Hamburg. Immer mehr Erledigungen lassen sich nur noch online machen. Auf welche Dienstleistungen handylose Menschen bereits verzichten müssen.
So ein Smartphone ist schon echt ein Ding. Es ersetzt das Navigationssystem und die Faltkarte sowieso, hat postalische Korrespondenzen und Papiertickets abgelöst. Mancher benötigt dank Onlinebanking und Zahlungsfunktion nicht einmal mehr das Portemonnaie, und ganz Verrückte können mit dem kleinen Gerät ihre Rollläden und sonstige Haustechnik bedienen.
So weit, so praktisch. Jedoch ist die Bedienung des Wunderdings nicht gerade einfach, insbesondere für jene, die nicht mit den neuen Technologien aufgewachsen oder beruflich konfrontiert sind. Andere können sich ein Smartphone schlichtweg nicht leisten. All diese Personen sehen sich zunehmend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Denn immer mehr Tätigkeiten und Dienstleistungen sind ohne Smartphone oder Internetzugang kaum noch mach- beziehungsweise nutzbar. Ohne das Gerät kommen Hamburger heute nicht mehr weit.
Digitalisierung Hamburg: Hier sind Menschen ohne Handy aufgeschmissen
Wirft man einen Blick in die Mobilitätsangebote, zeigt sich besonders stark, wie Menschen ohne Smartphone oder Internetzugang ausgeschlossen werden. Das in Hamburg verkehrende Sammeltaxi Moia etwa, deren Fahrzeuge auch nachts, wenn die U-Bahnen längst stillstehen, noch zu fairen Konditionen durch die Stadt rauschen, ist lediglich per App buchbar. Gleiches gilt für die Leihwagen diverser Anbieter wie Share Now oder Miles, die Buchung von E-Scootern oder den knallroten StadtRädern.
Auch die Bargeldabschaffung in den Bussen des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV), die mit dem Jahreswechsel in Kraft tritt, dürfte einigen „Analogticket“-Nutzern nicht schmecken. Vom 1. Januar an erhalten Fahrgäste in den Bussen der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH (VHH) und der Hamburger Hochbahn gegen Münzen und Scheine keine Tickets mehr. Wer Bus fahren möchte und nicht sowieso schon für ein Abonnement zahlt, muss seinen Fahrschein künftig online über die Mobilitäts-App HVV Switch lösen.
Plastik-Bahncard vor dem Aus – Handylosen entgehen Rabatte
Jedoch hat der HVV auch an Menschen ohne Smartphone gedacht. Diese können weiterhin den Bus nutzen, zur Zahlung dient ihnen allerdings vom 1. Januar an eine aufladbare Prepaid-Karte. Diese „entwerten“ sie kontaktlos beim Einstieg. In den Augen der Verbraucherzentrale Hamburg ist das keine optimale Lösung, denn die Prepaid-Karten sind nicht personengebunden: „Daher Vorsicht, verliert man die Karte, so ist das Geld weg beziehungsweise kann diese von dem ‚Finder‘ genutzt werden“, so Verbraucherschützerin Julia Rehberg.
Im Gegensatz zum HVV hat die Deutsche Bahn (DB) sich bislang keine solche Alternative erdacht für ihr baldiges Vorhaben, die Plastik-Bahncard abzuschaffen. Ja, auch die Bahncard soll es künftig nicht mehr als physische Karte geben, sondern ausschließlich digital auf dem Handy. Ohne Kundenkonto bei der Deutschen Bahn, für dessen Erstellung eine Mailadresse benötigt wird, und ohne Smartphone, das zur Kontrolle der Bahncard vorgezeigt werden muss, ist das Angebot bald nicht mehr nutzbar. „Das Bezahlen in den HVV-Bussen ist vielleicht noch nervig. Aber bei der Bahncard fühlen sich die Menschen durch den Zwang zum Handy in die Ecke gedrängt“, sagt Verbraucherschützerin Rehberg.
