Hamburg. Bundesweite Bildungsstudie: Stadt landet in Deutsch und Mathematik überraschend auf Rang sechs der Bundesländer. Woran das liegt.
Die Schülerinnen und Schüler der Hansestadt haben bei den Deutsch- und Matheleistungen im Vergleich der Bundesländer einen großen Sprung nach vorn gemacht. In der aktuellen, heute in Berlin vorgestellten Bildungsstudie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) haben sich die Hamburger Grundschülerinnen und Grundschüler im Länderranking auf Platz sechs der 16 Länder erheblich verbessert. In der alle fünf Jahre erhobenen Pisa-Nachfolgestudie lag Hamburg 2011 noch auf Platz 14 und 2016 auf Platz zwölf.
“Platz sechs ist das mit Abstand beste Ergebnis von Hamburger Schülerinnen und Schüler seit Beginn der bundesweiten Lernstandsuntersuchungen vor mehr als 20 Jahren. Kein anderes Bundesland hat sich so stark verbessert wie Hamburg”, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD).
Schülerleistungen: Hamburg, Bremen und Berlin bildeten lange die Schlusslichter
Über viele Jahre bildeten die drei Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin nicht zuletzt wegen ihrer sehr heterogenen Schülerschaft die Schlusslichter. Für die aktuelle Erhebung wurden unmittelbar nach dem Corona-Lockdown im Mai 2021 bundesweit 26.844 Viertklässler und Viertklässlerinnen an 1464 Schulen getestet, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden. Geprüft wurden die Leistungen in den vier Bereichen Lesen, Zuhören, Rechtschreibung und Mathematik.
Der genauere Blick auf die IQB-Studie zeigt, dass Hamburg allerdings von einem negativen Gesamttrend profitiert: Bundesweit haben sich die Leistungen der Viertklässler seit 2011 durchschnittlich um rund 34 Punkte von 500 auf 466 Punkte verschlechtert. Dabei entsprechen 50 Punkte ungefähr einem ganzen Lernjahr. In Hamburg betrug das Minus dagegen nur elf Punkte – von 479 auf 468 Punkte. Relativ gesehen bedeutet das also eine deutliche Verbesserung. Der Stadtstaat liegt nun in der Regel über dem Bundesdurchschnitt.
Schülerleistungen: "Das sollte uns Mut machen"
„Das sollte uns Mut machen – aber wir können und müssen noch besser werden. Denn der Hamburger Erfolg vollzieht sich vor dem Hintergrund insgesamt deutlich abnehmender Leistungen in allen Bundesländern“, sagte auch Rabe, der vermutet, dass „ein großer Teil der Probleme sicher auf den einmaligen Corona-Effekt zurückzuführen ist“.
Am besten schneiden die Hamburger Viertklässler in den Bereichen Lesen mit Rang drei (2011: 14, 2016: 12) und Zuhören mit Rang vier (2011: 13, 2016: 5) ab. Etwas schwächer sind die Ergebnisse in der Rechtschreibung, wo die Hamburger auf Platz acht (2011: keine Erhebung, 2016: 12) landen. Das Problemfach Mathematik liefert auch in der IQB-Studie mit Rang neun die schlechteste Positionierung (2011: 14, 2016: 14).
Leseleistungen in Hamburg blieben stabil
Aufschlussreich sind die Entwicklungen auf der 500er-Skala. Die Leseleistungen sind in Hamburg über die vergangene Dekade stabil geblieben: 2011: 478, 2016: 487, 2021: 479 Punkte. Beim Zuhören ist aktuell ein Rückgang auf 465 Punkte (2011: 486, 2016: 485) zu verzeichnen. Die Verschlechterung in der Rechtschreibung fällt mit 470 Punkten (2016: 481) moderat aus. Ähnlich ist die Lage in der Mathematik mit 458 Punkten (2011: 470, 2016: 469). Übrigens: Unangefochtener Spitzenreiter unter den Ländern in allen drei Studien seit 2011 ist Bayern.
Doch die tatsächlichen Probleme zeigt eine andere Auswertung der Studie. Fast jeder fünfte Viertklässler -- 17,7 Prozent – erreicht in Hamburg nicht den Mindeststandard im Lesen. Damit liegt der Stadtstaat aber immerhin noch auf Platz drei der 16 Länder. Während der Anteil der Kinder, die den Mindeststandard verfehlen, seit 2016 bundesweit um 6,3 Prozentpunkte gestiegen ist, betrug der Zuwachs in Hamburg nur 3,5 Prozentpunkte.
