Hamburg. Rechtsaußen Gauland kommt: Es scheint, als ob niemand Nockemann und Co. aufhalten kann. Seniorinnen wollen nicht tatenlos zusehen.

Dirk Nockemann hat gute Laune. Der Chef der Hamburger AfD steht im gut besuchten Festsaal des Rathauses leicht erhöht auf einem Podium und grinst in die Menge. Er werde heute keine Bierzeltrede halten, ruft der Politiker in den vollen Saal – und hält dann seine Bierzeltrede.

Es geht um die Regierung, „die Finanztricksereien“ und natürlich um die immer zahlreicher werdenden Migranten. Doch bevor Nockemann Klartext über Flüchtlinge, kriminelle Ausländer und Islamisten spricht, wie es auf Plakaten überall in Hamburg angekündigt wurde, knüpft sich der 65-Jährige noch eine besondere Minderheit vor: Omas.

Rechtsextremismus: AfD-Chef Nockemann macht sich über „Omas gegen Rechts“ lustig

„Wir und unsere Veranstaltungen werden ja immer durch ein kleines Häuflein von ,Omas gegen Rechts‘ begleitet“, sagt Nockemann mit einem verächtlichen Unterton, „aber dieses Häuflein wird immer kleiner.“ Applaus im Saal. Nockemann macht eine kurze Pause, legt dann nach: „Und irgendwann verschwinden diese ,Omas gegen Rechts‘ in der Bedeutungslosigkeit.“

Die Bedeutungslosigkeit liegt an diesem Montagabend nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt – und erfreut sich ziemlich großer Resonanz. Rund 30 „Omas gegen rechts“ haben sich neben dem Rathaus-Weihnachtsmarkt versammelt, singen Lieder gegen rechts, Nazis und die AfD, verteilen Flyer und halten Banner hoch.

Auf dem Rathausmarkt diskutieren „Omas gegen rechts“ über die AfD

Zahlreiche Weihnachtsmarktbesucher bleiben stehen, hören zu, diskutieren mit. Zwei japanische Touristen sind begeistert, machen Fotos. Eine Passantin hält im Nieselregen mit dem Fahrrad an, klatscht und ruft lautstark „Bravo“.

Oma Ursula ist zufrieden. „Die AfD ist radikaler geworden. Sie ist eine rechtsextremistische Partei“, sagt die Bergstedterin, die ein selbst gebasteltes Anti-AfD-Plakat hochhält. „Ich habe große Angst davor, dass die AfD an die Macht kommt, weil sie unsere Demokratie abschaffen will – und deswegen müssen wir etwas machen. Wir müssen laut und deutlich sein.“

Rechtsextremismus – Nockemann: „Ich halte Höcke nicht für gefährlich“

Deutlich war die 66-Jährige auch Mitte September, als sie einen Leserbrief an das Abendblatt schrieb. Der Grund: ein ausführliches Interview mit Nockemann auf einer ganzen Seite. In dem Interview sagte Nockemann Sätze wie „Ich möchte meine Meinung in Deutschland immer frei sagen dürfen“, „Wir haben keinen vom Menschen gemachten Klimawandel“, „Grundsätzlich kann ich sagen, dass die alten, weißen Männer genau diejenigen sind, die wissen, wie es läuft“, oder sogar „Ich halte Höcke nicht für gefährlich“.

Am selben Tag, an dem das Gespräch veröffentlicht wurde, schrieb Oma Ursula einen langen Leserbrief. „Björn Höcke ist ein Nazi. Wozu es führen kann, wenn Nazis in die Regierungsverantwortung kommen, haben wir ab 1933 erlebt“, schrieb sie und kritisierte, dass das Abendblatt überhaupt ein Interview mit Nockemann geführt hat. „Ich befürchte, dass Sie mit dieser Berichterstattung dazu beitragen, dass die AfD auch hier in Hamburg weitere Wählerstimmen gewinnen wird. Ich hoffe sehr, dass ich mich hierbei irre.“

