Hamburg. Serie „Unterwegs mit dem Spitzenkandidaten“: In Interviews gibt sich der AfD-Politiker beherrscht – im Internet geht er anders vor.

„Wir wehren uns dagegen, dass man uns immer vorwirft, unsere Form von Meinungsäußerung sei unzulässig zugespitzt, in letzter Konsequenz auch hetzerisch“, sagt Dirk Nockemann und nähert sich zwei Plakaten, die aus seiner Sicht der Aufwiegelung völlig unverdächtig sind. „Wir wollen sachlich argumentieren, aber auch deutlich unsere Auffassung beitragen“, fährt der Spitzenkandidat der Hamburger AfD fort. Sein Ton ist dieses Mal nicht polternd, wie so oft in Bürgerschaftsdebatten und auf Parteitagen, er spricht für seine Verhältnisse beherrscht – vor ihm stehen ja Journalisten. Auf den beiden Pappwänden neben ihm ist zu lesen: „Kein Schnack: Wir handeln, Asylmissbrauch beenden“. Und: „Weltoffen! Aber nicht für Banden und Clans.“

Nockemann breitet einen Arm aus. „Ja, das liegt mir sehr am Herzen“, sagt er dann und dehnt das nächste Wort. „W-E-L-T-offen, es wird ja immer gesagt­, die AfD sei eine etwas dumpfe Partei, ein bisschen auch mental zurückgeblieben, insbesondere nur – nationalistisch.“ Aber das stimme nicht. „Wir wollen auch im Prinzip eine weltoffene Stadt haben, wir wollen auch eine bunte Stadt, aber eine Stadt mit Regeln.“

„Zukunft für Bildung? Freitags wieder Schule“

Es ist Anfang Januar, die AfD hat in den mit dunkelbraunem Holz vertäfelten Raum „Rose“ des Restaurants Parlament unter dem Rathaus eingeladen. Auf zwei Tabletts liegen Brötchenhälften mit geräuchertem Schinken, auf Stühlen sind Wahlplakate platziert.

Mit insgesamt sieben Slogans will die Partei, deren Fraktion seit ihrem Start in der Bürgerschaft 2015 von acht auf sechs Abgeordnete geschrumpft ist, antreten. Mit Sprüchen wie: „Hummel, Hummel, Stau, Stau! Infrastruktur verbessern“, „Mieten: Mensch, Hamburg, wer soll das bezahlen?“ Und: „Zukunft für Bildung? Freitags wieder Schule“ – eine Anspielung auf die von der AfD abgelehnten „Fridays for Future“-Demos.

Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de

Nockemann macht allerdings keinen Hehl daraus, welche Rolle die Parolen zum „Asylmissbrauch“ und zu „Banden und Clans“ spielen: „Wir haben das einer Vielzahl unabhängiger Bürger vorgestellt, die sind auf diese beiden Plakate natürlich am meisten angesprungen“, erklärt der 61-Jährige.

Wobei längst nicht alle Bürger wie von der AfD gewünscht auf die Slogans anspringen. „Wenn ich die aufstelle, dann kommt jemand mit dem Fahrrad an mir vorbei und sagt: Die hauen wir euch gleich weg“, sagt Nockemann. Viel wichtiger für die AfD seien Onlineportale wie Facebook und YouTube, die „nicht gestört werden können, wo wir auch unsere Leute direkt ansprechen können“.