Bereits seit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember gibt die Bahn nur noch digitale Probe-Bahncards aus. Im zweiten Halbjahr 2024 soll die Bahncard dann vollständig digital werden. In den Augen der Verbraucherzentrale eine „Digitalisierung mit der Brechstange“. Marion Jungbluth, Leiterin des Teams Mobilität und Reisen im Bundesverband der Verbraucherschützer, bemängelt: „Auch Menschen ohne Smartphone müssen weiter klimaverträglich Bahn fahren können. Jede Digitalisierungsmaßnahme muss eine analoge Alternative einschließen.“
Ob Rewe oder Obi: Händler drucken seltener Prospekte
Laut Angaben der Bahn dient die neue Maßnahme zur Vermeidung von Plastik. Aber auch am Papier spart das Unternehmen. So erscheint die monatliche Ausgabe des Bahnmagazins „DB mobil“ bereits seit Januar 2023 ausschließlich digital. Schmökern ohne Smartphone? Fehlanzeige. Ein Trend: Immer mehr Druckerzeugnisse werden durch ausschließlich digital abrufbare Informationen ersetzt, wobei steigende Papier-, Druckerei- und Zuliefererpreise vermutlich eine Rolle spielen.
Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg berichtet etwa, dass immer mehr Unternehmen ihre Werbeprospekte einstellen oder bestimmte Angebote und Coupons lediglich in der App bereitstellen. Betroffen sind unter anderem der Supermarkt Rewe und der Baumarkt Obi, die bereits keine Prospekte mehr verteilen. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ungünstig – gerade für Geringverdiener, die womöglich auf Sonderangebote angewiesen sind, aber kein Smartphone finanzieren können. Gleiches gilt für ältere Menschen mit einer schmalen Rente.
Restaurant in Eimsbüttel: Reservierung nur noch online
Die ersten Geschäfte, unter anderem Restaurants und Bars, können Menschen ebenfalls ohne Smartphone kaum noch aufsuchen. Denn teils werden Reservierungen nur noch online entgegengenommen. Das Lokal „Momo Ramen“ in der Eimsbütteler Margaretenstraße besitzt beispielsweise keine Telefonnummer mehr.
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Wer reservieren möchte – und das ist in dem beliebten japanischen Restaurant dringend zu empfehlen – ist auf das Onlineformular angewiesen. „Analog“ ist lediglich die Reservierung persönlich vor Ort möglich.
Linken-Politikerin warnt davor, Menschen auszuschließen
„Fortschritte in der Digitalisierung sind sehr, sehr gut. Sie können eine echte Arbeitserleichterung sein“, sagt die sozialpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Olga Fritzsche. „Aber es muss immer auch analoge Wege geben, um bestimmte Dinge zu erledigen. Es gibt so viele Menschen, die eben keine ,Digital Natives‘ sind.“
Gerade während der Corona-Zeit, in der Abstand oberstes Gebot war, habe sie beobachtet, wie immer mehr Services der Behörden digitalisiert worden seien. Jedoch gelinge es nicht allen, elektronisch Termine zu buchen. „Wir machen die Erfahrung, dass Ämter im Zuge der Digitalisierung ihre Telefondienste abschalten oder nur eine Bandansage laufen lassen“, so Fritzsche.
Noch seien zwar alle existenzsichernden Dienstleistungen der Hamburger Behörden für Privatpersonen ohne Internetanschluss zugänglich. Doch es gelte, die Entwicklung im Blick zu behalten, sagt die Linken-Politikerin. Immerhin haben 17 Prozent der Menschen in Deutschland zwischen 65 und 74 Jahren noch nie das Internet genutzt, wie Daten des Statistischen Bundesamts nahelegen.
„Dabei geht es nicht einmal nur um Ältere“, sagt Fritzsche. „Der Anteil der Menschen, die von der Ausgrenzung betroffen sind, ist noch viel größer: Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, Menschen mit geringeren Sprachkenntnissen wie zum Beispiel Migranten, Menschen, die schlecht sehen oder hören, aber auch ärmere.“ Laut Fritzsche benötigen all diese Personen eine Anlaufstelle, bei der sie voraussetzungslos Probleme vorbringen und Termine vereinbaren können.