Oma Ursula aus Bergstedt schrieb einen empörten Leserbrief ans Abendblatt. Daraus entstand ein Briefwechsel, ein emotionaler, aber auch fairer Austausch der Argumente.
Oma Ursula aus Bergstedt schrieb einen empörten Leserbrief ans Abendblatt. Daraus entstand ein Briefwechsel, ein emotionaler, aber auch fairer Austausch der Argumente. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Aus der Beschwerdemail wurde ein Briefwechsel, ein emotionaler, aber auch fairer Austausch der Argumente. Darf oder muss man sogar mit der AfD sprechen? Gehört es nicht zum journalistischen Auftrag, alle Parteien zu Wort kommen zu lassen? Sieben Mails wurden hin- und hergeschickt, ehe eine Grundsatzentscheidung stand: Das Gespräch musste fortgesetzt werden. Persönlich. In größerer Runde. Beim Kaffee.

Genau eine Woche nach der Veröffentlichung des Interviews sitzen Oma Ursula, Oma Dörte, Oma Maja und Oma Verena in einem hippen Café in Altona, trinken Latte macchiato mit Hafermilch oder einen Americano und berichten über ihren Kampf gegen rechts.

Oma Dörte klagt an: „Nockemann ist stramm rechts“

„Ich habe besonders Angst, wie sich der Jugendverband der AfD entwickelt und der Einfluss auf junge Menschen“, sagt Oma Dörte. „Natürlich ist auch Nockemann stramm rechts.“

Oma Maja berichtet davon, wie sie erst am Vorabend auf einem Konzert von Danger Dan in der Schanze war. „Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein“, sang der. Und weiter. „Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt.“ Oma Maja war begeistert.

Oma Ursula lenkt das Gespräch wieder auf die AfD. „Für alle Probleme machen sie die Migranten verantwortlich“, sagt sie mit ernster Stimme. „Am meisten hetzen sie gegen Muslims und Muslimas und gegen den Islam.“

Oma Verena will nicht, dass ihre Enkel sagen: „Oma, warum hast du nichts gemacht?“

Jetzt meldet sich auch Oma Verena, die lange Zeit ruhig blieb, zu Wort und sagt: „Es gab leider immer starke rechte Tendenzen in Deutschland. Heute mehr denn je. Das finde ich sehr gefährlich. Die Intoleranz als Programmatik der Rechten macht mir Angst.“ Aber sie will keine Angst haben, sie will etwas unternehmen. „Ich möchte nicht, dass meine Enkel später sagen: Oma, warum hast du nichts gemacht?“

Und deswegen tun die Seniorinnen etwas. Als „Omas gegen Rechts“. Es ist eine Initiative, die 2017 in Wien gegen Rechtsextremismus und für Toleranz gegründet wurde und die es nun auch in Italien, der Schweiz und vor allem in Deutschland gibt. Bundesweit soll es mehr als 100 Regionalgruppen geben – alleine fünf davon in Hamburg.

Omas gegen Rechts: In Hamburg gibt es fünf Ortsgruppen mit mehr als 100 Aktiven

Es gibt die Eimsbüttel-Gruppe, die Alstertal-Omas, die Gruppe Bergedorf-Glinde, die Harburgerinnen und eine Gruppe mit St.-Pauli-Omas. Etwas mehr als 100 Großmütter sind aktiv dabei, 555 Unterstützer gibt es bei Facebook. „Und wir werden immer mehr“, sagt Verena. „Das größte Problem: Auch bei der AfD werden sie immer mehr.“

Wie wichtig und aktuell der Kampf gegen rechts auch in Hamburg ist, hat gerade erst eine Kleine Anfrage der Linken gezeigt. Die Senatsantworten waren deutlich. Mehr rechte Straftaten, mehr rechte Gewalttaten. Mehr Volksverhetzung, mehr Hasskriminalität. „Die anhaltende Diskursverschiebung nach rechts sorgt für einen deutlichen Anstieg amtlich registrierter rechter Straf- und Gewalttaten“, sagt Cansu Özdemir, die Fraktionsvorsitzende der Linken.

