Hamburg. Correctiv-Bericht: Ulrich Vosgerau (CDU) spricht über Konferenz mit Rechtsextremist Sellner – „ein sehr netter und umgänglicher Mann“.
Folgt man den Worten von Dirk Nockemann, dann hatte der Hamburger AfD-Fraktionsvorsitzende für den vergangenen Donnerstagabend ins Rathaus einen Gast eingeladen, der zuletzt „ohne Sinn und Verstand agiert“ hat – so äußerte sich Nockemann zumindest Mitte Januar gegenüber der „Hamburger Morgenpost“ über die Teilnehmer eines Treffens rechter Kreise in Potsdam. Es ärgere ihn „kolossal, dass man so verbrettert sein kann, überhaupt an einer derart unsinnigen Veranstaltung teilzunehmen“.
Bei jener Zusammenkunft am 25. November, über die das Medienhaus Correctiv zuerst berichtete, soll ein „Masterplan“ diskutiert worden sein für die sogenannte Remigration – eine Massenverdrängung von Menschen, die nach rechtsextremer Ideologie nicht zu Deutschland gehören und das Land verlassen sollen. Zu den Teilnehmern zählten unter anderem Martin Sellner, der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, und mehrere AfD-Funktionäre. Auch mit dabei war Jurist Ulrich Vosgerau, Mitglied des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und der CDU.
Hamburger AfD begrüßt umstrittenen Teilnehmer des Potsdamer Treffens
Begrüßt wird er nun im Großen Festsaal vor etwa 500 Zuschauern allerdings von Alexander Wolf, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Hamburger AfD-Fraktion, und von dem Abgeordneten Krzysztof Walczak – Nockemann, der auch als Landesvorsitzender der Hamburger AfD amtiert, ist zu Beginn nicht da, wird entschuldigt: Er sei „in einer anderen Veranstaltung“.
Die Hamburger Polizei hat viel zu tun an diesem Abend wegen des umstrittenen Gasts der AfD-Fraktion: Mehr als 30 Mannschaftswagen sichern das Rathaus; überall sind Absperrungen errichtet. Etwa 300 Meter entfernt haben sich auf der Reesendammbrücke mehrere Hundert Demonstrierende versammelt. Sie skandieren: „Alle zusammen gegen den Faschismus“, tragen Schilder mit Aufschriften wie „AfD raus aus den Parlamenten“.
Mehrere Gruppen, unter ihnen die Interventionistische Linke, hatten „wütenden Protest“ angekündigt. Doch es bleibt friedlich. Auch die „Omas gegen Rechts“ halten an diesem Abend ein paar Meter weiter gegen die Veranstaltung eine Mahnwache ab.
Hamburger AfD-Frau unterstützt „millionenfaches Abschieben“
Nach Meinung der Hamburger AfD-Fraktion werden diese und andere Demonstrierende von Politik und Medien aufgehetzt. Krzysztof Walczak verstieg sich im Vorfeld des Vosgerau-Besuchs zu der Behauptung, die „politischen Wettbewerber, allen voran die SPD und Bürgermeister Tschentscher“ würden Großdemos gegen Rechtsextremismus wie jene im Januar und zuletzt am 25. Februar in Hamburg mit schätzungsweise 60.000 Teilnehmern „inszenieren“.
Nockemann hatte gegenüber der „Hamburger Morgenpost“ erklärt, die Positionen des Rechtsextremisten Martin Sellner würden „von der ganz überwiegenden Mehrheit der AfD überhaupt nicht geteilt“. Doch ausgerechnet in Nockemanns eigener Hamburger Fraktion gibt es mindestens eine andere Stimme: Wie berichtet, rief die Abgeordnete Olga Petersen via Facebook und Instagram dazu auf, eine Petition gegen ein mögliches Einreiseverbot Sellners zu unterzeichnen. Weiterhin online steht eine unmissverständliche Bekundung von Petersen auf ihrem Instagram-Account: „Das ist unser Ziel: millionenfaches Abschieben!“
Vosgerau: Potsdamer Treffen habe „überhaupt keinen Nachrichtenwert“
Vosgerau, dessen Vortrag den Titel trägt: „Was passierte in Potsdam wirklich?“, erklärt zu Beginn: „Ich war dabei.“ Damit erntet er lautes Gelächter im Saal. Was bei dem Treffen passiert sei, habe „bei Lichte betrachtet überhaupt keinen Nachrichtenwert“; „harmlos“, sei das gewesen, sagt der Jurist. Er wundert sich, dass Correctiv sich „ausgerechnet“ diese private Zusammenkunft ausgesucht habe.
