Hamburg. Wer für die Europawahl gehandelt wird und welche Rolle das Bündnis Sahra Wagenknecht bei den Hamburger Wahlen spielen könnte.

Am Montag soll es so weit sein: Aus dem „Bündnis Sahra Wagenknecht für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) könnte eine brandneue Partei hervorgehen und am 27. Januar bereits den ersten Parteitag abhalten. Was hinter der Neugründung steckt, die vorerst weiterhin unter dem Namen BSW firmiert, welche Hamburger mit ihr sympathisieren und ob die neue Partei zu den Hamburger Bezirksversammlungswahlen im Juni 2024 antreten könnte, wird derzeit heiß diskutiert.

Nach einer Phase des Spenden- und Unterstützersammelns visiert die Gruppierung rund um Ex-Linken-Chefin Sahra Wagenknecht nun ihre Parteigründung an. Sie soll am 8. Januar auf der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin verkündet werden, außerdem ist geplant, die BSW-Spitzenkandidaten für die Europawahl auszurufen.

Sahra Wagenknechts neue Partei: Spitzenkandidat soll aus Hamburg kommen

Einen Auftritt hat dabei auch eine in Hamburg nicht unbekannte politische Figur: der frühere Europaparlament- und Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi, der bis zu seinem Parteiaustritt im September 2022 dem Hamburger Landesverband der Linken angehörte und als Finanzexperte gilt.

Wagenknecht und De Masi verbinden nicht allein die Abwendung von ihrer ehemaligen politischen Heimat. Bereits im Jahr 2018 waren beide an der Bewegung „Aufstehen“ beteiligt. Der Hamburger De Masi wird nach Abendblatt-Informationen und Berichten weiterer Medien als Europawahl-Spitzenkandidat des BSW gehandelt.

Wagenknecht-Partei: Fabio De Masi als Europa-Spitzenkandidat gehandelt

Und er ist nicht der einzige öffentliche Verfechter der Gruppierung rund um die Ex-Linken-Chefin Wagenknecht, der politische Wurzeln in der Hansestadt hat. Auch die Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic verließ die Linke Ende 2023, um sich dem Bündnis Sahra Wagenknecht anzuschließen. Sie sitzt derzeit als Fraktionslose im Parlament. Gleiches gilt für den Ex-Linken Metin Kaya, der nach seinem Austritt aus der Linksfraktion nun als BSW-Unterstützer in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzt.

Fabio De Masi war lange Zeit im Mitglied im Hamburger Landesverband der Linken. Jetzt könnte er zum Spitzenkandidaten der Wagenknecht-Partei für die Europawahl 2024 werden.
Fabio De Masi war lange Zeit im Mitglied im Hamburger Landesverband der Linken. Jetzt könnte er zum Spitzenkandidaten der Wagenknecht-Partei für die Europawahl 2024 werden. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Das Gemunkel über die oft als „Wagenknecht-Partei“ umschriebene Neugründung ist groß – aufseiten der Befürworter und Gegner gleichermaßen. Auch wenn die künftige Partei nicht jedem als potenziell wählbar erscheint, so macht es doch den Eindruck, als übe sie über Ideologiegrenzen hinweg eine gewisse Faszination aus. Bisherige öffentliche Sympathisanten und Unterstützer des BSW sind oftmals ehemalige Linkenmitglieder.

„Wagenknecht-Partei“ richtet sich gegen die Ampelregierung

Ein Waffenexport-Stopp, „kompetenter Staat“ und weniger Privatisierung: Sahra Wagenknecht und Anhänger möchten mit Verein und Partei ganz offensichtlich Menschen imponieren, die die Ampelregierung satthaben. Damit macht das BSW sich in den Augen mancher zur „Alternative zur Alternative“. Wer der Regierung die Macht entziehen will, vielleicht auch wer aus Protest oder Verzweiflung wählt, der könnte künftig sein Kreuzchen beim BSW machen – und nicht bei der AfD.