Abendblatt-Umfrage: 14 Prozent für die AfD

Die Diskursverschiebung kann man auch an konkreten Umfragezahlen ablesen. Die repräsentative Umfrage im Auftrag des Abendblatts im Oktober ergab, dass 14 Prozent der Befragten in Hamburg die AfD wählen wollen. Erstaunlich: Anders als oft angenommen sind es nicht die Alten, bei denen die Partei von rechts hoch im Kurs steht. In Hamburg ist es vor allem die Gruppe der 16- bis 34-Jährigen, die sich mit AfD-Themen anfreunden kann. Es ist gewissermaßen die Enkelgeneration, die offenbar die ganz schlimmen Zeiten vergessen hat.

Knapp sieben Wochen nach dem ersten Treffen im Café in Altona steht Oma Dörte vor dem Abaton im Uni-Viertel. Es ist der 9. November, der 85. Jahrestag der Novemberpogrome. Vormittags war die Gründerin der Hamburger „Omas gegen rechts“ schon bei der Mahnwache „Nie wieder“ und hat eine kurze Rede gehalten. Nun will sie mit zwei Mitstreiterinnen auf Einladung des Auschwitzkomitees einen Impulsvortrag im Von-Melle-Park-Hörsaal halten.

Oma Dörte aus Stade hat die Hamburger „Omas gegen Rechts“ initiiert.
Oma Dörte aus Stade hat die Hamburger „Omas gegen Rechts“ initiiert. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Dörte war es, die 2018 die Hamburger „Omas gegen Rechts“ ins Leben gerufen hat. Nachdem sie im Internet über die österreichischen Gründerinnen gestolpert war, half ihr ihre Tochter, auch in Hamburg einen digitalen Aufruf bei Facebook zu posten. Beim ersten analogen Treffen im Nagel gegenüber vom Hauptbahnhof kamen vier reifere Damen, wenig später beim Ostermarsch waren sie schon 15 Omas.

„Irgendwie ging alles ganz schnell“, sagt Dörte, die schon Anfang der 70er an der Realschule Berner Heerweg Schulsprecherin war. Als sie damals den Film „Die Brücke“ gesehen hat, war es um sie geschehen. „Zu Hause war der Krieg bei uns ein Tabuthema“, sagt die 68-Jährige. Irgendwann fragte sie trotzdem: „Papa, wie viele Menschen hast du als Soldat erschossen?“ Bis heute würde sie umtreiben, ob ihr Vater an Kriegsverbrechen an Zivilisten beteiligt war.

Rechtsextremismus: Sorgen von Oma Dörte haben zugenommen

Politisch war Dörte also schon immer. Doch in den letzten Jahren haben ihr Interesse und ihre Sorgen wieder zugenommen. „Es wurden wieder Dinge gesagt, die man lange Zeit nicht in den Mund genommen hat“, sagt sie. Ein „Vogelschiss in der Geschichte“, „brennende Flüchtlingsheime als Akt der Verzweiflung“ und „Höckes Denkmal der Schande“.

Wenige Minuten nach dem Treffen am Abaton sitzt sie mit ihrer roten Lederjacke und dem sichtbaren „Omas gegen rechts“-Button auf der Brust im gut besuchten Hörsaal. Das Publikum: überwiegend sehr alt oder sehr jung. An den Wänden hängen Plakate. „Nie wieder Faschismus“, steht auf einem. „Nie wieder Krieg!“, auf einem anderen. „Leistet Widerstand! Jetzt!“, ruft Dörte in das Plenum. Und: „Kommt runter vom Sofa!“

In Thüringen steht die AfD bei 34 Prozent

Und das gilt nicht nur für Hamburg. Bei den niederländischen Parlamentswahlen siegte gerade erst der Rechtspopulist Geert Wilders, in Argentinien regiert nun der Ultrakonservative Javier Milei, der die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur relativiert. Und auch in ganz Deutschland eilt die AfD von Umfragehoch zu Umfragehoch. In Brandenburg wäre die Partei derzeit mit 27 Prozent stärkste Kraft, in Thüringen sollen die Rechtsausleger um Björn Höcke sogar bei 34 Prozent stehen, und im sächsischen Pirna hat gerade erst der AfD-Kandidat Tim Lochner die Oberbürgermeisterwahl gewonnen. „Das alles zeigt, dass wir uns wehren müssen“, sagt Oma Maja.