Doch Vosgerau belässt es nicht bei seiner zur Schau gestellten Verwunderung. Aus seiner Sicht seien die Journalisten von Correctiv in Wahrheit „politische Aktivisten“. Oder noch schlimmer: „Wenn wir also hören, dass diese Correctiv-Leute immer wieder Zugang zu längeren Unterhaltungen mit dem Bundeskanzler haben, dann ist das schon auffällig.“
Und dann folgt ein bemerkenswerter Satz: „Dann spricht das schon dafür, dass die in den Augen des Staates verfassungsschutznahe Aufgaben privat ausgegliedert wahrnehmen.“ Mit anderen Worten: Die Rechercheplattform Correctiv sei aus Vosgeraus Sicht fast schon wie der Verfassungsschutz.
Vosgerau kritisisiert die „Mainstreammedien“
Vosgerau und die Medien. Da macht der AfD-Stargast des Abends aus seinem Herzen keine Mördergrube. Immer wieder spricht er über die „Mainstreammedien“, über die von den Grünen beeinflusste Presse. Dabei gebe es doch die „alternativen Medien“, sagt Vosgerau und gerät ins Schwärmen. Sein „geliebtes Hausblatt“ die „Junge Freiheit“ zum Beispiel, Julian Reichelts Rechtsportal „Nius“ oder auch die „Weltwoche“. Das sei die „Achse des Guten“, sagt Vosgerau und erhält „Bravo“-Rufe aus dem Saal.
Doch dann kommt Vosgerau endlich zu dem, warum er überhaupt eingeladen wurde: dem Potsdamer Treffen. Und er macht auch keinen Hehl daraus, wer aus seiner Sicht der „interessanteste Gast“ bei diesem Treffen gewesen sei: Martin Sellner. Von diesem habe er vorher schon „sehr viel Positives gehört“. Aus „total unverdächtiger Quelle“ habe es geheißen, Sellner sei ein „sehr netter und sehr umgänglichen Mann“.
Potsdam prüft ein Einreiseverbot gegen Martin Sellner
Zur besseren Einordnung: Die Rede ist von dem Martin Sellner, der als Galionsfigur der Neuen Rechten gilt. Der von 2015 bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) war. Und gegen den nach dem Treffen vom 25. November die Stadt Potsdam sogar ein Einreiseverbot nach Deutschland prüft.
Dieser Sellner, so sagt es Vosgerau, habe aber seines Wissens nach keine Gewalt- oder Straftaten begangen. „Und das ist ja schon mal das Wichtigste.“ In Potsdam habe Sellner aber dann tatsächlich über das gesprochen, „was er ‚Remigration‘ nennt“. Sellner habe allerdings nicht diskutiert, ob und wie sich gut integrierte, in Deutschland arbeitende Ausländer ausweisen lassen, sondern lediglich über „Problemfälle“ gesprochen: schlecht integrierte, „nicht assimilierte“ Ausländer.
Sellner habe die „kuriose Idee“ geäußert, „Musterstädte“ in Nordafrika einzurichten
Sellner habe erklärt: Wenn in wenigen Jahren Millionen ins Land gekommen seien, müssten auch einige wieder herauszuschaffen sein. Großes Kopfnicken im Saal. Für diese Menschen habe Sellner die, so bezeichnet es Vosgerau, „kuriose Idee“ entwickelt, „Musterstädte“ in Nordafrika einzurichten, mit beispielsweise Ausbildungsangeboten.
„Seine Vorstellung war, dass problematische Ausländer mit einem unbefristeten Aufenthaltsstatus dann vielleicht vollkommen freiwillig ihren Lebensmittelpunkt in diese Städte verlagern würden.“ Nicht gefordert habe Sellner, Deutschen etwa wegen eines groben Fehlverhaltens die Staatsbürgerschaft wegzunehmen, um sie dann abschieben zu können; das habe er auch nicht für eingebürgerte Menschen verlangt.