Mathematik: 23,8 Prozent der Kinder verfehlen Mindeststandard
Das Gros der Jungen und Mädchen in Hamburg – 61,9 Prozent – erreicht im Lesen den Regelstandard. Die Spitze – den Optimalstandard – schaffen 10,9 Prozent. Im Bereich der Orthografie verfehlt sogar fast ein Drittel der Hamburger Viertklässler -- 30,5 Prozent – den Mindeststandard. Der Anstieg der unteren Leistungsgruppe beträgt seit 2016 bundesweit 8,5 Prozentpunkte, in Hamburg „nur“ 3,1 Prozentpunkte. Das bedeutet Rang zwei unter allen Ländern. Den Optimalstandard schaffen nur 6,5 Prozent und den Regelstandard folglich 45,9 Prozent.
In Mathematik verfehlen 23,8 Prozent der Jungen und Mädchen am Ende der Grundschule den Mindeststandard (Platz 11). Auch hier ist der Anstieg bundesweit mit 6,4 Prozentpunkten gegenüber 2011 deutlich höher als in Hamburg mit 2,5 Prozentpunkten. Den Regelstandard im Rechnen erreichen im Stadtstaat 55,1 Prozent der Schüler, den Optimalstandard 13,6 Prozent.
Bundesweit mehr Kinder mit Migrationshintergrund
Etwas freundlicher fällt die Bilanz für den Bereich Zuhören aus. Hier verfehlen 17,3 Prozent den Mindeststandard, während 62,4 Prozent den Regel- und 13 Prozent den Optimalstandard erreichen. Kein anderes Bundesland hat eine breitere Spitze – der einzige erste Platz für Hamburg in der IQB-Studie.
Die Autoren der Studie begründen den insgesamt negativen Trend bei den Schülerleistungen gegenüber 2011 nicht nur mit den Folgen der Lockdowns während der Corona-Pandemie. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund stieg bundesweit von 33,6 Prozent (2011) auf 38,3 Prozent (2021). Kinder mit Migrationshintergrund haben häufiger sprachliche Schwierigkeiten und geringere Lernerfolge.
Kinder mit sprachlichen Defiziten besuchen Vorschule
Während deren Anteil in den ostdeutschen Ländern nur rund 14 Prozent beträgt, liegt er in den Stadtstaaten Bremen (58,3 Prozent) und Hamburg (51,8 Prozent) am höchsten. „Vor diesem Hintergrund ist die deutliche Verbesserung Hamburgs besonders auffällig“, so Rabe. Der SPD-Politiker führt den relativen Erfolg Hamburgs unter anderem auf die gezielte Förderung der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler zurück.
So erhalten Grundschulen in sozial schwieriger Lage bis zu 50 Prozent mehr Lehrerinnen und Lehrer, haben kleinere Klassen und mehr Fördermöglichkeiten. Schüler mit mangelhaften Leistungen – nach Angabe der Schulbehörde rund 20 Prozent – bekommen zwei kostenlose Nachhilfestunden pro Woche, die Teilnahme ist Pflicht. Mit Beginn der Corona-Pandemie wurden die „Lernferien“ als zusätzliches, freiwilliges Förderangebot eingeführt. Seit vielen Jahren wird die sprachliche Entwicklung jedes Kindes im Alter von viereinhalb Jahren getestet. Kinder mit sprachlichen Defiziten – rund 15 Prozent – besuchen die einjährige Vorschule.
Schülerleistungen: Stöver kritisiert Schulsenator
Die CDU-Bildungspolitikerin Birgit Stöver kritisiert die hohe Zahl der Schüler, die die Mindeststandards verfehlen. „Den schlechten Stand der Grundschüler leistet sich der Schulsenator seit Jahren, und merkbare Verbesserungen sind offenbar wieder nicht in Sicht“, sagte Stöver.
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„Seit 2000 identifiziert jede Bildungsstudie die soziale Ungerechtigkeit unseres Bildungssystems, weil nach wie vor die Herkunft über den Bildungserfolg bestimmt. Dieser Befund hat sich noch einmal verstärkt“, sagte Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.