Hamburg. Olga Petersen will Einreiseverbot für Rechtsextremist Sellner verhindern. Auch sonst verfolgt sie eindeutige Ziele. Ein Überblick.

Der Moment, an dem in Hamburg etwas ins Rollen kam, kann man ziemlich genau terminieren. 19 Tage ist es nun schon her, dass sich 80 Menschen vor der AfD-Zentrale in der Hamburger Innenstadt zum Spontanprotest trafen. Es war der Startschuss. Am Tag danach waren es rund 2000 Demonstranten, eine Woche später 50.000 auf dem Jungfernstieg und am vergangenen Sonntag nach Veranstalterangaben sogar mehr als 100.000 Hamburger, die gegen die AfD und ihre Beteiligung am Potsdamer Treffen protestierten.

Das Potsdamer Treffen. Nachdem das Recherchenetzwerk Correctiv umfangreich über eine Geheimkonferenz in einem Hotel nahe Potsdam berichtet hatte, auf dem gut zwei Dutzend Rechtsextreme aus Deutschland und Österreich teilgenommen und über ihre Pläne zur „Remigration“ und sogar zur Deportation diskutiert haben sollen, scheint ganz Deutschland auf die Straße zu gehen. Natürlich auch in Hamburg.

Hamburger AfD-Abgeordnete Olga Petersen unterstützt Martin Sellner

Besonders im Fokus: der österreichische Mitorganisator und Rechtsextremist Martin Sellner. Die Positionen des langjährigen Aushängeschilds der rechtsextremen Identitären Bewegung sind so verstörend, dass zunächst sogar die Hamburger AfD ins Grübeln kam. „An einer Veranstaltung teilzunehmen, an der ein Martin Sellner teilnimmt, das ist ohne Sinn und Verstand“, sagte AfD-Chef Dirk Nockemann am Tag nach der Correctiv-Veröffentlichung eilig der „Mopo“.

„Seine Vorstellungen des ethnischen Volksbegriffs sind indiskutabel“, so Nockemann. Deutsche auszubürgern oder in andere Länder zu verbringen verbiete das Grundgesetz aus überzeugenden Gründen. „Seine Positionen werden von der ganz überwiegenden Mehrheit der AfD überhaupt nicht geteilt.“

Potsdamer Treffen: Kaum ein AfD-Landesverband distanzierte sich

Wirklich nicht? Kaum ein anderer Landesverband der AfD sah sich nach den Enthüllungen dazu bereit, sich ähnlich von Sellner, der Potsdamer Konferenz und der dort diskutierten Ideologie zu distanzieren. Im Gegenteil. Je länger der Protest anhielt, desto größer wurde die AfD-interne Unterstützung. Auch aus Hamburg.

Als am Wochenende bekannt wurde, dass dem Ultrarechten aus Österreich nun sogar ein Einreiseverbot nach Deutschland droht, hatte die (einzige weibliche) Hamburger AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen offenbar genug gehört und gelesen. Via Facebook und Instagram („#KeinMartinistIllegal“) rief sie nun dazu auf, eine Petition gegen ein mögliches Einreiseverbot Sellners zu unterzeichnen.

Hamburger AfD-Abgeordnete Petersen fragt: „In welchem Staat leben wir?“

„In welchem Staat leben wir, wenn ein Schriftsteller für Texte abgeschoben werden soll und ausländische Mörder auf Staatskosten bleiben dürfen?!?“, fragte die Deutsch-Russin ihre Community. „Über die deutsche Grenze darf jeder, nur ein Martin Sellner nicht?!“

Olga Petersens Einsatz für ihren Gesinnungskollegen aus Österreich überrascht nicht wirklich. Petersen, das Enfant terrible der Hamburger AfD, und der einflussreiche Influencer der sogenannten Neuen Rechten aus der Alpenrepublik sollen sich schon länger kennen.

Petersen und Sellner traten im November auf einer Konferenz auf

Gerade erst kürzlich, am 4. November, waren die beiden auf einer Konferenz des rechtsextremen Magazins „Compact“ in Magdeburg. Und auch hier soll eines der ausführlich diskutierten Themen die „Remigration“ gewesen sein.

Gerne würde man Olga Petersen zu ihrer Verbindung zum Rechtsextremisten Sellner befragen. Warum sie ihn noch immer unterstützt? Was sie von seinen Überzeugungen wirklich hält? Und was sie über die Potsdamer Konferenz eigentlich denkt?

