Hamburg. Senatsantwort zeigt: Zahl der Straf- und Gewalttaten in Hamburg stark gestiegen – es soll noch dramatischer werden. Was sagt die AfD?
Den 27. November hat sich Ursula Bode schon sehr lange rot im Kalender markiert. Die 66 Jahre alte Bergstedterin ist mit Freundinnen am Abend vor dem Rathaus verabredet. Anders als die meisten anderen Hamburger ist für die Damen allerdings nicht der große Weihnachtsmarkt das Ziel, sondern eine Veranstaltung ab 19 Uhr im Rathaus: „AfD in der Bürgerschaft: Klartext statt Kuschelkurs“ heißt das Programm, das bei Bode und Co. vor allem für einen Impuls sorgt: dagegen zu demonstrieren.
Senat bestätigt: Immer mehr rechte Gewalt in Hamburg
Bode ist eine von rund 100 „Omas gegen Rechts“, die in Hamburg aktiv gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie kämpfen. Und wie wichtig und auch aktuell ihr Engagement gegen rechts ist, zeigen die aktuellen Antworten auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die einen erheblichen Anstieg rechter Straf- und Gewalttaten im dritten Quartal 2023 aufzeigen.
So wurden vom 1. Juli bis zum 30. September 122 Straftaten registriert, fast so viele wie in der ganzen ersten Jahreshälfte (1. Quartal: 67; 2. Quartal: 59) zusammen. Die meisten Verfahren (53) betrafen den Vorwurf der Volksverhetzung und wurden der Hasskriminalität und dem Themenfeld „Nationalsozialismus“ zugeordnet.
Aus Sicht von Ursula Bode hat das eine ganz viel mit dem anderen zu tun. „Diese Zahlen zeigen doch, dass die Hetze und der Hass, die die AfD verbreitet, Wirkung zeigen“, sagt die gebürtige Hannoveranerin. „Was seit langer Zeit gesprochen wird, wird nun auch in Taten umgesetzt.“
Unabhängig von der AfD scheinen die Senatsantworten auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion Bodes Vermutung in Bezug auf rechte Gewalt zu bestätigen. So habe es unter den 122 Straftaten sogar 45 Fälle gegeben, die von den Ermittlungsbehörden als rechtsextremistisch eingestuft wurden. „Schon lange belegten die Zahlen die alltägliche Gefahr, die von rechter Ideologie ausgeht“, sagt auch Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linken. „Jetzt sehen wir: Die anhaltende Diskursverschiebung nach rechts sorgen für einen deutlichen Anstieg amtlich registrierter rechter Straf- und Gewalttaten.“
„Bündnis gegen Rechts“ warnt vor Verschiebung des Diskurses nach rechts
Ähnlich werden die neuesten Zahlen auch vom „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ bewertet. „Der Anstieg rechter Straf- und Gewalttaten in Hamburg ist erschütternd und macht deutlich, dass umso entschiedener gegen die Gewaltaffinität rechts Gesinnter vorgegangen werden muss. Rechtsextreme Netzwerke müssen zerschlagen und Rechtsextremisten konsequent entwaffnet werden“, sagt Uwe Albers vom Bündnis. „Ein Treiber dieser Zunahme rechter Gewalt ist die zunehmende Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses nach rechts.“
Albers gibt zudem zu bedenken, dass die erhobenen Zahlen sogar noch vor dem terroristischen Überfall auf Israel erhoben wurden und deswegen im vierten Quartal möglicherweise sogar noch einmal ansteigen könnten. „Durch den terroristischen Angriff auf Israel sind zudem antisemitische Gewalttaten und Hasskriminalität stark gestiegen – ein Umstand, der sich in der aktuellen Statistik noch gar nicht wiederfindet“, sagt er. Und weiter: „Hier gilt es insbesondere wachsam zu sein, sich antifaschistisch zu engagieren und im eigenen Umfeld bei rassistischen und antisemitischen Vorfällen aktiv einzugreifen!“
„Omas gegen Rechts“ protestieren am Montag gegen die AfD
„Wachsam sein“ ist das Stichwort für Ursula Bode und ihre rüstigen Mitstreiterinnen der „Omas gegen Rechts“. Wie am Montagabend vor dem Rathaus wollen sie immer wieder den Finger in die Wunde legen und auch darauf aufmerksam machen, dass ihrer Meinung nach die AfD eine große Mitschuld an der gesellschaftlichen Entwicklung und am Verschieben des Diskurses nach rechts trifft.
