Hamburg. In Bremen feierten Bürger in Wut überraschenden Wahlerfolg und wollen das nun in Hamburg wiederholen. AfD und CDU sind alarmiert.

Wer politisch in Hamburg etwas zu sagen hat, der war am Montagabend im Grand Hotel Elysée. 400 Gäste trafen sich beim traditionellen Jahrestreffen der Landespressekonferenz. Es gab Backfisch mit Kräutersauce und Spaghetti aus dem Parmesan-Laib, dazu Wasser, Wein und Bier. Die Garderobe war Business Casual, wie es auf Neu-Deutsch heißt. Nahezu der gesamte Senat war anwesend – natürlich auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).

Der hatte beste Laune – und einen gut gemeinten Rat an Hamburgs politische Journalisten. So manche Schlagzeile sei doch sehr holzschnittartig, sagte Tschentscher. Zwar gebe es zum Beispiel in der Inneren Sicherheit „durchaus Problemzonen“, etwa rund um den Hauptbahnhof, aber man möge doch bitte stärker differenzieren: „Dass Hamburg jetzt die Verbrechens-Hauptstadt Deutschlands geworden sein soll, das glaubt Ihnen doch kein Mensch!“

Bündnis Deutschland will in Hamburg rechts von der CDU Wähler gewinnen

Nun ja. Raoul Classen glaubt das. Und Niklas Stadelmann auch – oder zumindest behaupten sie es. Zwar waren die beiden Politiker an diesem Montag nicht beim Treffen der Politelite, doch das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. Mitentscheidend hierfür wird aber nicht der vergangene Montag sein, sondern der bevorstehende Sonntag. Dann soll in einer Lokalität südlich der Elbe der Hamburger Landesverband des Bündnisses Deutschland gegründet werden.

Eine neue Partei rechts von der CDU, die unter anderem auf das Thema innere Sicherheit setzen will – da kommen in der Hansestadt ungute Erinnerungen hoch. Doch hat dieses neue Sammelbecken für Unzufriedene tatsächlich die Kraft, Hamburgs Parteienlandschaft durcheinanderzuwirbeln? Ja, sagen Classen, der Landesvorsitzender werden soll, und Stadelmann, der bereits Generalsekretär ist. Nein, sagen offiziell alle anderen Parteichefs. Doch glauben sie das auch?

Können die Bürger in Wut Bremer Erfolg in Hamburg wiederholen?

Zweifel sind erlaubt. Hinter vorgehaltener Hand wird die Gründung der neuen Partei, die gerade erst mit den Bremer Bürgern in Wut fusioniert hat, durchaus mit Sorge verfolgt. Einerseits, weil derzeit fast jede Hamburger Partei ihre eigenen Probleme hat und weitere Konkurrenz da nicht wirklich hilfreich wäre.

Andererseits, weil die Vergangenheit in Hamburg gezeigt hat, dass neue konservative Gruppierungen, auch rechts von der CDU, ein gewisses Potenzial haben. Beste Beispiele: Natürlich die Schill-Partei, die 2001 auf Anhieb 19,4 Prozent erreichte. Aber auch die Statt-Partei, die 1993 aus dem Stand 5,6 Prozent schaffte. Und nicht zuletzt die AfD, die 2015 ebenfalls im ersten Anlauf mit 6,1 Prozent in die Bürgerschaft sprang – und dort bis heute vertreten ist.

Mit Schill- und Statt-Partei und der AfD hatte Hamburg schon viele Rechtsparteien

Dabei sind diese drei Fälle nur bedingt vergleichbar. So handelte es sich bei der Statt-Partei weder um Wut-Bürger noch um Extremisten, sondern im Kern um ehemalige CDU-Mitglieder, aus deren Sicht die parteiinterne Listenaufstellung für die Bürgerschaftswahl 1991 nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Nachdem das Verfassungsgericht diese Einschätzung bestätigt und die Wiederholung der Wahl angeordnet hatte, gründeten sie ihre eigene Partei und schafften es nicht nur in die Bürgerschaft, sondern wurden von Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) sogar am Senat beteiligt.

