Hamburg. Zum dritten Mal seit Januar gehen Zehntausende in der Hansestadt auf die Straße. Hip-Hop-Formation Deichkind bringt Menge zum Hüpfen.
Sie strömen am Sonntagmittag aus allen Himmelsrichtungen durch die Straßen der Hamburger Innenstadt zur Edmund-Siemers-Allee, um ihre Stimme gegen Rechtsextremismus zu erheben: Eltern mit ihren Kindern, Schüler, Auszubildende und Studierende, Menschen aller Altersgruppen. Viele recken selbst gebastelte Schilder und Plakate mit Aufschriften wie „Wehret den Anfängen“, „Gegen Nazis“, „Vielfalt statt Einfalt“ und „Rote Karte für die AfD“ in die Höhe. Und dann schallt es gegen 13.05 Uhr von der Bühne am Übergang zur Bundesstraße bis hin zum Bahnhof Dammtor: „Wir, wir, wir sind die Brandmauer!“
Mehr als 50.000 Menschen sind laut Fridays For Future dabei, die Polizei spricht später sogar von etwa 60.000. Die Klimabewegung und rund 40 weitere Verbände und Organisationen hatten zu dem Protest aufgerufen. Es ist die dritte Großdemonstration gegen rechts in der Hansestadt seit Januar; sie ist Teil eines bundesweiten Protests, ausgelöst durch einen Bericht des Medienhauses Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam, an dem auch AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der Werteunion teilgenommen hatten.
Demo gegen rechts in Hamburg: „Wir, wir, wir sind die Brandmauer!“
„Die AfD hat menschenverachtende Pläne – sie ist keine Partei, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht, sagt Annika Rittmann, Sprecherin der Klimabewegung. Sie verweist darauf, dass am kommenden Donnerstag auf Einladung der Hamburger AfD-Fraktion der Jurist Ulrich Vosgerau, Teilnehmer des rechten Potsdamer Treffens, im Rathaus sprechen soll. Dies diene dazu, das Potsdamer Treffen zu verharmlosen, so Rittmann. „Da machen wir nicht mit!“, ruft sie unter dem lauten Beifall der Demonstrierenden.
Zum ersten Mal auf einer Demonstration spricht Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Er wolle „öffentlich ein Zeichen setzen“, sagt er. „Denn es reicht nicht mehr aus, allein in Gedenkstätten über die NS-Verbrechen aufzuklären. Wir müssen dieses Wissen laut nach außen tragen.“ Die aktuellen Vordenker der völkischen Politik vertreten oft eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Sie wollten „vergessen machen, wohin derartige Ideologien im Nationalsozialismus geführt haben“, sagt von Wrochem. „Das werden wir nicht zulassen.“
Maja Meiser von den „Omas gegen rechts“ appelliert an die Teilnehmer der Großdemonstration: „Geht alle zur Wahl – denn dann sind wir die Brandmauer.“ Und wieder skandieren die Menschen vor der Bühne: „Wir, wir, wir sind die Brandmauer!“
Hip-Hop-Formation Deichkind: „Wir wollen keine Nazis – und keine AfD“
Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun sagt: „Wir alle gehen gegen die AfD auf die Straße, gegen Rassismus und gegen Antisemitismus. Aber wir demonstrieren letztendlich auch für die Vision einer Zukunft, die so viel schöner ist als all die Hirngespinste der Neuen Rechten, die nicht mehr zu bieten haben, als ein Zurück in die dunkelsten Stunden unserer Vergangenheit. Wir wollen ein Leben in Freiheit, Menschenwürde, Demokratie, Solidarität, Gleichberechtigung. Und zwar für alle.“
Besonders laut wird es, als die Hamburger Hip-Hop-Formation Deichkind auf die Bühne kommt, mit greller Verkleidung und einer klaren Botschaft: „Wir wollen keine Nazis – und keine AfD“, rappt die Band, während Tausende Zuschauer zu den Bässen wippen und hüpfen. „Nehmt die Brandmauer mit nach Hause – und das Gefühl“, rufen die Musiker.