Bei Facebook zeigt Nockemann alarmistische Motive

Wie diese Ansprache im Internet aussieht, lässt sich zum Beispiel auf Nockemanns Seite als AfD-Politiker bei Facebook besichtigen. Dort hat er etwa eine Zeichnung veröffentlicht, die teilweise vermummte Gestalten zeigt. Ein Mann reckt ein Maschinengewehr in die Höhe, ein anderer hat ein Messer in der Hand, ein Bärtiger und zwei weitere Mitstreiter halten Schilder, auf denen steht: „Tod allen Christen“, „Schlagt den Deutschen die Köpfe ab“, „Tötet alle, die gegen den Islam sind.“ Daneben stehen Polizisten, die eine Autofahrerin kontrollieren. Einer der Beamten sagt: „Sie wissen hoffentlich, dass Fahren in der Busspur ein schweres Vergehen ist, Frau Müller.“ Nockemann kommentiert: „Aus dem Leben gegriffen.“ 85 Facebook-Nutzern „gefällt das“. Einer schreibt: „Es kommt einem so vor, tatsächlich!!“

Ein weiteres Motiv auf Nockemanns Facebook-Seite zeigt eine Hand, die eine Pistole auf eine Gruppe Läufer richtet. Daneben schreibt Nockemann über eine Senatsantwort, wonach dem Landeskriminalamt im Jahr 2019 drei links- und 14 religiös motivierte „Gefährder“ in Hamburg bekannt waren. Ein Nutzer kommentiert: „Kenne Leute in Hamburg, die regelmäßig zum Freitag Gebet in der Moschee aufschlagen und dort sieht man hunderte dieser Leute. Sind nicht alle so aber die breite Masse sehr wohl.“

Auf diese und weitere ähnliche Äußerungen hat Nockemann bisher nicht reagiert – aus Zeitgründen, wie er sagt: „Ich bin nicht mehr in der Lage, mir alle Kommentare anzuschauen.“

So wählt man in Hamburg

Wählen in Hamburg: So geht's
Wählen in Hamburg: So geht's

weitere Videos

    Früher hatte Nockemann eine andere Zielgruppe im Blick: In seiner Jugend war er bei den Jusos aktiv. Das sei „eine tolle Zeit gewesen“, damals in Witten bei Dortmund, sagt er heute. Er sei unter vielen SPD-Anhängern aufgewachsen, auch sein Vater sei Sozialdemokrat gewesen. „Ich hatte also eine gewisse Affinität dahin“, sagt Nockemann. „Aber wenn man älter wird, merkt man: Die Welt ist nicht zum Träumen da.“

    Nockemann studierte dann Rechtswissenschaften in Bochum, anschließend arbeitete er als Referatsleiter im Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns und als Direktor des Landesamtes für Asyl in Mecklenburg-Vorpommern.

    Auf der Straße macht sich Nockemann rar

    Zu Beginn des neuen Jahrtausends schloss Nockemann sich der Schill-Partei an. Es habe ihn aufgeregt, dass Gesetze in Deutschland „nicht konsequent angewendet“ würden, sagt er. Von August 2003 bis März 2004 amtierte Nockemann als Innensenator. 2013 trat er der AfD bei, 2015 zog er für seine neue Partei auf Listenplatz 3 in die Bürgerschaft ein. Heute ist Nockemann neben Alexander Wolf Fraktionschef der Hamburger AfD und ihr Landesvorsitzender.

    So umtriebig wie Nockemann bei Facebook ist – auf der Straße, in der Auseinandersetzung auch mit anders denkenden Bürgern, macht er sich rar. Im Januar kündigt die AfD-Fraktion zunächst nur zwei Auftritte ihres Spitzenkandidaten an Infoständen an. Dazu kommt es allerdings nicht, denn Nockemann fällt wegen einer Blinddarmoperation bis Anfang Februar aus.

    Als er nach dem Eingriff an einem Infostand in Bramfeld auftritt, sieht er sich lautstarkem Protest ausgesetzt, wie in einem Video zu sehen ist, das der „Zeit“-Journalist Tilman Steffen aufgenommen hat. Der Gegenwind für Nockemann kommt dieses Mal von einer alten Dame. Sie trägt ein schwarzes Hütchen und eine blaue Jacke mit Fellkragen, spricht Nockemann auf den AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland an.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Nockemann: „Hamburger AfD begibt sich nicht ins Völkische"

    Warum ist die AfD in Hamburg so schwach?

