auch Palästinas in Würde und Sicherheit gewährleistet“, heißt es.
Streit um Nahost-Konflikt auch in Hamburg: „Diskussion muss gewaltfrei sein“
Der Tod und das Leid im Nahen Osten bewegten auch in Hamburg viele Menschen. Das führe zu Streit und zu Diskussionen, schreibt das Interreligiöse Forum Hamburg. Es sei legitim, über den Nahost-Konflikt verschiedener Meinung zu sein, die Diskussion müsse aber gewaltfrei und ohne gegenseitige Bedrohungen ausgetragen und ausgehalten werden, erklärt das Forum. Probleme und Vorurteile ließen sich nur im Dialog, in Begegnungen und mit Argumenten beseitigen.
Die Forumsmitglieder bekräftigen in der Erklärung, dass all ihre Häuser, ihre Kirchen und Moscheen, Synagogen, Tempel und Cem-Häuser ein sicherer Ort für die Angehörigen der anderen Religionsgemeinschaften sein sollen. „Wer den Frieden sucht, ist bei uns willkommen“, heißt es.
Im Interreligiösen Forum Hamburg wirken die Alevitische Gemeinde, die Bahà i-Gemeinden, die Buddhistische Religionsgemeinschaft, das Erzbistum Hamburg, die evangelische Nordkirche, Hindus und Zentralrat der Inder, die Jüdische Gemeinde sowie die Schura – Rat der islamischen Gemeinschaften zusammen.