Demo gegen rechts: Maja Göpels Einladung an AfD-Wähler
Politökonomin und Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel wendet sich in ihrer Rede an jene, die aus Protest und Unzufriedenheit AfD wählen. „Wenn drei Landesverbände und die Jugendorganisation dieser Partei als rechtsextrem eingestuft werden und eine Führungsfigur wie Björn Höcke Naziparolen benutzt: Wie kann ich überlegen, dass eine solche Partei zu wählen als Denkzettel eine gute Idee ist?“
Göpel lädt AfD-Sympathisanten zum Dialog ein: „Guckt mal über die Brandmauer und sagt uns, was für euch Rechtsextremismus ist und wie sich das unterscheiden soll von dem, vor dem uns das Grundgesetz schützen soll. Was bräuchtet ihr, um wieder genug Vertrauen in eure Mitmenschen und Institutionen zu finden, damit ihr glaubt, dass eine Gesellschaft ohne Hass, Hetze, Rassismus und Gewalt nicht nur möglich ist, sondern das wünschenswerte Zukunftsversprechen?“
Palästina-Block sorgt für Unbehagen bei Demonstration
Für Unbehagen sorgt bei der Demonstration offenbar ein propalästinensischer Block, von dem ein Banner mit der Aufschrift „Nur Rassisten supporten Genozid“ hochgehalten wird. Ein Demoteilnehmer wendet sich über den Onlinedienst „X“ (vormals Twitter) an Fridays For Future: „Eure Demo ist nicht inklusiv, wenn sich Menschen nicht vor Antisemitismus sicher fühlen können.“ Fridays For Future hatte zu Beginn der Demonstration durchgesagt, dass National- und Parteiflaggen nicht erwünscht seien. „Darüber hinaus haben wir vorab sowie auf der Demonstration Menschen mehrfach direkt angesprochen“, teilt die Klimabewegung später auf „X“ mit. „Zu unserer Enttäuschung sind wir nicht immer auf Kooperationsbereitschaft gestoßen.“
Unter den Demonstrierenden sind viele Kinder und Jugendliche, zum Beispiel Flora (9), Arthur (7) und Theo (8) aus Barmbek und Winterhude. Auf Floras Plakat steht: „Meine Freunde haben alle Farben der Welt.“ Theo lässt andere durch sein Schild wissen: „Meine Zukunft soll bunt sein!“ Und Arthur protestiert mit einem durchgestrichenen Logo der AfD.
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Katrin Jäger aus Altona ist da, um Farbe zu bekennen, wie sie sagt. „Lesben für Vielfalt“ steht auf ihrem Schild. „Es ist wichtig, dass sich Frauen aus unterschiedlichen Kontexten zusammenschließen“, sagt sie. Ihre Bündnispartnerin von „Frauen* gegen Rechts“, Margret Schmidt sagt es auf Plattdeutsch: „Wi seggt Nee to‘n Krieg und AfD.“
DGB-Chefin kündigt weitere Demo in Hamburg für den 8. Juni an
Annette aus Stellingen trägt ein Schild auf dem Rücken, das klarmacht: Die 61-Jährige hätte eigentlich etwas Besseres zu tun, als in der Kälte zu stehen: „Ihr Braunen stehlt mir meine bunte Freizeit. Aber nützt ja nix.“ Zu dieser Demonstration treibe sie „Menschlichkeit“, sagt sie. „Ich fühle mich verpflichtet aufzustehen.“
Sie und die vielen anderen Demonstrierenden ziehen am Sonntagnachmittag von der Edmund-Siemers-Allee über die Verbindungsbahn durch die Karolinenstraße vorbei an den Gerichten durch die Innenstadt über den Gänsemarkt zum Jungfernstieg – und zurück zum Dammtor. Hamburgs DGB-Chefin Tanja Chawla kündigte eine weitere Großdemonstration gegen rechts in der Hansestadt für den 8. Juni an – den Tag vor der Europawahl.