Buxtehude: Kein Schnack: Die Heimat von Hase und Igel existiert nicht nur im Märchen - auch wenn die Hunde hier mit dem Schwanz bellen und der Rum fließt.

Manchmal ist es nur ein flüchtiges, amüsiertes Lächeln, gelegentlich aber auch ein recht skeptischer Blick: Wenn ein Buxtehuder seine EC-Karte zum Bezahlen auf den Tisch legt und deutlich der Schriftzug der heimatlichen Sparkasse sichtbar wird, muss er mit solchen Reaktionen rechnen. Jedenfalls wenn er sich aus der norddeutschen Tiefebene hinauswagt. Buxtehude gilt eben vielerorts als reiner Märchenort. Eine Stadt, die es gar nicht gibt.

"Geh doch in die Quarkmühle nach Buxtehude", hören Kinder beispielsweise in Ostdeutschland. Im Süddeutschen werden sie nach Buxtehude geschickt, "wo der Pfeffer wächst". Der Zauberer Zwackelmann in der Geschichte vom Räuber Hotzenplotz besucht einen Kollegen in Buxtehude. Im Märchen der Brüder Grimm vom Hasen und vom Igel laufen die beide auf der Buxtehuder Heide um die Wette. Und dann ist da der Standardspruch, den sich jeder Buxtehuder so um die 25 000-mal im Leben anhören muss: "Ach, Buxtehude, wo die Hunde mit dem Schwanz bellen."

Es gibt sie aber wirklich: Fast 40 000 Einwohner zählt die alte Hansestadt an der Este. Und das Image als Märchenstadt versteht Buxtehude mittlerweile gut in bare Münze umzusetzen. Seit Kurzem ist sie sogar wie Bremen oder Hameln offiziell Märchenstadt und hofft so auf internationale Besucher.

Die historische Altstadt, die Nähe zum Alten Land und zu Hamburg - das sind weitere Magneten, um Touristen anzuziehen. "Die finden das richtig witzig, wenn sie die Stadt dann in der Realität erleben können", sagt Judith Brehm von der Stadtinfo. Nicht selten, dass sich Besucher fröhlich grinsend vor dem Ortseingangsschild fotografieren lassen.

Doch warum gibt es dieses merkwürdige Bild einer Stadt, die irgendwo im Fantasieland liegen muss? "Weil hier immer so komische Sachen passiert sind", vermutet Antje Ghosh. Sie ist erste Vorsitzende der Buxtehuder Märchengesellschaft und kennt natürlich alle Geschichten. Auch jene, die ein bisschen pikanter sind als Hase und Igel oder Räuber Hotzenplotz. Etwa die Legende vom Schmied in Buxtehude. Vor einigen Hundert Jahren soll er europaweit ein bestimmtes Wässerchen verkauft haben, dem seinerzeit eine Art Viagra-Wirkung nachgesagt wurde.

Haupt-Märchen ist aber das von Hase und Igel, selbst auf Karten oder offiziellen Schreiben der Stadt findet sich dieses Motiv. "Die Geschichte ist weltbekannt", sagt Antje Ghosh. Mehr als 100 Hase-und-Igel-Fabeln aus aller Welt hat die Übersetzerin gesammelt und in einem Buch zusammengefasst. Die Story ist immer gleich: Klein und pfiffig setzt sich gegen groß und hochmütig durch. Eine Eigenschaft, die sich Buxtehuder auch selbst gern zuschreiben - und die sie mit ihrem Märchen-Image versöhnt. "Märchenstadt mit Modellcharakter", heißt es in der Beschreibung des Stadtarchivars.

Tatsächlich bietet die Stadt in dieser Hinsicht einige Überraschungen: So sitzt die viertgrößte Container-Reederei der Welt, die Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft (NSB), nicht etwa in Hamburg - sondern in Buxtehude. Und wer weiß schon, dass Verkehrsberuhigung und Tempo-30-Zonen in Buxtehude erfunden wurden? Der damalige Stadtbaurat Otto Wicht ließ in den 80er-Jahren dazu einfach riesige Betonringe in die Straßen stellen und bepflanzen. Kübel-Otto nannten ihn die Buxtehuder deshalb.

Auch die Reform der gymnasialen Oberstufe wurde Ende der 60er-Jahre erstmals als Modellprojekt in Buxtehude erprobt. Und als Niedersachsen die traditionsreiche Fachhochschule Buxtehude dichtmachte - erfanden die Buxtehuder einfach eine neue: Die Hochschule 21 bildet Bauingenieure und Immobilienfachleute aus, die Studienzeit wird zum Teil in Partnerunternehmen verbracht.

Für einen verträumten Provinzler hält sich eben niemand in Buxtehude. Provinz, das ist eher ein Attribut, das der Kreisstadt Stade zugeschrieben wird. Buxtehude sei einfach mehr Hamburg als Kreis Stade, meint auch Judith Brehm. Auf Piste oder zum Job geht es - wenn nicht in die eigene Stadt - nach Hamburg. Was selbst Rockmusiker Udo Lindenberg erkannt hat: In seiner Hymne auf die Reeperbahn sind es die "Jungs aus Buxtehude", die von Freitag bis Sonntag dort durchmachen.

Und wenn Buxtehude im Dezember endlich S-Bahn-Station sein wird, dürfte der Schulterschluss zur großen Hanse-Schwester noch enger werden.

Doch Obacht, liebe Hamburger! Einverleiben lässt sich diese Stadt nie. Vom Igel lernen heißt siegen lernen. Und deshalb bleibt man hier lieber weiter klein und pfiffig. Auch wenn Buxtehuder gelegentlich einen skeptischen Blick auf die EC-Karte ertragen müssen.