Corona-Pandemie und veränderte Schülerschaft als Ursachen. SPD-Politiker fordert „schnödes Üben statt pädagogischer Feuerwerke“.

  • Pisa-Studie lässt Hamburger Schüler schwach abschneiden
  • SPD-Mann Ties Rabe will mit drei Lösungsansätzen Abhilfe schaffen
  • Hinzu kommt: Zahl der Kinder, die bildungsfern aufwächst, hat sich mittlerweile verdoppelt

Hamburg. Schulsenator Ties Rabe sieht zwei wesentliche Gründe für das schwache Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler bei der internationalen Bildungsvergleichsstudie Pisa. Zum einen nennt der SPD-Politiker die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Deutschland dank der monatelangen Schulschließungen und Einschränkungen härter getroffen habe als andere, beispielsweise Frankreich. Zum anderen habe sich die Schülerschaft in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. So gebe es deutlich mehr Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und solche, die zu Hause kaum Deutsch sprächen.

Der Schulsenator erwartet, dass Hamburg bei der noch ausstehenden nationalen Auswertung der jetzigen PISA-Studie etwas besser abschneidet als andere Bundesländer. In Bildungsvergleichsuntersuchungen wie den IQB-Lernstudien (Kernkompetenzen in Klassenstufe 4 und 9) und der internationalen IGLU-Studie (Lesen in Klassenstufe 4) seien Hamburgs Schülerinnen und Schüler nicht so stark abgerutscht wie die anderer Bundesländer, sodass sich die Hansestadt im deutschlandweiten Vergleich auf die Rangplätze 4 beziehungsweise 6 vorarbeiten konnte. Entsprechend dürften die Hamburger Ergebnisse auch bei PISA besser ausfallen als im bundesdeutschen Schnitt, vermutet Rabe.

Schule Hamburg: Drei Lösungen für die Schulmisere der PISA-Studie

Die am Dienstag vorgestellten Ergebnisse der PISA-Studie hätten ihn angesichts ähnlicher Trend bei nationalen Bildungserhebungen nicht überrascht. „Die Ergebnisse waren zu erwarten. Wir müssen in der öffentlichen Diskussion endlich die Ursachen klar benennen. Nur so wird der Blick frei für Lösungsansätze“, sagt Deutschlands dienstältester Bildungsminister.

Er benennt drei Lösungen, um den deutlichen Lernrückständen zu begegnen. Mehr Zeit an den Schulen, mehr Konzentration auf das „schnöde Einüben“ von Basiskompetenzen wie Lesen und Rechnen und mehr gezielte Förderangebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Schule in Hamburg: Schnödes Einüben statt pädagogisches Feuerwerk

Lerninhalte müssten nicht nur verstanden, sondern durch intensives Wiederholen auch eingeübt werden, so Rabe. „Weil dafür zu Hause im Vergleich zu früher immer mehr die Zeit fehlt, muss das Üben wieder in die Schule verlagert werden. Das finden viele langweilig, aber es wirkt Wunder.“ Üben müsse in der Schule stattfinden, das bedeute, dass man mehr Zeit in der Schule brauche, aber Kraft dafür müsse das Schulsystem aufbringen. Erforderlich sei eine Veränderung des Unterrichts, dafür sei auch die Bereitschaft der Lehrkräfte nötig. Viele Lehrkräfte fänden Üben langweilig, so Rabe, „und das ist es auch“. „Da muss man manchmal auf gegen frühere pädagogische Wertigkeiten anarbeiten, die eher darauf abzielten, ein kreatives Feuerwerk zu entzünden und nicht stupide zu üben“, sagt Rabe. Als Beispiel nannte Rabe u. a. das Lesen im Chor. Das Üben in die Hausaufgaben zu verlagern habe sich nicht bewährt.