    Gauland hatte im Juni 2018 in einer Rede vor dem Bundeskongress der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative erklärt: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Der von Hitler ausgelöste Zweite Weltkrieg kostete mehr als 60 Millionen Menschen das Leben – ein „Vogelschiss“?

    Gaulands Äußerung sei „eine unverschämte Frechheit“ gewesen, ruft die Rentnerin. Freunde ihrer Eltern seien im Konzentrationslager Buchenwald geblieben. Nockemann: „Sie müssen aber auch sehen, was ich dazu gesagt habe. Ich habe nämlich gesagt, dass Herr Gauland das nicht so bezeichnen kann.“

    Was Nockemann nicht sagt: Die Hamburger AfD bot Alexander Gauland vor Kurzem zum wiederholten Mal ein Podium, begrüßte ihn am 20. Januar zu ihrer Reihe „Fraktion im Dialog“ im Rathaus. Bei Facebook veröffentlichte Nockemann dazu ein Foto, das ihn am Rednerpult zeigt, Gauland sitzt daneben. In der Kommentarspalte schreibt ein Nutzer: „Das sind ja wieder hochkarätige Redner im Hamburger Rathaus.“ Ein anderer erklärt: „War klasse, wie immer, sehr informativ und unterhaltsam.“

    Die alte Dame, die zuvor einen SPD-Stand besucht hat, spricht Nockemann auch auf den Eklat in Thüringen an. Das sei ein „ganz normaler demokratischer Wahlakt“ gewesen, sagt er. Darauf die Rentnerin: „Ihre Partei ist die größte Lüge, die es überhaupt gibt.“ Die AfD sei „ganz stark rechtsgerichtet“. Nockemann: „Wir sind konservativ.“

    Heftige Kritik wegen AfD-Anfrage zu Ausländern

    Die Hamburg AfD – weltoffen, sachlich, nur konservativ? In der Bürgerschaft glauben Nockemann das wohl nur die AfD-Abgeordneten.

    Es ist der 15. Januar, die AfD hat im Landesparlament eine Debatte angemeldet. Es geht um die Große Anfrage der AfD-Fraktion an den Senat zu den „fiskalischen Lasten der Zuwanderung“.

    Für die SPD-Abgeordnete Ksenija Milda Bekeris ist klar: Der AfD-Fraktion gehe es nicht um Transparenz, nicht in erster Linie um die Kosten der Aufnahme von Flüchtlingen, sondern um Ausländer in Hamburg insgesamt. „Wir sehen Menschen nicht als Zahlen“, sagt Bekeris. Der CDU-Abgeordnete Wolfhard Ploog erklärt, der Hintergrund der AfD-Anfrage sei „eine Schande“. Natürlich seien Kosten entstanden durch die Aufnahme von Flüchtlingen. Aber: „Jeder Euro, den wir dafür ausgeben, ist ein gut angelegter Euro.“

    Nockemann weist die Kritik zurück und erklärt: „Wir reden Klartext.“

    Klartext? Es kommt darauf an, wem er gegenübersteht. 5. Februar, Nockemann tritt neben den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der anderen fünf Bürgerschaftsfraktionen bei der Veranstaltung „Jugend debattiert“ auf. Er reagiert mitunter ungeduldig, zügelt sich aber. Der Moderator fragt: „Warum sollte man am 23. Februar die AfD wählen?“

    Nockemann erklärt als Erstes, die AfD wolle eine „Bildungspolitik gestalten“, die dazu führe, dass Hamburg sich den starken Bayern und Baden-Württembergern annähere. Des Weiteren habe die AfD eine „konservativ-bürgerliche Schicht“ im Blick. „Das heißt“, sagt Nockemann, „wir wollen auch viel Familienpolitik machen“. Er spricht dann noch kurz über innere Sicherheit. Kein Wort über „Banden und Clans“ oder die „ausländische Bevölkerung“.

    Mehr als 400 Schüler blicken ihn an. Applaus bekommt der AfD-Kandidat keinen. Das lasse ihn kalt, sagt Nockemann.