Hamburg. Hamburger Bündnis „Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen – wählen gehen!“ ruft zu Protest auf. Erwartete Teilnehmerzahl fast erreicht.
An diesem Sonntag kommt es auf jede Stimme an – und freie Wahlen sind ein absolutes Privileg. Darauf will ein breites Bündnis die Hamburgerinnen und Hamburger vor dem großen Europa- und Bezirksversammlungs-Wahlwochenende noch einmal einschwören. „Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen – wählen gehen!“, lautet der Aufruf, unter dem sich von 17 Uhr an ein Demozug durch die Stadt bewegt.
Die Polizei Hamburg rechnet am Freitag aufgrund der Demonstration mit „erheblichen Beeinträchtigungen“ in der Innenstadt. Zwei Zubringerdemos waren bereits seit 14 Uhr unterwegs. Laut ersten Informationen der Organisatoren nehmen rund 29.000 Menschen an der Demonstration teil, als diese sich um kurz nach 17 Uhr in Bewegung setzte. Die Polizei sprach am Abend nach „vorläufiger Schätzung“ von 26.000 Teilnehmenden.
29.000 Teilnehmer: Demo gegen Rechtsextremismus zieht durch Hamburg
„Wieder sagten Leute zu mir: ,Es wird niemand kommen’, und wieder haben sie Unrecht gehabt – weil wir unsere Demokratie lieben!“, begrüßt Fernsehmoderator Michel Abdollahi die Teilnehmer Punkt 16 Uhr auf der Ludwig-Erhard-Straße nahe dem Rödingsmarkt. Bevor sich der Aufzug gegen 17 Uhr in Gang setzt, verlieren zahlreiche bekannte Hamburger auf der Großkundgebung ein paar Worte über unsere schützenswerte Demokratie.
Demo gegen Rechtsextremismus in Hamburg: „AfD ist Feindin der Beschäftigten“
Alle Menschen werden Brüder: Bei der Demo verbünden sich sogar die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hamburg, Tanja Chawla, und Michael Thomas Fröhlich, Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände Nord. Der Rechtsruck schade den Arbeitnehmern und Arbeitgebern schließlich gleichermaßen. Chawla richtet klare Worte an eine bestimmte Partei: „Wir werden die Demokratie verteidigen – in den Betrieben und auf der Straße. Im Wahljahr 2024 kommt es auf uns alle an. Klar ist: Die AfD ist Feindin der Beschäftigten. Wir sagen: Wählt Zukunft, wählt demokratisch!“
Auch Hamburgs religiöse Vertreterinnen und Vertreter sprechen bei der Großkundgebung. „Nie wieder Hass, nie wieder Antisemitismus, nie wieder Fremdenfeindlichkeit“, fordert etwa Landesrabbiner Shlomo Bistritzky von der Jüdischen Gemeinde Hamburg. Mit ihm auf der Bühne: Bischöfin Kirsten Fehrs und die stellvertretende Vorsitzende der Schura – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, Özlem Nas.
„Ich bin zutiefst dankbar, dass wir drei hier heute gemeinsam stehen: eine Muslima, eine Christin, ein Jude“, sagte Fehrs. „Diese Freundschaft und diesen Dialog lassen wir uns von niemandem kaputtmachen oder schlechtreden. Nicht von Antisemiten, nicht von Islamfeinden. Und erst recht nicht von völkischen Ideologen, die Menschen nach ihrer Herkunft auseinandersortieren und gegeneinander ausspielen wollen.“
Rivalität? Nicht wenn es um die Demokratie geht, finden St. Pauli und HSV
„In den Farben getrennt, in der Sache vereint“: Getreu diesem Motto – und weil Sport immer auch für Fairness und Vielfalt steht –, stehen auch die ansonsten rivalisierenden Clubs FC St. Pauli und HSV am Freitag auf der Bühne. St. Paulis Präsident Oke Göttlich und Marieke Patyna, Prokuristin der HSV Fußball AG, werben zusammen für Demokratie. Die sei ja schließlich ein Teamsport.