Wenige Tage nach dem 9. November sitzt auch die 60-Jährige in einer Uni – allerdings nicht im Grindelviertel, sondern an der TU in Harburg. Hier arbeitet Maja, die als Einzige des Quartetts gar keine Enkel hat, als Studentensekretärin. An ihrem Büro 0.068 steht auf dem Türschild statt eines Namens „Gute Seele (aka Sekretariat)“. „Ich habe noch nirgendwo so gerne gearbeitet wie hier“, sagt Mama Maja, die einen Sohn und eine Tochter hat und bei den „Omas gegen rechts“ als „das Küken“ bekannt ist.

Maja ist in der Vierergruppe die einzige „Oma“ ohne Enkel. Aber bei den „Omas gegen Rechts“ ist die 60-Jährige voll dabei.
Maja ist in der Vierergruppe die einzige „Oma“ ohne Enkel. Aber bei den „Omas gegen Rechts“ ist die 60-Jährige voll dabei. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Ihre Studenten waren es auch, die Maja mit auf eine Demonstration am Hafen für die Seenotrettung von Flüchtlingen genommen haben, wo ihr die Plakate „Omas gegen Rechts“ auffielen. Schnell ging auch Maja zu einem Treffen – und gründete kurze Zeit später mit anderen die eigene Ortsgruppe der Süderelbe-Omas. Einmal im Monat treffen sich die älteren Damen nun im Gemeindehaus St. Michaelis und überlegen, welche Aktionen sie als Nächstes angehen könnten.

Maja war mit mehr als 1000 Hamburgern (und mehr als 100 Omas) dabei, als man vor der Bürgerschaftswahl 2021 eine symbolische Menschenkette um das Rathaus gegen den Einzug der AfD bildete. Im selben Jahr fuhr sie mit mehr als 100 Omas aus ganz Deutschland nach Halle in Sachsen-Anhalt, um dort dem verurteilten Rechtsextremisten Sven Liebich die Stirn zu bieten. Zwei Stunden hatte der auf dem Marktplatz für seine Hassreden angemeldet – und zwei Stunden lang trillerten die Omas aus ganz Deutschland so laut, dass die Hetze nicht zu verstehen war.

An der TU Harburg gab es einen antifaschistischen Filmabend

Doch Maja kann auch leise. Am Abend ist sie Mitorganisatorin eines antifaschistischen Filmabends im Audimax der TU. Gezeigt wird der Streifen „Labyrinth des Schweigens“. Es ist die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse, und es geht um die Schwierigkeit, die Gräueltaten der Nazis in Deutschland aufzuarbeiten.

„Auch meine Eltern haben nie über die NS-Zeit gesprochen“, sagt Maja, deren Freundin Astrid an diesem Abend im Audimax einen Impulsvortrag über die Justiz während der NS-Zeit hält. „Das Interesse an der Politik kam bei mir erst vor rund 20 Jahren durch den Job an der Uni“, sagt Maja.

Oma Verena hat sich schon als Schülerin gegen rechts engagiert.
Oma Verena hat sich schon als Schülerin gegen rechts engagiert. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Das war bei Oma Verena anders. Die Billstedterin sitzt ein paar Minuten vor 17 Uhr in einem hinteren Raum im Haus Brügge in Bergedorf. An einem Tisch spielen noch drei Seniorinnen ein Kartenspiel – ab 17 Uhr ist der gesamte Raum für die „Omas gegen Rechts“ reserviert. „Ich war eigentlich immer sehr politisch, das fing schon in meiner Schulzeit an“, sagt Verena, die auch im „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ aktiv dabei ist.

Gut kann sich die Oldie-Aktivistin noch immer an ihr Highschool-Jahr als Austauschschülerin erinnern, als ihr Gastvater in Indianapolis angefeindet wurde, weil er sich für die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis starkmachte.