Statt Petersen antwortete die AfD mit einer Stellungnahme

All diese Fragen hat das Abendblatt an die im russischen Omsk geborene medizinische Fachangestellte geschickt. Eine Antwort von ihr gab es nicht, stattdessen antwortete die Hamburger AfD-Fraktion mit einer gemeinsamen Stellungnahme.

Darin heißt es unter anderem, dass Herr Sellner nicht AfD-Mitglied sei und man einen ethnisch-biologischen Volksbegriff auch ablehne. Aber: „Es mutet absurd an, dass die Bundesregierung jeden Tag Kriminelle und Wirtschaftsmigranten die deutschen Staatsgrenzen passieren lässt, aber Herrn Sellner ohne irgendeinen konkreten Verdacht der Gesetzesübertretung als EU-Staatsbürger mit einer Einreisesperre belegt.“

Mehr zum Thema

Die Frage, wie Hamburgs AfD-Chef Nockemann Petersens Unterstützung für Sellner auf ihren Social-Media-Kanälen einordnet, blieb unbeantwortet. Dabei lotet Petersen schon seit Jahren immer wieder ihre Grenzen am rechten Rand aus – und bekommt bislang maximal einen halbherzigen Rüffel ihrer Hamburger Parteikollegen.

Gerne gibt sie dem früheren Hamburger „Flügel“-Mann Peter Wolfslast ein ausführliches Interview, ebenso dem rechtsextremistischen Online-Portal „PI-News“ oder immer wieder auch dem rechten „Deutschland Kurier“. Im August 2020 nahm die Hamburg-Abgeordnete sogar an dem Aufmarsch in Berlin teil, bei dem versucht wurde, das Reichstagsgebäude zu stürmen. Mit dabei waren „Reichsbürger“, Neonazis, NPD-Mitglieder – und Olga Petersen.

Im vergangenen Jahr erhielt Hamburger AfD-Abgeordnete eine Abmahnung

Nur im vergangenen Jahr kassierte Petersen zunächst eine Abmahnung des AfD-Landesvorstands, nachdem sie dem russischen staatseigenen TV-Propaganda-Sender Rossija-1 ein nicht abgesprochenes Interview gegeben hatte. Unter anderem hatte die Vierfachmutter bei „Rossija-1“ beklagt, dass Deutschland sich unabhängig von Erdgas aus Russland machen wolle.

Doch die Abmahnung wurde relativ schnell danach schon wieder vom Schiedsgericht der Partei eingefangen. Und so blieb der Verdacht, der bei der AfD so häufig aufkommt: Es gibt einen Aufreger, ein halbherziges Rückrudern, keine Konsequenzen – und fertig ist der Aufmerksamkeitseffekt.

Olga Petersen kokettiert gerne mit ihrer Nähe zu Björn Höcke

Perfektioniert hat diese Masche kein Geringerer als der Rechtsextremist Björn Höcke, den Demonstranten laut einem Gerichtsurteil als „Nazi“ oder „Faschisten“ bezeichnen dürfen. Während sich Hamburgs AfD-Chef Nockemann mal mehr, mal weniger von Höcke distanziert, kokettiert Petersen gern mit seiner Nähe.

Ein gemeinsames Foto mit Höcke, der laut dem Verfassungsschutzbericht 2021 des Thüringer Verfassungsschutzes als rechtsextrem eingestuft wird, teilte sie im vergangenen Jahr stolz auf ihrem Telegramkanal. Vom Abendblatt auf Höcke angesprochen, sagte sie mal: „Björn Höcke ist ein Mitglied unserer Partei wie viele andere auch. Er kümmert sich um Thüringen, ich bin in Hamburg politisch aktiv.“

Petersens Ziel: „Millionenfaches Abschieben!“

Auch der Enthüllungsbericht von Correctiv über den Geheimplan, Menschen mit Migrationshintergrund millionenfach abzuschieben, scheint Petersen nicht ins Wanken gebracht zu haben. Im Gegenteil. Bei Instagram verbreitete sie eine Verharmlosung mit ihrem Foto. Darauf zu sehen: Das Wort „Geheimplan“ ist durchgestrichen, darüber steht: „Geh-heim-Plan“. Auf einem weiteren Transparent mit ihrem Foto gibt es Klartext: „Das ist unser Ziel: Millionenfaches Abschieben!“

Das Ziel von rund 100.000 Hamburgern, die am Sonntag gegen die AfD protestierten, ist ein anderes.