Hamburg. Die Bedürfnisse der Kinder und Eltern spielen derzeit kaum eine Rolle. Vor allem schwächere Schüler haben Probleme.
Nun mag man Tick, Trick und Track für untypisch halten – aber blicken wir auf die Fakten: Der Münchner Bildungsökonom Ludger Woessmann hat die Folgen des Lockdowns in 1100 Familien untersucht und ein Desaster gefunden: Gegenüber dem Präsenzunterricht hat sich im Distanzunterricht die effektive Zeit des Lernens mehr als halbiert: Statt 7,4 Stunden wie zuvor kommen die Pennäler nur noch auf 3,4 Stunden. Dabei nehmen die Bildungsunterschiede dramatisch zu. In der Studie betonen die Forscher, dass „außerschulisches Lernen ein hohes Maß an selbstbestimmtem Lernen erfordere, bei dem Schüler den Inhalt ohne die Unterstützung ausgebildeter Pädagogen erwerben und verstehen müssen“.
Dass aber könnten oft nur gute Schüler leisten. Je schwächer die Schüler, desto mehr Zeit verdaddeln sie mit Computerspielen, am Handy oder vor der Glotze. Andere Studien kommen zum Ergebnis, dass soziale Unterschiede voll durchschlagen – wo jemand zuhause hilft, kann besser gelernt werden als dort, wo die Mutter an der Supermarktkasse arbeitet und der Vater auf Streife geht. Wo ein eigenes Zimmer und ein eigener Rechner zum Lernen fehlen, werden Kinder in der Pandemie abgehängt. Die Folgen des Lockdowns aber wirken ein Leben lang, warnen die Forscher.
Corona hat seltsame Bündnisse geschmiedet
Wer ein Drittel des Schuljahrs verliert, muss sein Leben lang Gehaltseinbußen von durchschnittlich mehr als drei Prozent hinnehmen, so Woessmann. Bei einem Drittel des Schuljahres sind wir längst angekommen. Die meisten Schüler mussten im Frühjahr 13 Wochen auf richtigen Unterricht verzichten. Nun sind Kinder und Jugendliche in den Wochen 14 und 15 – und einige Wochen dürften noch hinzukommen. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe warnt davor, der Lockdown hinterlasse „tiefe Spuren bei den Kindern und Jugendlichen, nicht nur im Bereich der kognitiven Bildung, sondern auch im Bereich der sozialen Bildung und der Persönlichkeitsentwicklung“. Gerade für Grundschüler wünscht sich Rabe eine schnelle Rückkehr zum vollen Präsenzunterricht. Damit aber steht er zumindest in der veröffentlichten Meinung fast allein.
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Denn Corona hat seltsame Bündnisse geschmiedet: So nehmen in Hamburg CDU und Linke Rabe gemeinsam unter Beschuss. Über allem schwebt der Streit, ob Schulen Treiber der Pandemie sind: Jede Seite sucht sich hier die Untersuchungen, welche die eigene Position stützen. Bildungspolitiker verweisen auf Studien des „Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC): „Jüngere Kinder scheinen weniger anfällig für Infektionen zu sein, und wenn sie infiziert sind, übertragen sie das Virus seltener als ältere Kinder und Erwachsene“, heißt es dort. Und unmissverständlich geht es weiter: Es bestehe Konsens darüber, dass Schulschließungen zur Pandemiebekämpfung nur als „letztes Mittel“ eingesetzt werden sollten: „Die negativen körperlichen, geistigen und pädagogischen Auswirkungen der Schulschließungen auf Kinder sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft überwiegen wahrscheinlich die Vorteile.“
Die Kinder werden weiter leiden
Die Forscher des University College London haben sich in Hinblick auf den gestaffelten Ferienbeginn die Infektionszahlen in Deutschland angeschaut. Einen signifikanten Einfluss fanden sie nicht. Ein anderes Ergebnis erbrachte eine Studie der ETH Zürich: Sie rechnet vor, dass die Mobilität durch Schulschließungen im März 2020 in der Schweiz um 21,6 Prozent reduziert worden sei und damit die Zahl der Covid-19-Erkrankungen verringert habe. Auch britische Studien sehen Schulen als Verbreiter der Pandemie. Es ist kein Wunder, dass Deutschlands Spitzenvirologe Christian Drosten besonders die Gefahren sieht. Er war es, der schon im März zu Schulschließungen geraten hatte: Schulen haben ihm zufolge eine „Netzwerkfunktion“, er verweist auf einen „Ping-Pong-Effekt“: Kinder trügen das Virus in die Familie, die Geschwister brächten es dann in ihre Klasse und übertrügen es weiter.
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Klar ist: Der Lockdown dauert länger, die Kinder werden weiter leiden und weniger lernen. Und die Eltern werden sich fragen, ob sie eigentlich überhaupt eine Lobby haben: Eine mögliche Antwort bekommen sie in Berlin. Was hat die neue Arbeitsgruppe, die sich um die Corona-Impfungen kümmern soll und damit die entscheidende Gruppe der Pandemie-Bekämpfung wird, gemeinsam? Das Quintett bilden neben Kanzlerin Angela Merkel ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun (CDU) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Sie alle sind kluge Politiker, aber kennen die Sorgen und Nöte der Familien nur vom Hörensagen. Alle fünf Politiker sind kinderlos.