Hamburg. Neuer Bezirksamtsleiter muss gewählt werden. Welche Themen umstritten sind und welche Chancen die Fortsetzung des rot-grünes Bündnisses hat.

Vorweg eine etwas widersprüchliche These: Das Auffälligste am Bezirk Wandsbek ist seine Unauffälligkeit. Die größte der sieben Hamburger Verwaltungseinheiten produziert weniger Schlagzeilen als manch andere, hat weniger Aufmerksamkeitspotenzial als etwa Hamburg-Mitte mit Hafen, HafenCity und City sowie St. Pauli und St. Georg. In Wandsbek liegt auch keines der großen umstrittenen Neubauprojekte wie Oberbillwerder, kein Projekt mit Empörungsgarantie wie der Elbtower oder der Ersatz der Köhlbrandbrücke.

Dabei hätten die Wandsbekerinnen und Wandsbeker allen Grund, im kommunalen Konzert der Hamburger Bezirke aufzutrumpfen: Wäre Wandsbek eine eigenständige (Groß-)Stadt, käme sie mit mehr als 453.000 Einwohnern auf Rang 16 unter den deutschen Städten – nach Duisburg, aber vor Bochum, Wuppertal und Bielefeld. Wie dem auch sei: Der Bezirk bietet mit den eher gediegen-bürgerlichen Walddörfern und Stadtteilen des Alstertals im Norden, Großsiedlungen wie Steilshoop, Großlohe und Tegelsbarg sowie urbanen Quartieren wie Wandsbek und Eilbek einen durchaus stadttypischen Querschnitt.

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In gewisser Hinsicht gilt die hanseatische Zurückhaltung auch für BezirksamtsleiterThomas Ritzenhoff. Der 62 Jahre alte Sozialdemokrat ist seit 2011 im Amt und damit der mit Abstand dienstälteste Bezirks-„Bürgermeister“ Hamburgs. Aber andere wie Ralf Neubauer (SPD, Mitte), Stefanie von Berg (Grüne, Altona) oder Michael Werner-Boelz (Grüne, Hamburg-Nord) stehen stärker im Rampenlicht der Öffentlichkeit, gewollt oder bisweilen auch ungewollt. Der Jurist kam ins Amt, nachdem CDU und FDP vor 13 Jahren ihre Mehrheit in der Bezirksversammlung verloren hatten. Das neue Bündnis aus SPD und Grünen wählte Cornelia Schröder-Piller (CDU) als Bezirksamtsleiterin ab und Ritzenhoff zum Nachfolger.

Doch der Hausherr im Rathaus an der Schlossstraße ist nicht unumstritten. Einmal wurde Ritzenhoff zwar für eine sechsjährige Amtszeit wiedergewählt, aber vor der dritten Amtsperiode beschlossen SPD und Grüne, die Stelle der Verwaltungsspitze öffentlich auszuschreiben, was eher ungewöhnlich ist, wenn ein Amtsinhaber weitermachen will. Letztlich setzte sich Ritzenhoff dennoch durch und gewann die Unterstützung seiner Parteifreunde und der Grünen. Mit der knappen rot-grünen Mehrheit lag der Sozialdemokrat bei der Wahl in der Bezirksversammlung im April 2023 vor einer Gegenkandidatin, die von der CDU unterstützt wurde.

Eine der wichtigsten Aufgaben: Wahl eines neuen Bezirksamtsleiters

Ritzenhoff wird nur die erste Hälfte der Amtsperiode im Amt bleiben, weil er als Beamter 2026 altersbedingt pensioniert wird. Damit ist klar, dass eine der wichtigsten Aufgaben der neu gewählten Bezirksversammlung in zwei Jahren die Wahl eines neuen Bezirksamtsleiters oder einer -leiterin sein wird. Denkbar ist gleichwohl, dass veränderte Mehrheitsverhältnisse nach der Bezirkswahl und eine mögliche neue Koalition dazu führen können, dass Ritzenhoff vorzeitig abgewählt wird – siehe 2011.

Thomas Ritzenhoff (62, SPD) steht seit 2011 an der Spitze der Verwaltung in Wandsbek und ist damit der dienstälteste Bezirksamtsleiter.
Thomas Ritzenhoff (62, SPD) steht seit 2011 an der Spitze der Verwaltung in Wandsbek und ist damit der dienstälteste Bezirksamtsleiter. © Roland Magunia | Roland Magunia

Das lenkt den Blick auf die Ausgangslage vor der Bezirkswahl in Wandsbek: Das rot-grüne Bündnis hat durchgehalten – trotz mancher Krisen. Am Anfang war es eine Koalition zweier fast gleich starker Partner, also buchstäblich auf Augenhöhe. Die erfolgsgewohnten Sozialdemokraten rutschten 2019 auf 26,7 Prozent (minus 10,9 Prozentpunkte) ab, während die Grünen ihr Ergebnis mehr als verdoppeln konnten – von 12,5 auf 26,3 Prozent. Mit 16 Abgeordneten lag die SPD nur knapp vor den Grünen mit 15 Abgeordneten der 57-köpfigen Bezirksversammlung.