Oma Verena: Rechtes Gedankengut nimmt auch international immer mehr zu

„Der Alltagsrassismus war überall sehr gegenwärtig“, sagt Verena, die damals 15 Jahre alt war. Heute ist sie 68 Jahre alt – und so wirklich viel getan in dieser Hinsicht hat sich nicht. „Mir bereitet es große Sorgen, dass das rechte Gedankengut auch international immer mehr zunimmt.“

Gegen 17 Uhr verabschieden sich die drei Kartenspielerinnen – und der Raum füllt sich langsam mit neu ankommenden Seniorinnen. Wenig später sitzen elf ältere Damen im Halbkreis – und ein etwas älterer Herr. „Ihr seid alle meine Omas – und ich bin euer Enkel gegen rechts“, sagt Helmut, der selbst um die 80 sein muss.

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Beim Monatstreffen der Bergedorf-Glinde-Gruppe sind gleich drei „Omas gegen Rechts“ neu dabei. Camille kommt ursprünglich aus Frankreich – und sagt, dass sie die politische Entwicklung beängstigend finde. Dörte hat vier Enkel. „Die Demokratie ist in Gefahr“, sagt sie. Und ihre Freundin Birgit hat sogar fünf Enkel. „Man muss doch etwas tun“, sagt sie.

Das findet Verena auch. Die Oma einer 16-jährigen Enkelin hat Deutsch und Politik auf Lehramt studiert, durfte aber nach ihrem Studium in den 80er-Jahren zunächst nicht als Lehrerin arbeiten. „Ich hatte Berufsverbot“, sagt Verena, die Jahre später die Berichte über sich vom Verfassungsschutz lesen durfte.

Oma Verena sorgt sich wegen Rechtsextremismus: Staat auf dem rechten Auge zu oft blind

Erst spät, in den 2000ern, versuchte sie doch noch ihr Glück im Schuldienst in Schleswig-Holstein. Doch noch immer steht in ihrer Personalakte, dass sie 1972 einen Aufruf zur Wahl der Deutschen Kommunistischen Partei (KPD) unterschrieben habe. „Natürlich sehe ich heute auch einiges anders. Aber trotzdem fällt es auf, dass der Staat links sehr genau war, auf dem rechten Auge aber zu oft blind war“, sagt sie.

Dabei sind die Daten und Fakten heutzutage doch sehr deutlich. „Die größte Gefahr kommt von rechts“, sagte auch Hamburgs Innensenator Andy Grote bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts im Sommer. Mit 380 Personen standen in Hamburg zuletzt so viele Rechtsextreme unter Beobachtung wie noch nie. Auch die Zahl von rechtsextremistischen Gewaltdelikten war 2022 mit 56 so hoch wie noch nie.

„Omas gegen Rechts“ sind sich einig: Die AfD muss bekämpft werden

„Ich will gegen die AfD und gegen die Rechten etwas unternehmen“, sagt Verena bei der Vorstellrunde der Damen (und von Helmut) im Bergedorfer Haus Brügge. Die eine ist in der SPD, die andere ist gegen die SPD. Doch gestritten wird hier nicht, denn bei einer Sache sind sich alle einig: Die AfD muss von allen Seiten bekämpft werden.

Für Oma Ursula und ihre Mitstreiterinnen ist der Kampf im Nieselregen auf dem Weihnachtsmarkt beendet, noch bevor die AfDler aus dem Rathaus kommen. Rund zwei Stunden haben die Damen in der Kälte ausgehalten, während drinnen im warmen Festsaal Nockemann und Co. ihren Klartext unter dem Motto „Kein Kuschelkurs“ verbreiten. Vor dem Rathaus gab es viel Zustimmung, viele aufmunternde Worte. Aber auch viel Ablehnung, sogar Beschimpfungen.

Die politischen Überzeugungen von Dirk Nockemann (AfD) wollen die „Omas gegen Rechts“ weiter bekämpfen.
Die politischen Überzeugungen von Dirk Nockemann (AfD) wollen die „Omas gegen Rechts“ weiter bekämpfen. © picture alliance/dpa | Georg Wendt

Für die „Omas gegen Rechts“ ist das nichts Neues. Besonders inoffizielle „Opas gegen links“ würden sie immer wieder aufs Übelste beleidigen. „Die Omas sollten mal in den Asylbewerberheimen richtig durchgef… werden“, habe der rechtsextreme Sven Liebich ungestraft über Lautsprecher auf dem Marktplatz von Halle gegrölt, berichtet Dörte.