Doch schon kurz darauf begann der interne Zerfallsprozess, nachdem Parteigründer Markus Wegner die Fraktion verlassen hatte. 1997 flog das Bündnis mit 3,8 Prozent aus dem Parlament und verschwand in der Versenkung. Die angepeilte bundesweite Ausdehnung scheiterte ebenso wie 2001 der Versuch einer Wiederbelebung durch Jürgen Hunke.

Jürgen Hunke glaubt nicht an Erfolgsmodell Bündnis Deutschland

Der damalige Spitzenkandidat und Ex-HSV-Präsident kann sich noch sehr gut an den plötzlichen Auf- und Abstieg der „Unionsrebellen“ erinnern. Jeder habe damals mitreden wollen, sagt der 80-Jährige. So wurde über jeden einzelnen Antrag bei Parteitagen stundenlang debattiert. „Langfristig konnte das nicht gutgehen“, sagt Hunke, der dem Bündnis Deutschland ein ähnliches Schicksal prophezeit – obwohl die selbst ernannten „Bürger in Wut“ in Bremen kürzlich aus dem Stand 9,6 Prozent geholt hatten, ehe sie vor einer Woche mit Stadelmanns Bündnis Deutschland fusionierten.

Am vergangenen Freitag fusionierten die Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW) mit Jan Timke (2. v. l.) und Piet Leidreiter (r.) zum Bündnis Deutschland mit Raoul Classen (l.) und Niklas Stadelmann (2. v. r.).
Am vergangenen Freitag fusionierten die Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW) mit Jan Timke (2. v. l.) und Piet Leidreiter (r.) zum Bündnis Deutschland mit Raoul Classen (l.) und Niklas Stadelmann (2. v. r.). © dpa | Janet Binder

Ihre drei zentralen Themen: Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Ein Dreiklang, der fast wie das Parteiprogramm der damaligen Statt-Partei klingt. Nur, dass es bei Hunke seinerzeit Wohlfühlen statt Wohlstand hieß. Dass er damit 2001 nur noch 0,4 Prozent der Stimmen holte, lag auch daran, dass mittlerweile ein anderer Protagonist auf der politischen Bühne stand: Ronald Schill.

„Richter Gnadenlos“: Schill setzte voll auf die Karte innere Sicherheit

Der von einigen Medien als „Richter gnadenlos“ gefeierte Jurist hatte sich mit knallharten Urteilen gegen Kleinkriminelle einen zweifelhaften Ruf erworben. Im Jahr 2000 begann er dann, aus spektakulären Fällen von Jugendkriminalität wie dem Dabelstein-Mord sowie aus der prekären Lage rund um den von Drogenhandel und Verelendung geprägten Hauptbahnhof politisch Kapital zu schlagen und gründete seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive, wie die Schill-Partei offiziell hieß.

Ihr Auf- und Abstieg war sogar noch eruptiver als der der Statt-Partei. 19,4 Prozent aus dem Stand bedeuteten das Ende von 44 Jahren SPD-Herrschaft, Ole von Beust (CDU) wurde Bürgermeister, Schill sein Stellvertreter – stellte sich aber als unkontrollierbarer Quartalsirrer heraus. Nach einer ganzen Reihe von Skandalen warf von Beust den Zweiten Bürgermeister 2003 raus – der Anfang vom Ende, die Partei zerlegte sich auch intern und versank nach der Neuwahl 2004 in der Bedeutungslosigkeit. Für Schill reichte es später nur noch für Trash-TV à la „Big Brother“.

Schill-Nachfolger Nockemann ist heut Fraktionschef der AfD

Sein Kurzzeit-Nachfolger als Innensenator wurde Dirk Nockemann, der später zur CDU wechselte und heute Partei- und Fraktionschef der Hamburger AfD ist. Die war 2012 von EU-Skeptikern um den Hamburger Professor Bernd Lucke gegründet worden und gab sich zunächst einen bürgerlich-liberalen Anstrich. Dass sich vor allem bundesweit nach und nach die Rechtsaußen durchsetzen würden, war seinerzeit noch nicht absehbar.

