Hamburg. Einige Wähler wurden nicht mehr erreicht, ein Wahllokal musste aufgebrochen werden. Wie die Parteien auf Hamburger Ergebnisse reagieren.
Insa Gall, Anika Würz, Irina Finke und David Walter
Die Hamburger SPD-Parteivorsitzende Melanie Leonhard wusste es schon vor Veröffentlichung der Prognose für die Europawahl: An diesem Abend müsse man Tapferkeit beweisen, sagte sie zum Auftakt der SPD-Wahlparty im Kurt-Schumacher-Haus. „Wir hatten denkbar anspruchsvolle Voraussetzungen.“ Sie würdigte die Hamburger SPD-Spitzenkandidatin Laura Frick, die sich angesichts des Abschneidens wohl wenig Hoffnungen machen kann, ins Europaparlament einzuziehen. Trotz Bier und Snacks war den rund 100 Sozialdemokraten, die in die Hamburger Parteizentrale gekommen waren, kaum zum Feiern zumute. Immerhin verlor die SPD in Hamburg der ersten Hochrechnung von 19.44 Uhr zufolge nur ganz leicht und kam auf 19,1 Prozent.
Lange Gesichter auch im Schroedingers im Schanzenpark, wo eigentlich die Wahlparty der Grünen steigen sollte. Zwar lodert im Freien ein kleines Lagerfeuer, doch Stimmung kommt nicht auf, allenfalls Anspannung. Hamburgs Grünen-Spitzenkandidatin Rosa Domm bekennt, dass sie schon seit Anfang des Jahres nicht mehr damit gerechnet habe, mit dem 21. Listenplatz ins Europaparlament einzuziehen. „Ich habe natürlich trotzdem alles gegeben“, sagt sie. In Hamburg stehen die Grünen zwar mit 22,2 Prozent laut Hochrechnung deutlich besser da als deutschlandweit, doch der Absturz ist auch hier groß – kamen sie doch von 31,1 Prozent in 2019.
Europawahl in Hamburg: Viele lange Gesichter und ein Gewinner
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass SPD und Grüne zum Feiern eingeladen hatten, die CDU in Hamburg aber auf eine Wahlparty verzichtete. Denn CDU-Landeschef Dennis Thering erklärte seine Partei schon um kurz nach 18 Uhr deutschlandweit zum Wahlsieger. „Die Ampel ist regelrecht abgestürzt. Die Union ist und bleibt das Bollwerk gegen extremistische Parteien“, sagte er. Und es zeichne sich ab, so Thering: „Die CDU in Hamburg ist wieder da!“
„Wir als CDU/CSU haben es geschafft, in einem sehr schwierigen Umfeld unser Ergebnis noch mal zu verbessern“, erklärte Thering (CDU). Der Landesvorsitzende sieht die CDU auf einem guten Weg und das Abschneiden in Hamburg als Rückenwind für die Bürgerschaftswahlen 2025. Dabei fällt das Ergebnis in Hamburg mit 18,2 Prozent (Hochrechnung von 19.44 Uhr) längst nicht so gut aus wie bundesweit. Immerhin: Die Christdemokraten konnten sich an der Elbe um einen halben Prozentpunkt verbessern.
Längst nicht so stark wie bundesweit ist auch die Hamburger AfD. Sie kam gerade einmal auf 7,6 Prozent (nach 6,5 Prozent in 2019), auch wenn der AfD-Landesvorsitzende Dirk Nockemann über einen Erfolg und ein „bärenstarkes Ergebnis“ jubelte.
Pannen bei Europawahl in Hamburg: Falsche Wahlkreislistenstimmzettel herausgegeben
Der Wahltag verlief in Hamburg einigermaßen reibungslos – den vielen Sperrungen und Verkehrsbehinderungen wegen zahlreicher Veranstaltungen wie Motorradgottesdienst, Fahrrad-Sternfahrt und Frauenlauf sowie der A7-Sperrung zum Trotz. Aber es kam auch zu einigen Pannen. Kurz nach der ersten Hochrechnung der Europawahlergebnisse zog Landewahlleiter Oliver Rudolf eine erste Bilanz.
Mit dem Wahltag sei er grundsätzlich zufrieden, „aber es gab auch ein paar Ereignisse, die mich sehr geärgert haben“, erklärte Rudolf. In zwei Wahlbezirken wurden Wahlkreislistenstimmzettel zur Wahl herausgegeben, die jedoch zu einem anderen Wahlkreis gehörten. 63 Wahlberechtigten, die zuvor den falschen Stimmzettel ausgefüllt hatten, konnten von den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern noch persönlich erreicht werden. Sie erhielten die Gelegenheit, mit dem richtigen Stimmzettel zu wählen, so Rudolf. „Das ist leider nicht in allen Fällen gelungen.“ 43 der Betroffenen konnten nicht mehr persönlich angetroffen werden.
Weitere Pannen: Ein Wahllokal musste aufgebrochen werden
In einem weiteren Wahllokal kam es durch einen fehlerhaft beschrifteten Karton zu Problemen. Hier wurde ein Stimmzettelkarton für die Europawahl geliefert, der zwar für Hamburg ausgezeichnet war, aber Stimmzettel des Landes Sachsen-Anhalt enthielt. „Wie viele Wählerinnen und Wähler betroffen sind, können wir nicht ganz genau sagen“, erklärte Rudolf. Es könnte sein, dass rund 25 Stimmzettel ausgefüllt wurden, bevor der Fehler auffiel.