2022 wäre die rot-grüne Mehrheit fast verloren gegangen

Doch als im Herbst 2022 kurz nacheinander drei Mitglieder nach internen Querelen die Grünen-Fraktion verließen, stand die rot-grüne Mehrheit auf der Kippe. Nachdem Verhandlungen mit der FDP über die Bildung einer Ampel-Koalition in Wandsbek gescheitert waren, gelang dem SPD-Kreisvorsitzenden, Finanzsenator Andreas Dressel, ein Coup: Oliver Schweim, der im Streit aus der Grünen-Fraktion ausgetreten und fraktionslos war, schloss sich der SPD an. Ungewöhnlich genug: Schweims ehemalige Parteifreunde akzeptierten den Wechsel, sodass die SPD seitdem mit 17 und die Grünen mit 13 Abgeordneten (zwei hatten die Bezirksversammlung verlassen, ein Grüner rückte nach) in der Bezirksversammlung vertreten sind und die hauchdünne rot-grüne Mehrheit gewahrt blieb.

Bei der Bezirkswahl am 9. Juni zeichnet sich in Wandsbek ein Dreikampf ab wie schon 2019, als die CDU mit 22,2 Prozent knapp hinter SPD und Grünen lag. „Wir haben den festen Willen, in Wandsbek wieder zu regieren“, sagt der CDU-Kreisvorsitzende Dennis Thering selbstbewusst, der in Personalunion auch Landesvorsitzender und Bürgerschaftsfraktionschef ist. Die Union hat in dem Bezirk mit einem großen bürgerlichen Wählerpotenzial immer schon eine stärkere Rolle gespielt als im Stadtstaat insgesamt und mehrfach den Bezirksamtsleiter oder die -leiterin gestellt.

Bezirkswahl 2024: In Wandsbek zeichnet sich Dreikampf zwischen SPD, Grünen und CDU ab

Wie auf Landesebene auch dürfte die CDU eher ein Bündnis mit den Sozialdemokraten als mit den Grünen anstreben, zumal die Wandsbeker SPD traditionell etwas konservativer ausgerichtet ist als manch anderer SPD-Kreisverband. Aber: Eine Abkehr von Rot-Grün und ein Bündnis zwischen SPD und CDU in Wandsbek wäre angesichts der Größe und Bedeutung des Bezirks ohne Frage ein Signal für die Bürgerschaftswahl am 5. März 2025. Daher wird es sich die Wandsbeker SPD dreimal überlegen, einen solchen Schritt der Aufwertung der Opposition zu gehen, zumal sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bereits für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition im Hamburger Rathaus ausgesprochen hat.

„Natürlich wollen wir stärkste Kraft werden. Wir arbeiten gut mit der SPD zusammen, deswegen geht die Tendenz beim Thema Koalition in Richtung SPD“, sagt Katja Rosenbohm, Kreisvorsitzende der Grünen und deren Spitzenkandidatin bei der Bezirkswahl. Auch in der Zusammenarbeit mit Bezirksamtsleiter Ritzenhoff könne man sich aufeinander verlassen. Die SPD hat wenig überraschend ebenfalls das Wahlziel, stärkste Kraft in der Bezirksversammlung zu werden, besser gesagt: zu bleiben. „Wir arbeiten mit den Grünen gut zusammen, deswegen ist das weiterhin eine gute Option“, sagt SPD-Kreischef Dressel.

In Wandsbek wird eine feste Koalition gegenüber Regieren mit wechselnden Mehrheiten bevorzugt

Auch der SPD-Politiker betont die gute Kooperation mit Ritzenhoff. „Es ist positiv, einen Bezirksamtsleiter mit Erfahrung zu haben“, sagt Dressel. Im Übrigen sei vereinbart, dass der Verwaltungschef 2026 ausscheidet, sodass ein Nachfolger genug Zeit zur Einarbeitung bis zur nächsten Bezirkswahl 2029 hätte. Da auch die CDU im Falle des Mitregierens vermutlich nicht auf einer Ablösung des Amtsinhabers bestehen würde, scheint klar: An Thomas Ritzenhoff würde die Koalitionsbildung in Wandsbek wohl nicht scheitern.

Und: Die Wandsbeker Kommunalpolitiker favorisieren eine förmliche Koalition statt wechselnder Mehrheiten wie zum Teil in anderen Bezirken. Personell setzen SPD und CDU auf Kontinuität: Spitzenkandidaten sind die Fraktionschefs Marc Buttler (SPD) und Natalie Hochheim (CDU). Bei den Grünen tritt Fraktionschefin Julia Chiandone aus persönlichen Gründen nicht erneut an.

Bezirk Wandsbek: Liberale kämpft um jeden Parkplatz

Für die FDP, die in der aktuellen Bezirksversammlung mit vier Abgeordneten vertreten ist, kandidiert auf Listenplatz eins erneut die rührige Verkehrspolitikerin Birgit Wolff. Die Liberale kämpft um jeden Parkplatz, der wegzufallen droht, und hat mit ihrer Fraktion gerade eine Online-Befragung zum Image des Bezirks gestartet.