2015 schaffte die Alternative für Deutschland noch mit dem Wirtschaftsprofessor Jörn Kruse an der Spitze erstmals den Einzug in die Bürgerschaft. Nachdem dieser wegen des zunehmend rechtsextremen Profils der Bundespartei das Handtuch warf, übernahm mit Nockemann ein Law-and-Order-Mann das Ruder. Trotz der Querelen gelang der AfD 2020 hauchdünn mit 5,3 Prozent der Wiedereinzug ins Parlament.

Bündnis Deutschland will nicht mit der AfD zusammenarbeiten

Obwohl sie sich damit als deutlich beständiger erwiesen hat als zuvor Statt- und Schillpartei, will man sich diese Entwicklung beim Bündnis Deutschland nicht zum Vorbild nehmen. Mit der AfD werde man auf keinen Fall zusammenarbeiten, versichert Generalsekretär Stadelmann im Gespräch mit dem Abendblatt. Jedes Parteimitglied soll vor einer Aufnahme überprüft werden, wie man es mit der demokratischen Grundordnung so hält.

Aber: Schon jetzt sitzen mit Arniko Meinhold und Markus Scheer auch langjährige AfD-Mitglieder im Parteivorstand. Und: Bürger-in-Wut-Gründer Jan Timke war früher auch bei Statt- und Schillpartei aktiv – es gibt es also durchaus personelle Verflechtungen quer durch alle diese Gruppierungen. Doch was ist dem neuen Bündnis zuzutrauen? Offiziell heißt es, dass man das Vakuum ausfüllen wolle, das durch den Rechtsruck der AfD zwischen dieser und der CDU entstanden sei. Indes: Das ist ein recht enges politisches Spielfeld.

AfD gibt sich trotz der neuen Konkurrenz durch das Bündnis gelassen

In der AfD gibt man sich daher betont gelassen. „Für Protestwähler sind wir das Original“, sagt ein Mitglied. Außerdem habe das Bündnis kein Zugpferd, kein eigenes Thema und in Bremen nur so gut abgeschnitten, weil die dortige AfD nach internem Zwist bei der Kandidatenaufstellung nicht zur Wahl antreten durfte.

Parteichef Nockemann verweist zudem darauf, dass auch alle bisherigen Neugründungen von Ex-AfDlern wie Lucke und Frauke Petry „Rohrkrepierer“ waren. So werde es auch dem neuen Bündnis gehen. Allerdings kalkuliert man in der Partei durchaus ein, ein paar Stimmen an die neue Konkurrenz zu verlieren. Dann gilt: Sollte es wieder so eng werden wie 2020 – wonach es derzeit nicht aussieht –, hätte die AfD ein Problem.

Bei der CDU ist man hinter den Kulissen keinesfalls so entspannt, wie sich Spitzenkandidat Dennis Thering am Montagabend im Elysée präsentierte. Keine Konkurrenz sei die neue Partei, sagte Thering ganz offiziell. Inoffiziell ärgert man sich aber schon, dass mögliche AfD-Abweichler, die man selbst durch die Fokussierung auf die Innere Sicherheit zurückgewinnen wollte, nun zum Bündnis überlaufen könnten. Das könnte den erhofften Aufstieg auf 20 Prozent plus x (2020: 11,2) gefährden.

Bündnis Deutschland könnte besonders für Hamburger FDP gefährlich werden

Besonders hart könnte die erweiterte Konkurrenz für die FDP werden. Die war schon 2020 hauchdünn an der Fünfprozenthürde gescheitert und ist in Hamburg traditionell auf jedes Zehntel angewiesen, um überhaupt ins Parlament zu kommen. Angesichts des absehbaren Gedränges auf der rechten Spielfeldhälfte dürfte sie sich vor allem auf ihre sozialliberalen Traditionen konzentrieren und sich der SPD als Alternative zu den Grünen anbieten.

Bei Rot-Grün und den Linken kann man dagegen vergleichsweise gelassen zusehen, wie sich das konservative Lager kannibalisiert. Zumal abzuwarten bleibt, ob das Bündnis es schafft, schon bei den Bezirks- und Europawahlen 2024 anzutreten, ob es 2025 überhaupt noch existiert – und welches politische Profil es dann tatsächlich hat. Für den Fall, dass die Wutbürger die Hauptbahnhof-Karte spielen, hat Bürgermeister Tschentscher ja schon mal klargestellt: So schlimm ist das alles nicht.