Hamburg. Die Demonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Jungfernstieg übertrifft alle Erwartungen. Bewegenden Worten folgt ein Wermutstropfen.

Vielleicht war schon das Wetter symbolisch: Just mit dem Eintreffen der ersten Demonstranten am Jungfernstieg endete der Schneefall und über der Innenstadt brach sich ein blauer Himmel Bahn. Kalt blieb es trotzdem. Doch selbst Temperaturen um den Nullpunkt konnten rund 50.000 Hamburgerinnen und Hamburger am Freitag nicht davon abhalten, aufzustehen. Mit Plakaten und Plaketten, Bannern und nicht zuletzt einer lauten, gemeinsamen Stimme setzten sie ein starkes Zeichen gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke sowie für die Menschlichkeit.

Nicht allein die Demonstranten, auch die Initiatoren der Versammlung unter dem Credo „Hamburg steht auf“ bildeten die ganze, bunte Stadtgesellschaft ab: Vereine, Gewerkschaften sowie Kulturschaffende, Sportler, Unternehmer und Religionsgemeinschaften riefen gemeinsam dazu auf, sich im Namen der Weltoffenheit und Vielfalt zu versammeln.

Demo am Jungfernstieg bringt 50.000 Hamburgerinnen und Hamburger zusammen – gegen Rechtsextremismus

Damit beriefen sie sich explizit auf die Verfassung der Hansestadt, laut der Weltoffenheit und Vielfalt identitätsstiftend für die Stadtgesellschaft sind. „In diesem Sinne und mit festem Willen schützt die Freie und Hansestadt Hamburg die Würde und Freiheit aller Menschen“, heißt es dort wörtlich. Hamburg setze sich gegen Rassismus und Antisemitismus sowie jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein. Dass dies keine bloße Plattitüde ist, hat die Stadt nun bewiesen.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) eröffnete die Kundgebung am Pult – und musste sich dort kurz gedulden, bis er mit seiner Rede beginnen konnte. „Nazis raus, Nazis raus“, rief der Demonstrantenchor noch, bis Tschentscher das Wort mit leichter Verzögerung ergriff. Mit der Kundgebung sende die Stadt eine klare Botschaft an die AfD, Rechtsextreme und Demokratiefeinde in unserem Land. „Und diese Botschaft besteht aus zwei Worten: Nie wieder!“, so Tschentscher.

Demo in Hamburg: Tschentscher beschwört Zusammenhalt in der Stadt

„Vor wenigen Tagen mussten wir erfahren, dass Rechtsradikale in Deutschland einen Umsturz und eine systematische Vertreibung von Millionen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes planen.“ Das zeige, wie schnell Populismus in verfassungsfeindliche, Demokratie und Menschen verachtende Aktivitäten umschlagen kann. Es sei ermutigend, dass Tausende Hamburgerinnen und Hamburger dem Demoaufruf gefolgt seien, „um in der vielleicht schwierigsten politischen Phase unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg auf der richtigen Seite zu stehen.“

Nun gelte es, Solidarität und Zusammenhalt auch nach der Demonstration weiterhin zu leben und Haltung zu zeigen, auch „im privaten Bereich, in der Nachbarschaft, im Sportverein, am Arbeitsplatz – und denjenigen die Hand zu reichen, die erschrocken sind und Angst bekommen, wenn sie Nachrichten über diese Aktivitäten der Rechtsradikalen hören.“

EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs: „Unser Kreuz hat keine Haken“

Kirsten Fehrs, Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hob wenig später zu einer Rede im Namen der Christen in Hamburg an. „Als Kirche werden und dürfen wir nicht schweigen, heute nicht und morgen auch nicht“, sagte sie. „Unser Kreuz hat keine Haken.“ Als weitere Redner traten unter anderem Tanja Chawla, Vorsitzende des DGB Hamburg, und Michael Thomas Fröhlich, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmerverbände (UV Nord), auf.

Reichlich prominente Unterstützer bei der Hamburger Demo gegen Rechtsextremismus auf dem Jungfernstieg.
Reichlich prominente Unterstützer bei der Hamburger Demo gegen Rechtsextremismus auf dem Jungfernstieg. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Insgesamt kamen 50.000 Menschen, und sie waren alle dabei: Vertreter der demokratischen Parteien, die Ehrenbürger Udo Lindenberg und Michael Otto, Klimaforscher Mojib Latif, Moderator Reinhold Beckmann und der ehem. „Tagesschau“-Sprecher Ulrich Wickert waren vor Ort oder solidarisierten sich bereits im Vorfeld mit den Initiatoren. HSV-Vorstand und St.-Pauli-Präsident, Schauspielhaus- und Kampnagel-Intendanz, „Omas gegen Rechts“ an der Seite der Schüler:innenkammer – ganz Hamburg ist am Freitag gegen Rechtsextremismus aufgestanden.