Gezielt müssten drittens die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Bedarf durch Förderstunden gestärkt werden, wie es sie in Hamburg bereits gebe. Die Studie zeige, dass die Zahl von Schülerinnen und Schülern aus benachteiligten Verhältnisse seit zehn Jahren deutlich zunimmt. So stieg die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland seit 2002 um rund 50 Prozent (von 25,8 auf 38,7 Prozent). Nur knapp die Hälfte von ihnen spricht zu Hause Deutsch. Der Anteil der besonders benachteiligten Kinder aus der ersten Zuwanderergeneration habe sich sogar um das Zweieinhalbfache auf knapp zehn Prozent erhöht.

Hamburger Politiker schlägt Alarm: Zahl bildungsfern aufwachsender Kinder hat sich verdoppelt

Dabei gehe es aber keineswegs nur um den Migrationshintergrund. So habe sich die Zahl der Kinder, die in Haushalten mit weniger als 25 Büchern aufwachsen, verdoppelt. Eine Rolle spiele auch lebhafte Kommunikation zu Hause: Forscher hätten herausgefunden, dass Kinder, mit denen intensiv zu Hause gesprochen werden, bis zum Alter von drei Jahren 30 Millionen Wörter gehört hätten, benachteiligte Jungen und Mädchen hingegen nur zehn Millionen. „Das führt schon im Alter von drei Jahren zu Rückständen, die später kaum noch aufgeholt werden können“, so Rabe.

Mehr zum Thema

„Angesichts der veränderten Schülerschaft müssen wir mehr Zeit und mehr Konzentration für das Erlernen von Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben, Zuhören sowie Mathematik einsetzen. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass die Kinder in ihren Familien Lesen, Schreiben und Rechnen durch Übungen festigen.“ In Hamburg habe man gute Erfahrungen damit gemacht, in den Grundschulen täglich zu lesen und die von vielen Wissenschaftlern empfohlenen neuen Lernmethoden wie zum Beispiel das „BiSS-Lesetraining“ in den Grundschulen einzusetzen. Darüber hinaus hat es sich in Hamburg bewährt, für Kinder mit Lernrückständen zusätzliche Förderkurse anzubieten.

Schulschließungen während Corona machen sich bei Hamburger Schülern bemerkbar

Die Corona-Pandemie als eine Ursache für das schlechte Abschneiden bei PISA liegt für Rabe auf der Hand: Alle Lernstandsuntersuchungen nach 2020 hätten gezeigt, dass die lange Zeit der Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen während der Corona-Pandemie zu deutlichen Lernrückständen in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern geführt hat.

„Während der Corona-Pandemie waren die Schulen fast ein halbes Jahr lang weitgehend geschlossen, ein weiteres halbes Jahr lang fand nur jede zweite Unterrichtsstunde in der Schule statt.“ Das spiegele sich jetzt in den in der PISA-Studie nachgewiesenen Lernrückständen von zwei bis sieben Monaten. Rabe hatte bereits während der Pandemie für ein Offenhalten der Schulen geworben.

Schule Hamburg: Opposition kritisiert verschleppte Digitalisierung

Auch die Hamburger FDP-Politikern Anna von Treuenfels-Frowein sieht coronabedingte Schulschließungen als einen Grund. „Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit: Der gescheiterte Versuch, während der Corona-Zeit digitalen Unterricht durchzuführen, ist ein zentraler Grund für die miserablen Ergebnisse der PISA-Studie“, sagt sie. „Dass der Schulsenator jetzt erst einen Digitalversuch mit gerade mal zwölf Schulen anschiebt, fast vier Jahre nach dem Corona-Ausbruch und dem flächendeckenden Scheitern von digitalem Unterricht in Hamburg, ist geradezu naiv.“ Es reiche auch nicht zu beklagen, dass immer mehr Schüler ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen. „Rabe sollte unseren Vorschlag aufnehmen, aus der Viereinhalbjährigen- eine Dreieinhalbjährigen-Untersuchung zu machen und die verpflichtende vorschulische Sprachförderung zu stärken.“

Die Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft, sieht durch die PISA-Studie erneut einen überdurchschnittlichen Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Vermögen des Elternhauses und dem Bildungsabschluss bestätigt: „Wer reich ist, erreicht bessere Abschlüsse. Diese Ungerechtigkeit stellt die OECD zwar generell fest, doch gerade in Deutschland ist sie wie in Stein gemeißelt.“