Am Wiesnerring in Bergedorf mussten allerdings Feuerwehr und Polizei ein Wahllokal aufbrechen. Dem Wahlvorstand war offenbar ein falscher Schlüssel zur Kita ausgehändigt worden, sodass das Haus nicht um 8 Uhr geöffnet werden konnte. Bezirkswahlleiter Ulf von Krenski musste sich einschalten. Von etwa 9 Uhr an konnten die Wählerinnen und Wähler, die sich bereits „gestaut“ hatten, ihre Kreuze machen. Erstmals konnten Hamburgerinnen und Hamburger kostenlos E-Scooter nutzen, um zum Wahllokal zu fahren – eine Werbeaktion des E-Roller-Verleihers Lime, die zwei Freifahrten von je 15 Minuten einschloss.
„Ahoi Leute“: Ehrenbürger Udo Lindenberg ruft zum Wählen auf
Der ungewöhnlichste Aufruf, sich an den Wahlen zu beteiligen, kam von Hamburgs Ehrenbürger Udo Lindenberg: Er hatte am Vortag auf seine Art darum gebeten, an diesem Sonntag zur Wahl zu gehen. Originalton: „Ahoi Leute, morgen ist Wahlfang, also rein in die Boote und mit Vollpower in Richtung Demokratie und Freiheit rudern. Lasst euch nich einfangen von rechten Schnackern. Wer in der Demokratie pennt, wacht in der Diktatur auf. Und bei Polit-Frust verständlich ) ist Nichtwählen und einfach auf König von Scheißegalien machen ja auch keine Option. Wir Panikpanther bleiben wachsam und optimistisch.“
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Auch der frühere Schwergewichtsweltmeister Wladimir Klitschko hatte an die Europäer appelliert, wählen zu gehen. Wahlen seien eine Gelegenheit und eine Ehre, schrieb der jüngere Bruder von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko auf Instagram. In Russland seien Wahlen nur eine „pathetische Show und eine Maskerade“. Die Klitschko-Brüder begannen ihre Profibox-Karriere in Hamburg, wo beide lange lebten.
CDU-Chef Dennis Thering wählte in seiner ehemaligen Schule
Hamburger Spitzenpolitiker gingen bereits früh wählen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gab seine Stimme schon am Vormittag in einem Wahllokal in Barmbek seine Stimme ab. Er appellierte an die Hamburgerinnen und Hamburger, ebenfalls wählen zu gehen. Der Hamburger Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU, Dennis Thering, wählte an seiner ehemaligen Schule. Vielleicht auch deshalb war die Stimmung im Wahllokal in der Grundschule Grützmühlenweg entspannt, als Thering gegen 14 Uhr seine Stimme abgab.
An der Stadtteilschule am Ladenbeker Weg erwartete die Wählerinnen und Wähler eine Besonderheit: Hier hatte die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen für ZDF-Prognosen eine Station eingerichtet, an der „exit polls“ erhoben wurden, also Ergebnisse von Wählern, die gerade gewählt haben und freiwillig ihre Abstimmung noch einmal exakt so für die Forscher abgeben. Diese inoffiziellen „Nachwahlen“ bilden die Basis für die Prognosen bereits kurz nach 18 Uhr, wenn noch keine echten Ergebnisse vorliegen können.
Andrang bis kurz vor „Ladenschluss“ in der Telemannschule in Eimsbüttel. Dort bildeten sich noch um 17 Uhr teils lange Schlangen. Unter den Wartenden waren viele junge Wähler und Wählerinnen. Der Andrang sei schon seit dem Mittag groß, sagte eine Wahlhelferin. Das Problem: Es gab offenbar zu wenige Wahlkabinen, wie ein Wahlhelfer sagte. In die kleinen Räume passen nicht so viele Kabinen rein. Einige Wähler standen eine Stunde lang an.
Bezirkswahl Hamburg: Politiker lässt über seine verunstalteten Wahlplakate abstimmen
Franzosen links, Deutsche geradeaus: In Lokstedt gab es an der École Française de Hambourg Antoine de Saint-Exupéry gleich zwei Wahllokale. In einem Teil der französischen Schule, zu der aus ganz Hamburg viele deutsche Schülerinnen und Schüler jeden Tag fahren, wählten französische Staatsbürger das Europaparlament. In einem hinteren Teil machen Lokstedter ihre Kreuze. Zu Frankreich hat Hamburg eine besondere Beziehung – nicht nur wegen der Geschichte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) holte im vergangenen Jahr das deutsch-französische Kabinettstreffen u. a. mit Ministerpräsident Emmanuel Macron an die Elbe. Stichwort: Fischbrötchen-Diplomatie.
Gabor Gottlieb, SPD-Fraktionschef in Eimsbüttel, machte auf dem Weg zum Wählen eine lustige Entdeckung. Er hatte in seinem Whatsapp-Status ein paar sehr lustig verunstaltete Wahlplakate gepostet und ironisch gefragt: „Welcher ist dein Lieblings-Gabor?“ Der mit Augenklappe? Auf dem Weg zu seinem Wahllokal an der Uni im Grindelviertel entdeckte er dann einen kleinen roten Teddybären unter einem Wahlplakat, den wohl jemand unter sein Konterfei gelegt hatte. Gottlieb zum Abendblatt: „Bin nicht sicher, ob es mir galt, aber war gerührt – bin ein großer Teddy-Fan.”
Obwohl für viele Hamburgerinnen und Hamburger die Wahl mit dem Gang zum Wahllokal endete, sind Landeswahlleiter Rudolf und sein Team noch länger beschäftigt. Erst am Montag gegen 8 Uhr beginnen sie mit der Auszählung der Bezirkswahlstimmen. „Da wartet noch eine große Herausforderung auf die Wahlvorstände“, so Rudolf. Die Ergebnisse aus den Bezirken sollen erst am frühen Montagabend vorliegen.