Ballettintendant John Neumeier will Zuständen wie in den USA entgegentreten

Auch Ehrenbürger und Ballettintendant John Neumeier, der zuletzt einige Termine wegen einer Armverletzung absagen musste, war auf der Demo anzutreffen. Diese sausen zu lassen, kam für ihn nämlich nicht infrage, wie er dem Abendblatt erzählt: „Ich habe mir gesagt: Ich muss absolut da sein, selbst wenn ich nicht den ganzen Weg gehen kann oder nicht so lange stehen kann.“

Er, der vor mehr als 60 Jahren aus den USA nach Deutschland kam, sieht sich schließlich selbst noch immer als Ausländer. Hier gut aufgenommen worden zu sein und noch dazu mit hochqualifizierten Künstlern aus mehr als 20 Ländern arbeiten zu können, sei für ihn von hohem Wert.

Ballettintendant John Neumeier bei der Demo gegen Rechtsextremismus: „Ich habe mir gesagt: Ich muss absolut da sein!“
Ballettintendant John Neumeier bei der Demo gegen Rechtsextremismus: „Ich habe mir gesagt: Ich muss absolut da sein!“ © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Rechte Strömungen und die AfD erlebe er hingegen als bedrohlich – insbesondere in Hinblick auf die Rolle Donald Trumps in den USA: „Ich bin so entsetzt über mein Geburtsland. Wenn man sich vorstellt, dass so etwas hier in Deutschland passieren könnte, dann ist es wirklich zum Verzweifeln“, sagte Neumeier.

Demo in Hamburg: Stefan Gwildis erhebt Stimme gegen Rechtsradikale

Starke Worte fand zudem Patrick Esume, Commissioner European League of Football, der als Redner von der Bühne zur Menge sprach: „Als ich angefragt wurde zu sprechen, habe ich mich schwergetan. Ich glaube, ganz viele da draußen tun sich sehr schwer, die Courage aufzubringen und den Mund aufzumachen“, sagte er. Doch dann habe er an seine beiden kleinen Kinder denken müssen. „Wenn die mich in zehn Jahren fragen: ,Was hast du damals gemacht? Du hattest eine Stimme in den Medien‘ und ich sage ,gar nichts‘, würde ich mich zu Tode schämen.“

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um seine Stimme gegen Rechtsradikale und die AfD zu erheben. Unter Jubel bezog er Stellung gegen „den braunen Mist“ und beschwor die Vielfalt sowie das Miteinander mit Songzeilen wie „Mögen die Farben unserer Haut auch unterschiedlich sein, so fließt durch uns doch derselbe rote Saft“ und „Diese Welt wurde doch nicht in Schwarz und Weiß gemalt, sie besteht doch nicht aus Nullen und Einsen.“ Auch in den überfüllten Alsterarkaden wurde kräftig mitgewippt.

Einfallsreiche Plakate, gelöste Stimmung. Zehntausende besuchten die Demo in Hamburg.
Einfallsreiche Plakate, gelöste Stimmung. Zehntausende besuchten die Demo in Hamburg. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

50.000 Menschen in der Innenstadt: Demo in Hamburg muss abgebrochen werden

Trotz rundum toleranter, vielfach entspannter und teils ausgelassener Stimmung erfährt die Demonstration eine gute Stunde nach ihrem Beginn ein jähes Ende. Zuvor war auf der Bühne mehrfach von kollabierenden Versammlungsteilnehmern die Rede, ein Krankenwagen musste sich den Weg durch das Gedränge bahnen. Auch viele ältere Menschen hatten sich auf dem Jungfernstieg eingefunden, nicht unbedingt alltäglich auf Demonstrationen. Insgesamt dürften es 50.000 Menschen bis zu diesem Zeitpunkt gewesen sein – zu viele, um die Demo ohne Sicherheitsbedenken weiterlaufen zu lassen. Ursprünglich waren die Veranstalter nur von 10.000 Teilnehmenden ausgegangen.

Mitveranstalter Kazim Abaci (SPD) verkündete von der Bühne aus das Ende der Versammlung. Auch aus Sorge, „dass Menschen in die Alster stürzen könnten“, so die Polizei. Drei Redebeiträge fielen damit weg, der Veranstalter bat die Menschen, den Platz vorsichtig zu verlassen.

