Hamburg. Männliche Politiker dominieren Partei, doch ihre Anhängerschaft ist viel gemischter. Wo ihre Hochburgen sind und was Protest bringt.
Wenn Dirk Nockemann (65), ein selbst ernannter alter, weißer Mann, erst einmal in Fahrt kommt, dann ist sein Gesicht nicht weiß, sondern rot. Am vergangenen Freitag, als mehr als 50.000 Hamburger gegen Nockemanns AfD rund um den Jungfernstieg auf die Straße gegangen sind, dürfte wieder so ein Moment gewesen sein.
Statt über den Grund für die Mobilisierung in ganz Deutschland, die Correctiv-Enthüllungen über ein Potsdamer Treffen mit AfD-lern und einen sogenannten Deportationsplan differenziert nachzudenken, sah Nockemann auch im Anschluss an die Großdemonstration in der Hamburger Innenstadt rot und sagte: „Wer die Opposition verbietet, tötet die Demokratie.“
Alte, weiße Männer und die AfD: Wer sind die Anhänger der Rechtspartei?
Das kann man möglicherweise so sehen, man kann es aber auch ganz anders bewerten. Unstrittig dürfte allerdings sein, dass die Massenproteste gegen die AfD und ihre Überzeugungen längst auch die Hansestadt erreicht haben. Nach der Großdemo am vergangenen Freitag, wollen am kommenden Sonntag erneut AfD-Gegner auf die Straße gehen. Bleibt die Frage: Wer wählt in Hamburg nach den Geschehnissen der vergangenen Wochen jetzt eigentlich noch die AfD?
Eine ziemlich simple, aber für die Demonstranten unbefriedigende Antwort: immer noch sehr viele. In der repräsentativen Abendblatt-Umfrage von vor drei Monaten lag die AfD in Hamburg noch immer bei einem Rekordergebnis von 14 Prozent.
Politikwissenschaftler Wiesendahl: Haupttreiber der AfD ist die Flüchtlingskrise
„Haupttreiber ist die wieder aufgeflammte Flüchtlingskrise“, erklärt der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl das AfD-Umfragehoch. „Weiteren Auftrieb liefert die Ampel-Koalition mit ihrer Klimawende und linksliberalen politischen Agenda. Die Ampel-Politik stößt AfD-Anhänger als unerträglich ab. Sie begegnen dem Regierungslager mit teils feindseliger Verachtung.“
Allerdings hat Wiesendahl auch ein etwas differenziertes Bild darüber, wer genau noch immer mit der AfD sympathisiert. Spoiler: Es sind eben nicht die „alten, weißen Männer“, die stereotyp oft im Zusammenhang mit der AfD genannt werden. „Umgekehrt“, sagt Wiesendahl. „Die AfD-Wählerschaft hat ein Defizit an alten Männern. Männer mittleren Alters (ohne Bart) überwiegen deutlich den Frauenanteil. Bei Jungwählern herrscht wieder Ebbe. Mittelschichtangehörige und Selbstständige sind gut vertreten.“
Politologe Schröder: „Milieu der AfD-Wähler ist männlich geprägt“
Ähnlich sieht es Wolfgang Schröder, der an der Uni Kassel eine Professur für das politische System der BRD hat: „Das Milieu der AfD-Wähler ist schon männlich geprägt, aber sehr viel heterogener, als manch einer angenommen hat. Es sind auch Frauen dabei – und es geht über alle Berufs- und Altersgruppen hinweg“, sagt Schröder im Gespräch mit dem Abendblatt.
„Es sind eben nicht nur die alten, weißen Männer, die die AfD wählen. Ganz im Gegenteil. Bei den letzten Wahlen waren es oft auch jüngere Wählergruppen, die sich durch diese AfD-Welt angezogen fühlen.“
In Hamburg wählen vor allem junge Menschen die AfD
Und die Zahlen geben den beiden Politikexperten recht. Ein Ergebnis der repräsentativen Abendblatt-Umfrage: In Hamburg wollen vor allem junge Menschen die AfD wählen, am stärksten ist die Zustimmung mit 13 Prozent in der Gruppe der 16- bis 34-Jährigen. Männer sind mit 14 Prozent allerdings tatsächlich deutlich stärker als Frauen (neun Prozent) unter den AfD-Sympathisanten vertreten.