Behördengänge in Hamburg weiterhin „analog“ machbar
Die gute Nachricht: Standes- und Finanzamt, Jobcenter, Ausländerdienststellen und andere mehr und minder existenzsichernde Einrichtungen sind in Hamburg noch immer ohne Smartphone aufsuch- und nutzbar. Derzeit würden alle Leistungen, die sich an Privatpersonen richten, immer auch analog angeboten, heißt es aus den Behörden.
Es gibt somit keine Bürger-Services, die ausschließlich online nutzbar sind. „Damit soll sichergestellt werden, dass die Verwaltung auch für jene erreichbar bleibt, die nicht über digitale Endgeräte verfügen“, so Senatssprecher Marcel Schweitzer. Allerdings informieren die Behörden ebenfalls darüber, dass die vorhandenen Online-Angebote rege genutzt würden.
Finanzämter: Abgabe der Steuererklärung in Papierform weiterhin möglich
Gleiches gilt in puncto Finanzen. Noch immer ist es in Hamburg möglich, die Steuererklärung in Papierform abzugeben – mit wenigen Ausnahmen etwa für Selbstständige oder Rentner mit höheren Nebeneinkünften. Einen Zwang, Online-Anwendungen wie Elster zu bedienen, gibt es bundesweit nicht. Im Übrigen machen die Hamburger von der „Analogvariante“ noch reichlich Gebrauch. Nach Auskünften der Finanzbehörde wurden in diesem Jahr rund 20 Prozent der Einkommenssteuererklärungen in Papierform eingereicht.
Jedoch empfiehlt die Hamburger Steuerverwaltung die Nutzung der Elster- oder anderer vergleichbarer Softwares ausdrücklich. „Papiererklärungen haben in der Regel eine deutlich schlechtere Datenqualität als elektronisch übermittelte Steuererklärungen“, begründet Sprecherin Imme Mäder. Um die Finanzämter zu entlasten, könnte „eine allgemeine Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Einkommensteuererklärungen ein sinnvolles Instrument sein“. Dazu bedürfe es allerdings einer bundesgesetzlichen Regelung.
Steuerpflichtige selbst profitieren ebenfalls von der Abgabe per Elster, so Mäder. Zum Beispiel, weil sich Daten aus dem Vorjahr per Klick übernehmen lassen. Ältere Menschen, die lediglich Renteneinkünfte oder Pensionen erhalten, haben die Möglichkeit, ihre Einkommensteuererklärung über die Webseite „einfachELSTER“ abzugeben. „Durch die besonders übersichtliche Benutzerführung werden sie Schritt für Schritt durch die papierlose Erstellung der Steuererklärung geführt“, so die Sprecherin.
Digitalisierung in Hamburg: Menschen ohne Handy aufgeschmissen? Onlinebanking keine Pflicht
Auch die Haspa bietet ihren Kunden zwar reichlich Digitales an, ermöglicht das herkömmliche Abheben und Barzahlen an 330 Automaten in Hamburg aber weiterhin, so Sprecherin Stefanie von Carlsburg. Ähnlich wie die Behörden beobachte auch die Sparkasse, dass ihre Kunden immer öfter auf Digitalangebote setzen. Moderne Zahlungsmittel wie Apple Pay oder Giropay seien auf dem Vormarsch, weil sie Zahlungen bequemer, schneller, hygienischer und sicherer machen würden.
„Rund zwei Drittel der Haspa-Kunden nutzt regelmäßig das Onlinebanking“, so die Sprecherin. Für alle, die es noch lernen möchten, biete die Sparkasse in ihren 100 Filialen in Hamburg regelmäßig Workshops zum Beispiel für Senioren an, um ihnen Onlinebanking und digitale Zahlungsweisen näherzubringen.