Berlin. Früher war Sahra Wagenknecht sehr links, jetzt halten ihr Kritiker rechte Tendenzen vor. Sie selbst sieht sich mit ihrer neuen Partei als Vertreterin der Mitte. Was will das Bündnis Sahra Wagenknecht?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich einiges vorgenommen. Nach ihrem Bruch mit der Linken will die Bundestagsabgeordnete Wagenknecht nicht weniger als einen „politischen Neuanfang“ für die ganze Republik. An diesem Montag will die 54-Jährige ihre Partei offiziell gründen und ihr Programm vorstellen. Die erste Bewährungsprobe wird die Europawahl am 9. Juni, bei der sich Wagenknecht ein zweistelliges Ergebnis erhofft. Bei den ostdeutschen Landtagswahlen im September will sie der AfD Stimmen abjagen. Aber erstmal muss das BSW auf die Beine kommen.
Wer steht hinter dem BSW?
Wagenknecht war nach dem Eintritt in die DDR-Staatspartei SED 1989 jahrzehntelang eines der bekanntesten Gesichter der Folgeparteien PDS und Die Linke. Eloquent, klug und kampfeslustig ist die studierte Philosophin mit Doktortitel im Fach Wirtschaft Liebling der Talkshows und Bestseller-Autorin. Nach jahrelangem Streit mit der Linken trat sie am 23. Oktober mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten aus und kündigte die Parteigründung an.
Der zur Vorbereitung gedachte Verein BSW hatte nach eigenen Angaben Tausende von Anfragen. Zudem sammelte er etwa 1,4 Millionen Euro Spenden als Startkapital für die Partei, wie BSW-Schatzmeister Ralph Suikat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mitteilte. Zur Gründung sollen nun zunächst 400 bis 500 Mitglieder aufgenommen werden. Ihre politische Einstellung und Vorgeschichte wurden systematisch geprüft, etwa anhand öffentlicher Äußerungen in sozialen Netzwerken. Wagenknecht will nach eigenen Angaben Extremisten oder Spinner draußen halten.
Wer sind neben Wagenknecht die führenden Köpfe?
Ihre treuesten Verbündeten sind die frühere Chefin der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, und der Bundestagsabgeordnete Christian Leye, daneben die Abgeordneten Sevim Dagdelen, Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Jessica Tatti und Zaklin Nastic. Zur Pressekonferenz an diesem Montag sind der frühere Linken-Politiker Fabio De Masi und der langjährige Sozialdemokrat Thomas Geisel, früher Oberbürgermeister von Düsseldorf, angekündigt.
Wagenknecht hat angedeutet, dass Mohamed Ali eine von zwei BSW-Vorsitzenden werden soll. Die Namensgeberin selbst zögerte erst, zeigte sich aber zuletzt offen, sich ebenfalls in die Doppelspitze wählen zu lassen. Gebraucht werden zudem Spitzenkandidaten für die Europawahl. Ob Wagenknecht antritt, hat sie offengelassen. De Masi und Geisel könnten in Frage kommen. Der erste BSW-Parteitag ist für den 27. Januar in Berlin geplant.
Was will das BSW politisch?
Am Parteiprogramm wurde bis zuletzt gefeilt. Doch hat Wagenknecht ihre Positionen sowohl in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ umrissen als auch in Dutzenden Interviews. Dazu zählen: Begrenzung der Migration, Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Energiesanktionen gegen Russland, weitere Nutzung von billigem Gas und Öl, kein Aus für den Verbrennermotor, Abkehr von „vermeintlicher Klimapolitik“.
Wagenknecht plädiert für höhere Mindest- und Tariflöhne und bessere Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung, selbst wenn dies höhere Beiträge bedeutet. Der Staat soll mehr Geld in Bildung und Infrastruktur stecken und dafür die Schuldenbremse lockern sowie Vermögen und hohe Einkommen stärker besteuern.
Während der Corona-Pandemie zeigte sich Wagenknecht skeptisch gegen Beschränkungen und Impfungen. Sie geißelt „Sprachkampf“ und „Cancel Culture“. „Der moralisierende Linksliberalismus ist längst in einen neuen Autoritarismus gekippt, der totalitäre Züge trägt“, behauptet sie in „Die Selbstgerechten“.
Ist die Partei eher links oder eher rechts?
„Das Rechts-Links-Schema kommt da an seine Grenzen“, sagt der Trierer Parteienforscher Marius Minas. In ökonomischen Fragen sei sie eher links, in gesellschaftlichen eher rechts. Es gebe eine Lücke im Parteiensystem, die sie ausfüllen könnte, meint Minas. „Ich gehe davon aus, dass die Partei darauf abzielt, sowohl bei der AfD als auch bei der Linken Wähler zu gewinnen, die nicht parteigebunden sind.“
Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Thomas Poguntke sieht eine „Angebotslücke“ auch seitens der SPD. „Ihr wird schon eine Weile nachgesagt, dass sie sich zum Teil mehr um die Nicht-Arbeitenden als um die Arbeitenden kümmert. Zudem sagen viele auch auf der Linken, dass der Sozialstaat nur finanzierbar sei, wenn man die Migration in den Griff bekomme.“ Wagenknecht selbst sagte kürzlich dem SWR: „Ich denke, wir werden die Mitte der Gesellschaft vertreten.“
Wie stehen die Chancen für die neue Partei?
Parteienforscher Poguntke kommt zu dem Schluss: „Unter dem Strich gibt es durchaus ein Potenzial für die Wagenknecht-Partei.“ Nach einer Insa-Umfrage für „Bild“ vom Dezember könnte BSW bundesweit auf 12 Prozent kommen. Doch bleiben Unwägbarkeiten. „Eine Parteigründung in Deutschland ist nicht leicht“, sagt Poguntke. „Wer bundesweit antreten will, muss in allen 16 Bundesländern organisiert sein mit Landesverbänden, Statuten, Grundsatzprogramm und so weiter.“
Der Zeitpunkt sei günstig, meint der Experte. „Die Hürden für eine neue Partei sind bei der Europawahl niedriger, weil man mit einer Bundesliste antreten kann. Und es gäbe ein Momentum für die Landtagswahlen in Ostdeutschland, das die neue Partei mitnehmen könnte.“ Profitieren könne das BSW vom großen Unmut über die etablierten Parteien. Auch Wagenknechts Bekanntheit helfe. Doch hat das eine Kehrseite: „Die Partei ist sehr stark auf Frau Wagenknecht zugeschnitten“, sagt Poguntke. „Normalerweise brauchen Parteigründungen etwas mehr Breite beim Personal und auch in der Fläche. Es wird interessant zu sehen, ob das funktioniert.“