Sellner soll „größeren Verfolgungsdruck“ gefordert haben
Sellner sei bei dem Treffen gefragt worden, was denn getan werden könne, falls eingebürgerte Menschen in Deutschland für Probleme sorgten. Er habe geantwortet, man müsse einen „größeren Verfolgungsdruck entfalten“, Straftaten „ganz konsequent verfolgen“ können, sodass sich Gewohnheitskriminelle irgendwann vielleicht selbst fragten: „Will ich so bleiben, wie ich bin? Dann wäre es vielleicht vorteilhaft, wenn ich in meine alte Heimat zurückkehrte, wo der Verfolgungsdruck nicht so groß ist.“ Oder, wenn sie in Deutschland bleiben wollten, ob sie sich nicht besser zum Guten verändern sollten.
Doch Sellner, dieser „sehr nette und sehr umgängliche Mann“, ging laut Vosgerau in Potsdam sogar noch einen Schritt weiter. Es gebe ja auch viele Deutsche, die sich um die Belange von Ausländern und Einwandern kümmern würden. Pro Asyl zum Beispiel. Und „Schiffsretter“, wie Vosgerau sagt und dabei wahrscheinlich Flüchtlingshelfer auf dem Mittelmeer meint. „Wenn diese sich weiterhin nützlich machen wollen“, so habe es Sellner laut Vosgerau in Potsdam formuliert, „dann können die das ja gerne dort machen.“ Dort also, in den nordafrikanischen Musterstädten.
Sellner habe sich „sehr vorsichtig geäußert“
Natürlich, das betont Vosgerau noch einmal ganz explizit, solle keiner gegen seinen Willen gezwungen werden. Diese deutschen Helfer könnten da ja ganz freiwillig hingehen. So soll es Sellner laut Vosgerau vorgeschlagen haben. „Das“, so Vosgerau, „waren im Wesentlichen seine Gedanken.“ Sellner habe sich nicht „verfassungsfeindlich“ geäußert. Im Gegenteil: „Er hat sich sehr vorsichtig geäußert.“
All das, was eifrig beklatscht und goutiert wird, bekommt Hamburgs AfD-Chef Nockemann gar nicht mit. Er taucht erst ganz zum Ende der Veranstaltung auf, geht um kurz vor 22 Uhr direkt auf die Bühne, schüttelt Vosgerau herzlich die Hand und setzt sich dann auf das Podium.
Nockemann erhält das Schlusswort im Rathaus
Das Schlusswort lässt sich der 65-Jährige aber nicht nehmen. Nockemann nimmt das Mikrofon, schaut in den vollen Saal und sagt dann, dass es einen Grund gegeben habe, warum er später gekommen sei. „Geheimverhandlungen“, ruft Nockemann ins Mikrofon – und scheint sich über das kollektive Lachen im Saal diebisch zu freuen.
Doch nicht alle in Hamburg teilen Nockemanns Humor. Vor dem Besuch von Ulrich Vosgerau bei der AfD-Fraktion im Rathaus hatte die Bürgerschaft am Mittwoch auf Antrag der Linken-Fraktion über ein AfD-Verbot debattiert. Noch geht es SPD, Grünen und CDU zu weit, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Allerdings verabschiedete das Parlament einen Zusatzantrag von SPD und Grünen, mit dem die Regierungsfraktionen bekräftigen, bei einer eventuellen Einstufung der Bundespartei AfD als rechtsextremistische Vereinigung alle grundgesetzlichen Mittel zur Verteidigung der Demokratie zu nutzen.
SPD und Grüne: „Hamburger AfD agiert ganz im Geiste ihrer Bundespartei“
„Dass die AfD-Fraktion weiterhin eine Abgeordnete in ihren Reihen duldet, die sich öffentlich mit Rechtsradikalen wie Martin Sellner solidarisiert (Abg. Olga Petersen), dass ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender eine abgeänderte Version des Hitlerjugend-Liedes herausgegeben hat (Abg. Dr. Alexander Wolf) und dass ihr Fraktionsvorsitzender sich mit Neonazis im Rathauskeller zusammensetzt (Abg. Dirk Nockemann) – das alles sind deutliche Hinweise dafür, dass die Hamburger AfD ganz im Geiste ihrer Bundespartei agiert“, heißt es in dem Antrag.
