Hamburg. Hamburger Kulturinstitutionen und 1000 Zuschauerinnen und Zuschauer setzten ein Zeichen für Frieden und gegen Antisemitismus.

„Nie wieder!“ ist das vielleicht wichtigste Credo der deutschen Gesellschaft nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Nach der systematischen Vernichtung von sechs Millionen Juden durch das Terror-Regime der Nazis bedeuten die zwei Wörter, dass in der deutschen Demokratie kein Hass auf Juden mehr geduldet werden darf. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda spricht im Thalia Theater diese knappe Formel und zeigt sich zutiefst beschämt darüber, dass auf deutschen Straßen die Morde der Terrorgruppe Hamas an 1400 Israelis gefeiert worden sind. „Wir müssen wehrhaft sein gegenüber denjenigen, die versuchen, diese Gesellschaft zu zerstören“, sagt er und zitiert den kanadischen Pop-Literaten und Sänger Leonard Cohen und dessen Song „Anthem“. Darin singt Cohen von einem Riss, durch den Licht einfällt. Für Brosda ein Bild, das in diesen düsteren Zeiten wieder etwas Hoffnung macht.

Zusammen mit Thalia-Intendant Joachim Lux begrüßt Brosda am Sonnabendabend 1000 Zuschauerinnen und Zuschauer im ausverkauften Thalia Theater zu einem genreübergreifenden Abend mit Text, Musik und Tanz unter dem Titel „Schweigen durchbrechen“. Erst am Donnerstag hatte Lux sich an die Leiter der wichtigen Hamburger Kulturinstitutionen gewandt, um in aller Schnelle ein Programm zusammenzustellen, das sich für Frieden und gegen Antisemitismus ausspricht und auf das verheerende Massaker der palästinensischen Terrorgruppe Hamas vom 7. Oktober reagiert.

„Schweigen durchbrechen“: Solidarität im ausverkauften Thalia Theater

Vielen Theatern in Deutschland wurde in den vergangenen Wochen der Vorwurf gemacht, sich nicht deutlich genug gegen diesen verbrecherischen Akt positioniert zu haben. In seiner Begrüßungsansprache erwähnt Lux den Riss, der durch unser Land geht, und die Angst, die jüdische Mitbürger, aber auch hier lebende Palästinenser umtreibt. Der Intendant appelliert an Mitmenschlichkeit, mahnt aber auch zu differenzierter Sicht auf das komplexe Thema.

Thalia-Schauspieler Jens Harzer las aus Paul Celans „Gespräch im Gebirg“ bei dem genreübergreifenden Abend mit Text, Musik und Tanz.
Thalia-Schauspieler Jens Harzer las aus Paul Celans „Gespräch im Gebirg“ bei dem genreübergreifenden Abend mit Text, Musik und Tanz. © Fabian Hammerl | Fabian Hammerl

Es hat Lux nicht viel Überredung gekostet, das Deutsche Schauspielhaus und die Staatsoper, die Elbphilharmonie und das Ensemble Resonanz, Kampnagel und das Hamburg Ballett zum Mitmachen zu bewegen. Innerhalb von nur vier Stunden war die Veranstaltung ausverkauft. Sie will das Signal einer kulturellen Einigkeit setzen. „Wir in Hamburg bleiben zusammen!“ lautet der Untertitel des Abends. Er beginnt mit einer Lesung von Thalia-Protagonist Jens Harzer.. Der hat Paul Celans 1959 geschriebenen Text „Gespräch im Gebirg“ ausgewählt, in dem sich zwei Juden treffen und in dem Celan Klischees aufgreift, mit denen Juden immer wieder beschrieben werden. Musikalisch eröffnet Geigerin Juditha Haeberlin vom Ensemble Resonanz den zweistündigen Abend mit der „Elegie“ von Toshio Hosokawa, einer Trauermusik, die mit ihren Dissonanzen zu Krieg, Leid und Zerstörung passt, die die Menschen in Israel gerade erleiden müssen.

Die Bühne als Ort der friedlichen Begegnung macht Hoffnung

Besonders beeindruckend ist die Begegnung zwischen Menachem Ganon, dem Kantor der Jüdischen Gemeinde Hamburg, und Özlem Nas, der stellvertretenden Vorsitzenden der Schura Hamburg, dem Rat der islamischen Gemeinden. Auf ein von Ganon auf Hebräisch gesungenes Kaddisch antwortet Nas mit einem beschwörenden Gedicht, in dem es um den „Zusammenhalt der vielen“ und die Hoffnung auf Frieden und Menschlichkeit geht. Gern hätte man noch mehr Künstlerinnen und Künstler aus Israel oder dem arabischen Raum auf der Bühne als einem friedlichen Ort der Begegnung gesehen. Mit dem Syrer Anas Aboura, der auf Kampnagel Oriental-Karaoke-Partys veranstaltet, und dem Oud-Spieler Hicham El Madkouri waren nur zwei weitere Künstler aus dem nicht europäischen Raum im Programm sichtbar.

Die Thalia-Schauspielerinnen Oda Thormeyer (l.) und Victoria Trauttmansdorff lasen aus Colum McCanns Palästina-Roman „Apelrogon“.
Die Thalia-Schauspielerinnen Oda Thormeyer (l.) und Victoria Trauttmansdorff lasen aus Colum McCanns Palästina-Roman „Apelrogon“. © Fabian Hammerl | Fabian Hammerl

Was es in diesen Tagen bedeutet, als junger Israeli in den Krieg ziehen zu müssen, verdeutlicht der Ausschnitt einer Rede, die der israelischen Schriftsteller David Grossman 2010 zur Verleihung des Friedenspreises in Frankfurt gehalten hat und aus der Thalia-Schauspieler Steffen Siegmund zitiert. Einer von Grossmans Söhnen starb 2006 durch eine Rakete der Hisbollah. „Ein sinnloser Tod“, sagt der Vater. Grossman schrieb darauf den Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, ein ergreifender Protest gegen den Krieg. Eine Dramatisierung des Romans läuft zurzeit am Deutschen Schauspielhaus.

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Bevor der Albert-Schweitzer-Kammerchor den Abend mit Johann Sebastian Bachs „Dona Nobis Pacem“ (Gib uns Frieden) beschließt, lesen die Thalia-Schauspielerinnen Oda Thormeyer und Victoria Trauttmansdorff aus Colum McCanns Palästina-Roman „Apeirogon“. McCann beschreibt eindrucksvoll den Kampf eines Juden und eines Palästinensers gegen den Hass und den Kreislauf aus Gewalt und Rache, die zu neuer Gewalt führt. Beide haben ihre Töchter verloren, doch ihr Leid führt nicht zur Selbstjustiz. Sie werben für eine gemeinsame Zukunft aller Menschen, die in Palästina leben. Eine Initiative, die Hoffnung macht.