Die Ex-Linken-Chefin verfängt: Nach Daten des Meinungsforschungsinstituts Yougov bewerteten noch im Oktober 43 Prozent der befragten Wahlberechtigten Wagenknechts Idee, eine Partei zu gründen, als eher oder sehr gut. Bisherige AfD-Wähler zeigten sich dabei besonders zustimmend.

Hamburg: So könnte die Wagenknecht-Partei an den Bezirkswahlen teilnehmen

Dass die künftige Partei bei der Europawahl antreten möchte, kommuniziert sie ziemlich deutlich. Doch ob auch die Sachsen, Thüringer und Brandenburger bei ihren Landtagswahlen im September ein Kreuzchen für Wagenknecht machen können, steht noch aus. Und wird sich die Partei auch auf niedrigerer Ebene, etwa bei den Hamburger Wahlen zur Bezirksversammlung, auf den Wahlzettel setzen lassen? Ungewiss. Doch rein formal ist noch alles drin, berichtet der Hamburger Landeswahlleiter Oliver Rudolf.

Sollen die Wähler ihre Wagenknecht-Kreuzchen am 9. Juni nicht nur auf dem Europawahl-Zettel, sondern auch auf jenem für die Wahl zur Bezirksversammlung machen können, muss die in Gründung befindliche Partei aber noch einige Unterlagen beschaffen und fristgerecht einreichen. Dazu gehört unter anderem die sogenannte Beteiligungsanzeige, so Rudolf. Die ist spätestens am 11. März 2024 bei der Landeswahlleitung einzureichen.

Wagenknecht-Partei müsste in Hamburg Unterschriften sammeln

Der Landeswahlausschuss entscheidet dann, ob er der Anzeige stattgibt, und außerdem, ob die neue Partei alle Kriterien einer solchen erfüllt. Um als Partei zu gelten, müssen unter einigen anderen Dokumenten eine Satzung und ein Programm vorliegen. Erst im Anschluss und bis zum 2. April könnte die Wagenknecht-Partei tatsächlich Wahlvorschläge bei der zuständigen Bezirkswahlleitung einreichen.

Da es sich beim BSW um eine gänzlich neue politische Partei handeln würde, müsste sie auch einen gewissen Wahlwillen der Bürger nachweisen, um Kandidaten aufstellen zu können. Konkret bedeutet das, dass sie von mindestens 200 Wahlberechtigten des jeweiligen Bezirks Unterschriften einsammeln muss. Würde die Wagenknecht-Partei lieber Wahlkreislisten ausgeben, dann benötigte sie je 50 Unterzeichner pro Wahlkreis. „Die Unterschriften erfolgen zum Wahlvorschlag“, sagt Rudolf, „das heißt, es muss dann auch schon einen Kandidaten geben.“

Hamburg: Enge Fristen für die Wagenknecht-Partei

Was die Europawahl anbetrifft, so müsste die neue Partei ihre Wahlvorschläge bei der Bundeswahlleiterin einreichen, und zwar bis zum 18. März, erklärt Rudolf. Hier entscheidet dann der Bundeswahlausschuss darüber, inwiefern die Wagenknecht-Partei auf dem Wahlzettel landet.

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Auch hierfür seien zuvor Unterschriften einzusammeln. Würde die Partei per Bundesliste antreten, wären das 4000. Doch sollte die Wagenknecht-Partei zur Europawahl per Landesliste gewählt werden wollen, dann müsste sie allein in Hamburg etwa 1.303 Unterschriften sammeln, erklärt Rudolf.

Abseits der Formalien müsste das BSW selbstverständlich schnellstens Strukturen aufbauen, um an Landtags-, Europa- oder Bezirksversammlungswahlen teilzunehmen. Sie müsste Personal einstellen, Landesverbände gründen, Kampagnen entwickeln, Kandidatenlisten anfertigen und mehrere Wahlkämpfe zugleich aus dem Stand finanzieren können.