„Herr Nockemann ist ja gerade auf einem Höhenflug. Diesen wollen wir stoppen“, sagt Bode und spielt damit auf das Wahlergebnis vom Vortag an. Denn beim Landesparteitag im Bürgersaal Wandsbek ist der Landesvorsitzende der Hamburger AfD gerade erst mit mehr als 95 Prozent für zwei weitere Jahre im Amt bestätigt worden. 82 AfD-Mitglieder stimmten für, vier gegen ihn.
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Nockemann hatte zuletzt immer wieder betont, dass aus seiner Sicht „der Islamismus die größte Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“ darstelle. Eine Sichtweise, der Innensenator Andy Grote (SPD) mit allerlei Zahlen schon bei der Vorstellung des jährlichen Verfassungsschutzberichtes widersprach. Die Fakten: Mit 380 Personen stehen in Hamburg derzeit so viele Rechtsextreme unter Beobachtung wie noch nie. Auch die Zahl von rechtsextremistischen Gewaltdelikten war 2022 mit 56 so hoch wie noch nie.
Bereits im Sommer warnte Innensenator Grote davor, dass auch die Hamburger AfD die Tendenz habe, sich zu radikalisieren. Das werde auch beim inzwischen sehr aggressiven Ton in der Bürgerschaft deutlich. Grotes damaliges Fazit: „Die größte Gefahr für die Demokratie kommt immer noch von rechts.“
Özdemir: Erhebliche Gefahr für die ganze demokratische Gesellschaft
Eine Gefahr, die laut Cansu Özdemir immer größer wird. „Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Hass auf queere Menschen und andere Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind eine erhebliche Gefahr für die ganze demokratische Gesellschaft. Und das alles ist im Aufwind, wie diese Zahlen belegen.“
Auch Larissa Denk von „Hamburg vernetzt gegen Rechts“, der Koordinierungsstelle des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus, ist alarmiert. Sie sagt, dass es natürlich nichts Neues sei, dass rechte Ideologien in der sogenannten Mitte der Gesellschaft vertreten würden. „Zu beobachten ist allerdings in den letzten Jahren, dass mehr Menschen, die sich als Mitte der Gesellschaft oder sogar als links verstehen und auch so zu verorten sind, eher rechte Einstellungen teilen.“ Die aktuellen Zahlen, dass rechte Gewalt und Straftaten zunehmen, überrasche sie daher nicht.
AfD-Chef Nockemanns Antwort zur Zunahme von rechter Gewalt
Bleibt nur die Frage, ob Hamburgs AfD-Chef Nockemann eigentlich von diesen Zahlen überrascht ist. Bevor er am Montagabend im Rathaus Klartext sprechen wollte, sagte er zum Abendblatt: „Extremismus, ganz gleich welcher Couleur, ist mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Vor dem Hintergrund des Nahostkonfliktes mit seinen Auswirkungen auch auf deutschen Straßen müssen antisemitische und antiisraelische Straftaten noch strenger verfolgt werden.“ Zudem wies er darauf hin, dass die AfD erst kürzlich in einem Antrag gefordert habe, dass der Kampf gegen Antisemitismus und das Existenzrecht Israels im Islam-Staatsvertrag verankert werden müsse.
Sicherlich keine unwichtigen Punkte. Nur die eigentliche Frage nach der starken Zunahme von rechter Gewalt hat Nockemann nicht beantwortet.