Der Intendant des Thalia-Theaters, Joachim Lux, unterstützte die Demo ebenfalls. Sein Redebeitrag fiel jedoch dem vorzeitigen Ende der Versammlung zum Opfer. Er zeigte sich nichtsdestotrotz mehr als zufrieden mit dem Ergebnis: „Als einer derjenigen, der von Anfang an bei der Mobilisierung zu der Demonstration dabei war, bin ich stolz in Hamburg zu leben. Statt der von uns zu Anfang erwarteten 2000 Demonstranten waren mindestens 50.000 da – welch ein unglaublicher Erfolg der bürgerlichen Mitte!“ Es sei ein „Wermutstropfen, dass die Veranstaltung wegen Überfüllung abgebrochen“ werden musste.

„Ganz Hamburg hasst die AfD“, skandierten Demonstranten auf dem Rathausmarkt

Die Polizei hatte schon kurz nach Beginn der Kundgebung Maßnahmen ergriffen und die Zugänge zum Jungfernstieg von der Kleinen Alster gesperrt, „damit nicht noch weitere Personen direkt auf den Jungfernstieg gehen“, so ein Sprecher. Allerdings versuchten viele nur, näher an die Bühne zu kommen – viele Reden waren aufgrund der Menschenmenge und der Akustik kaum zu verstehen.

50.000 Hamburgerinnen und Hamburger setzten am 19. Januar gemeinsam ein Zeichen gegen Rechtsextremismus.
50.000 Hamburgerinnen und Hamburger setzten am 19. Januar gemeinsam ein Zeichen gegen Rechtsextremismus. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

U- und S-Bahnen bedienten den Halt Jungfernstieg nicht mehr. „Es sollen keine Menschenmassen von innen nachschieben“, so ein Sprecher. Auf dem Rathausmarkt, wo die Versammlung eigentlich stattfinden sollte, tummelten sich ebenfalls Hunderte Hamburgerinnen und Hamburger. Teils weil der Jungfernstieg die Masse nicht fassen konnte und sich ein Rückstau bildete, teils strömten sie mit dem verfrühten Ende der Kundgebung dorthin. „Ganz Hamburg hasst die AfD“, riefen einige vor Ort. Die Anwesenden, einige vermummt, zündeten auch Pyrotechnik. Es blieb der einzige Zwischenfall.

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Noch am Vortag hatten die Organisatoren die Großdemonstration vom Rathausmarkt auf den Jungfernstieg verlegt. Grund dafür war, dass die Hamburger AfD kurzfristig eine Fraktionssitzung im Rathaus für Freitagnachmittag anmeldete. Damit griff das Bannmeilen-Gesetz, nach dem sich Demonstranten nicht in unmittelbarer Nähe zu arbeitenden Parlamenten versammeln dürfen.

Großdemo in Hamburg nach Correctiv-Recherche zu Rechtsextremen

Auslöser der Demonstration in Hamburg, aber auch der vielen weiteren Versammlungen gegen Rechtsextremismus im Umland und im Rest Deutschlands, war ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv. Dieser beschreibt, wie eine Gruppe von Akteuren aus dem rechten Spektrum im November in Potsdam auf einem geheimen Treffen einen „Masterplan“ zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund besprach. Die Teilnehmer des Treffens äußerten Ideen zu einer „Remigration“ dieser Menschen. Die Begrifflichkeit, mittlerweile von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 2023 gekürt, bedeutet nichts anderes als Vertreibung.

Unter den Teilnehmern dieses Treffens befanden sich auch hochrangige AfD-Politiker, zum Beispiel der nunmehr entlassene Referent Alice Weidels, Roland Hartwig, sowie der Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause und der Co-Fraktionsvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund. Weitere Gäste, die der Einladung des „Düsseldorfer Forums“ folgten, waren Unternehmer, Mitglieder der CDU und dem Verein Werteunion sowie Martin Sellner, bis vor Kurzem Co-Chef der rechtsextremistischen Identitären Bewegung in Österreich.

Gegen Rechtsextremismus: Nächste Woche wieder Demo in Hamburg

Der Kampf für die Menschlichkeit reißt nicht ab. Schon in der kommenden Woche, am 28. Januar von 14 Uhr an, soll die nächste Demonstration gegen die AfD und Rechtsextremismus in Hamburg stattfinden. Unter der Federführung von Fridays for Future plant ein Bündnis, bestehend unter anderem aus dem Hamburger Bündnis gegen Rechts, dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und dem Flüchtlingsrat, die Versammlung unter dem Motto „Für Vielfalt und unsere Demokratie – Hamburg steht zusammen gegen die AfD“.

Demonstranten sollen sich erneut auf dem Jungfernstieg einfinden, im Anschluss an eine Kundgebung ist ein Demozug durch die Innenstadt entlang der Binnenalster geplant, heißt es in einer Mitteilung von Fridays for Future Hamburg. Prominente Unterstützung werde eine Rede der Klimaaktivistin Luisa Neubauer sowie ein Auftritt der Sängerin Alli Neumann liefern.