„Eine Distanzierung von Landesverbänden, die bereits als rechtsextrem eingestuft wurden, findet nicht statt, während Landtags- und Bundestagsabgeordnete der AfD aus ganz Deutschland erklären, die Deportationspläne von Potsdam seien kein Geheimplan, sondern entsprächen dem Parteiprogramm.“
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Der SPD-Abgeordnete Danial Ilkhanipour sagte, AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann habe direkt nach dem Treffen radikaler Rechter in Potsdam „noch den Versuch einer Distanzierung unternommen“. Mit der Einladung von Ulrich Vosgerau bekenne die Hamburger AfD aber „jetzt endgültig Farbe“. Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg sagte, die AfD nutze „Instrumente der Demokratie, die sie zur Verbreitung ihrer rechtsextremen Hetze und Diskreditierungen des Rechtsstaats missbraucht“.
Streit um Correctiv-Bericht: Gericht gibt Vosgerau bei einer Stelle recht
Ulrich Vosgerau war zuletzt gerichtlich gegen die Berichterstattung von Correctiv zu einem Treffen rechter Kreise in Potsdam vorgegangen. Er beanstandete drei Passagen, fühlte sich falsch wiedergegeben. Zwei Textstellen dürfen unverändert stehen bleiben, entschied das Landgericht Hamburg am 26. Februar. Eine Passage habe Correctiv allerdings falsch wiedergegeben, teilte das Gericht mit und erließ eine einstweilige Verfügung.
In dem Bericht hatte es geheißen, Vosgerau halte den Vorschlag, „man könne vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen, für denkbar: Je mehr mitmachten, stimmt er zu, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit.“ Der Jurist habe in seinem Antrag an das Gericht deutlich gemacht, dass er ein massenhaftes Vorgehen gerade nicht befürworte, teilte das Gericht mit. Dagegen habe Correctiv die Äußerungen Vosgeraus zu dem Thema nicht konkret vorgetragen. Die Kammer sei darum von der Unrichtigkeit des Zitats ausgegangen, hieß es.
Landgericht Hamburg: Zwei Textstellen dürfen stehen bleiben
Keinen Erfolg hatte Vosgerau mit anderen Beanstandungen. Dabei ging es zum einen um die Formulierung von Correctiv: „An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können.“ Vosgeraus Antwort auf eine Nachfrage sei zutreffend wiedergegeben worden, entschied das Gericht. Auf dem Treffen im November hatte der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über „Remigration“ gesprochen.
Zum anderen befasste sich das Landgericht mit der Darstellung von Correctiv, Vosgerau habe im Zusammenhang mit Briefwahlen über „Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten“, gesprochen und dies im Nachhinein auch bestätigt. Das Medienhaus habe Vosgeraus Antwort auf eine Nachfrage in zulässiger Weise zusammengefasst.
AfD über Potsdamer Treffen: Correctiv habe „gelogen“
Krzysztof Walczak erklärte nach dem Urteil, Correctiv habe an einer Stelle „gelogen“. Die Hamburger AfD-Fraktion bezeichnete das Medienhaus als „Denunziationsportal“. Correctiv erklärte nach der Entscheidung, der zu ändernde Satz habe nichts zu tun mit dem Kern der Recherche: dem Masterplan zur Vertreibung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
Zum Ende der AfD-Veranstaltung im Hamburger Rathaus bedankt sich Ulrich Vosgerau dafür, dass er zu Gast war und seine Sicht der Dinge darstellen durfte. Die „Mainstreammedien“ seien ja leider nicht daran interessiert, sagt er. Er habe jedenfalls keine Einladung von Lanz oder anderen erhalten.
Dass er auf eine Abendblatt-Anfrage vor einigen Wochen bis heute nicht geantwortet hat, sagt er nicht. (mit dpa)