Weitere Redebeiträge der Großkundgebung stammen von Klimaforscher Mojib Latif und Campact-Gründer Christoph Bautz. Als musikalische Acts heizen Singer-Songwriter Joris und die Indie-Pop-Band Provinz die Menge an, bevor sich der Aufzug über den Großen Burstah, die Mönkebergstraße und Lombardsbrücke, den Gorch-Fock- und Holstenwall wieder zurück zum Startpunkt bewegte. Hier endet die Demo gegen 19 Uhr mit einer Abschlusskundgebung.
„Kein Sex für Nazis“ – Demoteilnehmer in Hamburg mit einfallsreichen Parolen
„Sozialismus oder Barberei“, „Alle bleiben!!!“, „Liebe für alle, außer für Nazis“ – das Spektrum der auf Plakaten zu lesenden oder skandierten Sprüche ist groß. Einig sind sich die Teilnehmenden aber in einem Punkt: Demokratie muss es schon sein, und die bedeutet eben auch Meinungsfreiheit.
Die 16-jährige Lilly trägt ein quietschbuntes Schild mit der Aufschrift „Kein Sex für Nazis“ durch die Stadt. Wieso das? „Weil’s wichtig ist, dass Nazis sich nicht verbreiten“, sagt sie schelmisch. „Und vor allem ist es wichtig, dass wir weiterhin in einer Demokratie leben können“, fügt die 16-Jährige an. Am Sonntag darf Lilly das erste Mal ihr Kreuz bei einer Wahl setzen, „ein bisschen aufregend“ sei das schon, sagt sie.
Die Hamburgerin Roxana läuft heute bei der Demo mit, „damit die Stimmen nicht wahllos an die rechten Parteien verteilt werden“, sagt sie. Es ist ihr wichtig, dass am Sonntag möglichst viele Menschen in die Wahllokale gehen und ihr Kreuz für die Demokratie machen. Gerade im Vergleich zu den riesigen Protesten im Januar ist aber recht wenig los, findet die 31-Jährige. Ein Grund dafür könnte sein, „dass die rechten Stimmen doch sehr stark sind und viele sich überfordert fühlen“, mutmaßt Roxana.
Polizei schätzt keine Teilnehmerzahlen mehr zur Demo gegen Rechtsextremismus
Zur Demo gegen Rechtsextremismus, die im Januar als Reaktion auf ein geheimes Treffen von Rechtsradikalen nahe Potsdam stattfand, kamen rund 180.000 Menschen – obwohl die Polizei zuvor nur mit 10.000 Teilnehmern gerechnet hatte. Ein Abbruch der Versammlung war die Folge. Damit sei am Freitag aber nicht zu rechnen, hieß es von Mitorganisator Kazim Abaci (SPD) bereits vorab. Dieses Mal sei man besser vorbereitet und könne die Demonstration zu Ende führen.
Die Polizei ist am Freitag mit einem Großaufgebot präsent. Bereits um 14 Uhr standen die Beamten in großer Zahl an mehreren Orten in der City bereit, etwa vor dem Rathaus. Schätzungen zur Anzahl der Demo-Teilnehmer wird die Polizei diesmal nicht machen. Ursächlich dafür sind ihre starke Fehleinschätzung der Demo-Größe im Januar und die Lehren, die die Beamten daraus ziehen, sagt ein Sprecher.
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Demo in Hamburg zur Einstimmung auf das Wahlwochenende
Zum Bündnis, das den Protest und die Kundgebung veranstaltet, zählen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Hamburg, die Nordkirche, Fridays for Future, das Bündnis Go Vote sowie die Vereine „Klare Kante gegen rechts“ und „Unternehmer ohne Grenzen“. Zahlreiche weitere Verbände, Institutionen und Unternehmen haben sich ebenfalls angeschlossen.
Nicht nur in Hamburg, auch in vielen anderen deutschen Städten gehen dieser Tage Zehntausende Menschen auf die Straße, um vor der Europawahl für unsere Demokratie einzustehen. Aufzüge sind unter anderem in Berlin, Dresden, München und Leipzig angemeldet.