Wie sehr sich die Rechten in den vergangenen Jahren radikalisiert haben, belegt auch die neueste Nachricht vom Verfassungsschutz. So ist mit Sachsen nach Thüringen und Sachsen-Anhalt mittlerweile der dritte AfD-Landesverband als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Eine mehrjährige juristische Prüfung habe „unzweifelhaft“ ergeben, dass der sächsische AfD-Landesverband „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolge, erklärte Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian in Dresden. „An der rechtsextremistischen Ausrichtung der AfD Sachsen bestehen keine Zweifel mehr“, so Christian.

Söder: „Die AfD verachtet unsere Demokratie“

Und Christian ist mit dieser Meinung nicht allein. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der bislang nicht im Verdacht stand, zu links zu sein, warnt im Abendblatt-Interview mit eindringlichen Worten vor der AfD. „Die Demokratie war in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie in so großer Gefahr wie jetzt“, sagt der CSU-Politiker. Helfen würde nach seiner Ansicht, „wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD auf nationaler Ebene als gesichert rechtsextrem einstuft“. Seine Begründung: „Die AfD verachtet unsere Demokratie.“

Oma Ursula hätte nie gedacht, dass sie mal mit Bayerns Söder einer Meinung sein könnte. „Natürlich ist die AfD schlimm“, sagt sie. „Auch der Nockemann distanziert sich ja jetzt nicht mehr von Höcke.“

Auf einem Plakat steht: „Björn Höcke ist ein Nazi“

Die Bergstedterin sitzt jetzt auf einer Bank in Harburg, neben ihr steht ihr mitgebrachtes Plakat. „Björn Höcke ist ein Nazi“ steht darauf. Es ist der gleiche Satz, den sie in ihrem ersten Leserbrief geschrieben hat. Neben ihr sitzt Oma Verena. Auch ihr Schild ziert der Höcke-Satz mit dem Zusatz: „… und die AfD ist seine Partei. Stopp Nazis.“

Es ist jetzt Mitte Dezember – und das erste Treffen der Hamburger Omas mit dem Abendblatt ist bereits mehr als zwei Monate her. Die AfD-Werte gingen in den vergangenen Wochen weiter nach oben, aber es gab auch andere Nachrichten. „In Lauenburg haben die Omas erfolgreiche Aufklärung über einen AfD-Kandidaten gemacht. Der ist nun dreimal durch die Wahl des Vorsitzpostens im Forst- und Jugendhilfeausschuss gefallen“, sagt Dörte. „Das zeigt doch, dass Engagement belohnt wird.“

Verstehen sich offenbar bestens: der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland (rechts) und Hamburg-Chef Dirk Nockemann.
Verstehen sich offenbar bestens: der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland (rechts) und Hamburg-Chef Dirk Nockemann. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

An diesem Donnerstag wird dieses Engagement wieder gefragt sein. Wieder hat die Hamburger AfD zum Bürgergespräch geladen. Wieder im Rathaus. Und wieder werden die „Omas gegen Rechts“ dagegen protestieren. Diesmal auf der Reesendammbrücke. Und diesmal wollen sie noch lauter sein.

Denn: Alexander Gauland, der AfD-Ehrenvorsitzende, hat sich angekündigt. „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, hat Gauland mal gesagt. Oder auch: „Wir haben das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“

„Omas gegen Rechts“ wollen Kampf gegen die AfD fortsetzen

Gauland will nun über „Deutsche Außenpolitik in Krisenzeiten“ sprechen. Ab 19 Uhr. Im Rathaus. Öffentlich. Und jede Hamburgerin und jeder Hamburger ist eingeladen.

„Die Omas werden da sein, und wir werden immer mehr“, sagt Dörte. Sie hat einen Besen in der Hand, auf dem klein, aber fein „Stadtreinigung“ draufsteht. Groß stehen auf ihrem Schild nur zwei Wörter: „Nazis raus!“