Der Bauingenieur Thomas Iwan, seit September 2022 Landesvorsitzender der Linken, ist Spitzenkandidat seiner Partei in Wandsbek und aktuell stellvertretender Vorsitzender der fünfköpfigen Linken-Fraktion. Iwan wird dem realpolitisch orientierten Flügel seiner Partei und der Gruppe „Konkret Links“ zugerechnet.

Die Bezirksliste der AfD führt wie 2019 der pensionierte Schulleiter Dietmar Wagner an. Er ist Vorsitzender der fünfköpfigen AfD-Bezirksfraktion. Der Pädagoge leitete zuletzt die katholische Franz-von-Assisi-Schule in Barmbek-Nord, die vom Erzbistum 2023 geschlossen wurde. Weitere Parteien oder Wählervereinigungen treten auf Bezirksebene nicht an.

CDU fordert „Stopp der einseitigen Planungen, die sich gegen das Auto richten“

Inhaltlich wird in der Wandsbeker Bezirksversammlung mit Hingabe über die Verkehrspolitik gestritten, die auch für die nächste Wahlperiode im Blickpunkt stehen dürfte. „Wir wollen für alle Verkehrsteilnehmer Gerechtigkeit und den Straßenraum gerecht aufteilen. Die Einwohnerzahl wächst, aber die Fläche wird nicht größer“, sagt die Grünen-Politikerin Rosenbohm. „Schwerpunkte sind der Ausbau des ÖPNV, mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger und sanierte Straßen für alle, die weiterhin auf das Auto angewiesen sind“, so Rosenbohm.

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Die CDU fordert dagegen laut Thering einen „Neustart in der Verkehrspolitik und einen Stopp der einseitigen Planungen, die sich gegen das Auto richten“. Der Christdemokrat hat zum Beispiel die von Rot-Grün geplanten Umbaumaßnahmen auf dem Berner Heerweg und der Rodigallee im Blick. Die SPD hält sich zugute, als Bremserin allzu forscher grüner Neuverteilungen des Straßenraums aufzutreten, bekennt sich aber zur Verkehrswende.

Die großen Verkehrsinfrastrukturprojekte – die U5 und der Neubau der S4 – beginnen im Bezirk

So seien die Planungen für den Umbau des Berner Heerwegs auf eine Fahrspur je Richtung zunächst einmal gestoppt worden, und für die Rodigallee seien Ausnahmeregelungen vorgesehen. Die SPD rechnet sich auch an, für den Verkehrsfluss im Alstertal eine Regelung erreicht zu haben, wenn die Wellingsbütteler Landstraße aufwendig und lange saniert wird. So soll es eine Umfahrungsroute über den Friedhof Ohlsdorf geben. Anwohner hatten angesichts der ursprünglichen Planungen vor einem Verkehrschaos gewarnt. Die Idee, den Volksdorfer Ortskern vom Autoverkehr weitgehend freizuhalten („Flaniermeile Volksdorf“), wurde nach einem kritischen Echo auf die achtwöchige Pilotphase fallen gelassen.

Wie in dieser Visualisierung soll die Rodigallee aussehen: abgetrennte Bus- und Fahrradstreifen statt vier Spuren für den Autoverkehr.
Wie in dieser Visualisierung soll die Rodigallee aussehen: abgetrennte Bus- und Fahrradstreifen statt vier Spuren für den Autoverkehr. © BVM Hamburg | BVM Hamburg

Vergleichsweise geräuschlos laufen die Planungen und Baumaßnahmen für zwei der größten Verkehrsinfrastrukturprojekte, die im Bezirk ihren Ausgang nehmen: die neue U-Bahn-Linie 5 und der Neubau der S4. Rot-Grün will mit der Realisierung der Linien im Umfeld der neuen Bahnhöfe entlang der Strecken in Bramfeld, Rahlstedt und Tonndorf auch Wohnungsbauprojekte verbinden.

Bezirkswahl 2024: Worum es im größten Bezirk Wandsbek geht

Die Sanierung und Attraktivitätssteigerung der Großsiedlungen aus den 1970er-Jahren bleibt eine wichtige Aufgabe der Wandsbeker Bezirkspolitik. Zum Teil mit Geld des Bundes laufen Planungen zur Aufwertung der Wohngebiete Tegelsbarg und Rahlstedt-Ost. In Steilshoop wird es unter anderem darum gehen müssen, das von Leerstand gekennzeichnete und heruntergekommene Einkaufszentrum zu revitalisieren.

Zu den – politisch gesehen – großen Baustellen im Bezirk zählt die Neugestaltung des Wandsbeker Marktes. Ursprüngliche Planungen einer weitgehenden Umgestaltung des Platzes mit dem Neubau von Wohnungen, Büros und einer überdachten Marktfläche hat Rot-Grün nach Protesten vor allem der Marktbeschicker gestoppt. Der Bebauungsplan wird aktualisiert. Dabei geht es auch um die Einbeziehung des leer stehenden Karstadt-Gebäudes mit seiner denkmalgeschützten Fassade. Wie genau das Areal im Herzen des Bezirks umgestaltet wird, wird die neue, am 9. Juni zu wählende Bezirksversammlung entscheiden.