„Eines eint diese heterogenen Gruppen aber: Sie haben eine unversöhnliche Haltung zur politischen Kultur in Deutschland. Sie wollen sich nicht gemein machen mit der aktuellen Entwicklung. Sie wollen ein anderes Deutschlandbild“, sagt Politikwissenschaftler Schröder.
Olga Petersen ist die einzige AfD-Abgeordnete in Hamburg
So heterogen die AfD-Anhänger daherkommen, so homogen wirkt die Gruppe der Abgeordneten in Hamburg. Von sieben Abgeordneten in der Bürgerschaft ist mit Olga Petersen lediglich eine Frau dabei, die allerdings bei der letzten Wahl in ihrem Bezirk in Bergedorf mit 8,2 Prozent das beste AfD-Ergebnis erzielen konnte.
Und was für Hamburg gilt, scheint auch auf Bundesebene nicht anders zu sein. „Unter den Bundestagsabgeordneten dominieren die Männer mit reputierlichen Berufen“, sagt der Soziologe Wiesendahl. „Der geringe Frauenanteil spiegelt sich auch in der Mitgliedschaft der Partei wider. Die Fraktions- und Parteivorsitzende Alice Weidel bildet eine rühmliche Ausnahme.“
Anders als beispielsweise bei den Linken (Frauenanteil 50,4 Prozent) oder den Grünen (49,8 Prozent) spielen Frauen bei der Hamburger AfD kaum eine Rolle – und das soll sich offenbar auch nicht ändern. „Grundsätzlich kann ich sagen, dass die alten, weißen Männer genau diejenigen sind, die wissen, wie es läuft. Darum werden sie ja auch bekämpft …“, sagte Nockemann vor wenigen Monaten im Abendblatt-Interview.
Und auch zu Olga Petersen, der einzigen AfD-Abgeordneten in der Hamburger Bürgerschaft, bezog Nockemann im Interview klar Stellung: „Sie hat ihre Positionen, sie hat sich mit Höcke fotografieren lassen – und sie hat es bei der Wahl zur Europaliste eben nicht geschafft.“
Europawahl im Juni gilt als wichtiger Gradmesser für die AfD
Eben jene Europawahl Anfang Juni dürfte auch in Hamburg zu einem wichtigen Gradmesser darüber werden, inwiefern die Proteste dem bisherigen Umfragehoch der AfD geschadet haben. „Der Aufstieg der AfD wird bei der Stimmabgabe zur Europawahl im Juni und den drei ostdeutschen Landtagswahlen im September entschieden. Die Vorzeichen für die AfD sehen ziemlich gut aus“, sagt Wiesendahl.
Er setzt auch keine zu großen Hoffnungen auf die momentane AfD-Empörung: „Es ist nicht nachhaltig, und ihm fehlt ein inspirierender politischer Zielhorizont, hinter dem sich die heterogenen Aktivistengruppen zusammenhalten ließen. Also: Die Mobilisierungsdynamik wird in der Flaute landen.“
- „Omas gegen rechts“ aus Hamburg kämpfen gegen Höhenflug der AfD
- Hamburg erlebt immer mehr rechte Gewalt – Gefahr für die Demokratie
- Bündnis Deutschland: Wem die Rechtspartei in Hamburg gefährlich werden könnte
Wiesendahls Kollege Schröder sieht nicht ganz so schwarz: „Die Proteste werden sicherlich weitergehen, allerdings wird sich auch die AfD weiter stabilisieren. Aus meiner Sicht ist der größer werdende Protest aber für unsere Demokratie wichtig, weil sich nun auch die Menschen mit der AfD beschäftigen, die vorher zurückhaltender waren. Diese werden nun lautstärker und aktiver.“
Sprecherin von Fridays for Future mobilisiert zur neuen Anti-AfD-Demonstration
Wie lautstark genau die AfD-Gegner in Hamburg sein werden, wird sich bereits am kommenden Sonntag ab 14 Uhr in der Innenstadt zeigen. „Wir können nicht darauf warten, dass andere unsere Werte und Vielfalt vor den Rechten verteidigen. Wir müssen es selbst tun. Nächsten Sonntag wollen wir daher das nächste klare Zeichen gegen rechts in Hamburg setzen und uns mit Tausenden schützend vor unsere Demokratie stellen.“
Sagt Annika Rittmann. Die Sprecherin von Fridays for Future Hamburg und Mitorganisatorin der Anti-AfD-Demonstration. Oder ganz simpel: sagt Annika Rittmann, die junge, weiße Frau.