Hamburg. Europawahl-Spitzenkandidat könnte ein Altbekannter werden. Wer noch zu den Anhängern zählt und wer die Linke verlässt.
Die Parteienlandschaft wächst: Am Montag gründeten Sahra Wagenknecht und Anhänger nach monatelangen Ankündigungen eine neue politische Partei, die vorerst unter dem Namen „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) firmieren soll, wie das BSW bei der Bundespressekonferenz in Berlin am 8. Januar verkündete.
Die Partei um die ehemalige Linken-Chefin will direkt in die Vollen gehen: Schon zur Europawahl im Juni wolle das BSW antreten – womöglich mit dem Hamburger Finanzexperten Fabio De Masi in der Rolle des Spitzenkandidaten. De Masi hatte die Linke schon 2022 verlassen, nachdem er jahrelang Mitglied im Hamburger Landesverband der Partei war und für sie im Bundestag und Europaparlament saß.
Wagenknecht-Partei gegründet: Was das BSW vorhat
Als Doppelspitze leiten Wagenknecht selbst und Amira Mohamed Ali, ehemals Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, das Bündnis. Zuvor hatte ein gleichnamiger Verein, der im Oktober 2023 gegründet wurde, um Spenden und Unterstützer geworben. Wagenknechts Partei soll als Alternative zu den derzeitigen Regierungs-, aber auch Oppositionsparteien dienen. Sie lockt jene an, die mit der Ampelregierung unzufrieden sind. Die ersten paar Hundert Mitglieder stammen zu weiten Teilen aus der Linkspartei.
Anders sieht es bei den potenziellen Wählern aus: Wie eine Yougov-Umfrage aus dem Oktober zeigt, begrüßen vor allem derzeitige AfD-Wähler die Parteigründung. Womöglich trägt die voraussichtlich eher konservative Migrationspolitik des BSW ihren Teil dazu bei. Des Weiteren bestrebt das Bündnis einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und die Abkehr von der derzeitigen Klimapolitik.
Gegen „schwierige Charaktere“: Wagenknecht-Partei soll nur langsam wachsen
Der schwierigen Gemengelage, dass das BSW auch Menschen mit extremen Positionen imponieren könnte, ist sich die Partei offenbar bewusst. Zunächst soll sie daher langsam wachsen. Damit wolle das BSW „verhindern, dass schwierige Charaktere, die schon in anderen Parteien Probleme machten anstatt sich für eine bessere Politik einzusetzen, die neue Partei kaputt machen“, sagt Żaklin Nastić.
Die ehemalige Linken-Politikerin aus Hamburg sitzt derzeit im Bundestag. Nun gehört sie zu den Gründungsmitgliedern des BSW. Ihr Mandat niederzulegen, plant sie derzeit nicht. Viele Menschen hätten das Vertrauen in den Staat verloren, begründet Nastić ihre Unterstützung Wagenknechts. „Seit Jahren wird an den Wünschen der Mehrheit vorbeiregiert. Viele Menschen fühlen sich durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten“, so die Politikerin.
Hamburger Fabio De Masi könnte Wagenknechts Europa-Spitzenkandidat werden
Die Erfahrung, dass eine Bewegung zu schnell wächst und dass „deren politische Identität darum nicht wachsen konnte“ haben deutsche Linke bereits früher gemacht, sagt Nastić, mit der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ im Jahr 2018. Einer der prominentesten „Aufstehen“-Unterstützer neben Wagenknecht war damals der Hamburger Fabio De Masi. Er ist ein ausgemachter Finanzexperte, der zuletzt Aufsehen erregte, als er Bundeskanzler Olaf Scholz in der Cum-Ex-Affäre anzeigte.
Jetzt könnte De Masi Spitzenkandidat für Wagenknechts Europa-Wahlkampf werden. Er geht neben dem ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeister und Ex-SPD-Mitglied Thomas Geisel ins Rennen um die Kandidatur, die auf dem ersten BSW-Parteitag Ende Januar verkündet werden soll.
Abgesehen von der Europawahl könnte die Partei auch Teil der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September sein. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass genügend kompetente Kandidaten für die Listen gefunden werden, so Wagenknecht am Montag.
De Masi kritisiert Scholz‘ Umgang mit dem Elbtower und seine Rolle bei Cum-Ex
„Meine Damen und Herren, die teilweise heftigen Reaktionen auf meine Kandidatur haben mir gezeigt: Die politischen Mitbewerber sind nervös“, so der Hamburger De Masi bei der Parteigründung. Ob seiner Mitgliedschaft beim teils umstrittenen BSW betont er: „Ich würde niemals in eine Partei eintreten, die rechtsnational ist.“ Sein Vater sei schließlich Widerstandskämpfer in Italien gewesen. Das aktuelle Asylrecht halte er dennoch für ungerecht, da nicht strikt genug.
An der Ampelregierung, für ihn die „Erntehelfer der AfD“, lässt er kein gutes Wort. Vor allem, was Olaf Scholz anbetrifft: „Der Kanzler hat nicht nur Erinnerungslücken bei Cum-Ex, sondern auch keinen Plan für die Zukunft: In Hamburg versprach er einen Elbtower und lobte Benko. Stattdessen kam eine Bauruine – und Deutschland versprach er ein Wirtschaftswunder, wir stecken in der Rezession.“
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Bündnis Sahra Wagenknecht: Diese Hamburger sind dabei
Einige weitere Hamburger Ex-Linke bekennen sich öffentlich zur neuen Partei um Wagenknecht: etwa Keyvan Taheri, ehemals Linken-Landesvorsitzender in Hamburg. Genauso Metin Kaya, der nach seinem Austritt aus der Linksfraktion nun als BSW-Unterstützer in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzt.
Kürzlich machte zudem Angelika Traversin, 15 Jahre lang Linkenmitglied und zuletzt Fraktionsvorsitzende in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord, ihren Parteiaustritt bekannt. Auch Mehmet Yildiz, bereits 2022 aus der Linksfraktion der Bürgerschaft ausgetreten und seitdem fraktionsloser Abgeordneter, und Martin Dolzer schlossen sich Wagenknecht an.
Die Linke Hamburg: Wagenknecht-Partei ist „Befreiungsschlag“
Der große Exodus ist das aber keineswegs, sagt Ralf Dorschel, Sprecher des Hamburger Landesverbands der Partei. Die Abspaltung Wagenknechts von der Linken sei für die Partei eher als „Befreiungsschlag“ zu begreifen. In Hamburg sind Dorschel zufolge seit dem Alleingang Wagenknechts rund 180 neue Mitglieder hinzugekommen, bundesweit sogar Tausende.
Viele dieser neuen Mitglieder würden sich seit Wagenknechts Rückzug endlich gut aufgehoben fühlen bei der Linken. Denn die Partei verliere dank des BSW an extremen Meinungen und finde inhaltlich zu ihrem Kern zurück.