Hamburg. Rocko Schamoni veranstaltet Konzerte, Galerist Ralf Krüger vergibt Stipendien. Was die Kulturschaffenden mit der Ostsee-Region verbindet.
Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Dieses beliebte Ferienanbieter-Motto für Animateure hat sich auch der Hamburger Galerist Ralf Krüger zu eigen gemacht: Er bietet seinen Künstlerinnen und Künstlern im Rahmen eines Stipendiums an, zwei Monate in einer schicken Ferienwohnung in Hohwacht an der Ostsee zu verbringen und dort ihr Atelier aufzubauen. Wie, woran und wie lange sie arbeiten, bleibt ihnen überlassen. Der in Hamburg lebende Künstler Gideon Pirx, der seine Hohwacht-Session, wie er es nennt, gerade beendet hat, hat gleich ein neues Genre für sich entdeckt: In pastös aufgetragenen Ölfarben sind Weiden, Straßen und Himmel mal mehr, mal weniger konkret auf kleinen und mittelgroßen Leinwänden zu erkennen.
„Eigentlich sehe ich mich gar nicht als Landschaftsmaler“, sagt der 1962 im ostfriesischen Aurich geborene Pirx (ein Künstlername), der Malerei bei Almut Heise und Friedel Anderson studierte, diplomierter Designer und seit 1999 freischaffender Künstler ist. Doch die schleswig-holsteinische Umgebung hat es ihm angetan. Der Künstler, der viel mit den Norddeutschen Realisten unterwegs ist, schnappte sich so oft wie möglich Kamera und Staffelei und ging auf Motivsuche. Weniger am Strand, der fußläufig von der Ferienhaussiedlung De Ole School zu erreichen ist, sondern mehr auf Feld und Wiesen. „Ich mag es gern erdig“, so Pirx.
Wie Kunst und Musik von Hamburg an die Hohwachter Bucht schwappen
Warum ausgerechnet Hohwacht, ein unscheinbarer Ort an der Ostsee, der nicht mit dem touristischen Angebot von Travemünde oder dem lässigen Lifestyle von Scharbeutz mithalten kann? „Eben darum“, sagt Ralf Krüger. „Ich habe in Hamburg so viele Menschen um mich und bin in der Galerie ständig mit Auf- und Abbau von Ausstellungen beschäftigt. Im Urlaub möchte ich möglichst meine Ruhe haben“, erzählt er bei der Vernissage in der Künstlerwohnung.
Da lag es nahe, einen seiner privaten Rückzugsorte auch den Kreativen schmackhaft zu machen. Und die nehmen es dankbar an. „Fantastische Bedingungen“, fand Gideon Pirx dort vor. Vor ihm war der Künstler Andrey Klassen in der modernen und liebevoll gestalteten Feriensiedlung, die auf dem einstigen Gelände einer Grundschule gebaut wurde und mit großem Engagement von Kian Voß, einem ehemaligen Schüler, geleitet wird. 2025 sollen die Stipendien weiterlaufen. Denkbar wäre laut Krüger, dass die Kunst, die auf diese Weise entsteht, auch in die Künstlerwohnung oder andere Wohnungen auf dem Gelände integriert wird, De Ole School also Werke der Künstlerinnen und Künstler übernimmt.
Jazz statt Konfirmationsblues mit Carsten „Erobique“ Meyer im Gadendorfer Krug
Quasi um die Ecke wird einem alten Gasthof neues Kulturleben eingehaucht: Der denkmalgeschützte Gadendorfer Krug nahe Lütjenburg, wo früher Hochzeiten und Konfirmationen gefeiert wurden, später Bands aus der Region aufspielten, musste wegen Verfall schließen. Im Frühjahr 2023 konnte wiedereröffnet werden – auch dank der Initiative des Gadendorfer Künstlers Henning Rethmeier, der den Hof erwarb und durch den Verkauf von Bildern die Sanierung mitfinanzierte. Der Maler lebt mittlerweile überwiegend in Spanien, hat aber weiterhin sein Atelier dort. Bei den „Offenen Ateliertagen Hohwachter Bucht“ wird regelmäßig die Vielfalt und Kreativität der Kunstszene in der Ostseeküstenregion präsentiert.
Im Mai dieses Jahres lud Rethmeier zusammen mit dem Verein „Panker Kultur“, laut Website bestehend „aus netten und engagierten Menschen aus Behrensdorf, Darry, Gadendorf, Giekau, Hamburg, Lütjenburg und Stöfs“, die Künstler Sösta Sönksen und Christof Klemmt ein. Mitte November trat auf Einladung des Vereinsmitglieds Rocko Schamoni das Mod-Jazz-Quartett Hamburg Spinners mit Carsten „Erobique“ Meyer an der Orgel auf. Zuvor waren die Hamburger-Schule-Band Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs sowie Black Shampoo zu Gast.
Wer das Kulturleben im Krug unterstützen möchte, kann Fördermitglied werden
„Ich bin in der Ecke aufgewachsen und habe neben Hamburg noch eine Bleibe in einem kleinen Ort nahe Lütjenburg, wo auch meine Eltern, mein Bruder und einige Freunde wohnen“, erzählt der Schriftsteller und Sänger. „Früher gab es hier eine Menge kulturelle Angebote. Aber mit den Kneipen und Dorfkrügen, die nach und nach dichtmachten, kam es zu einer kulturellen Dürre, viele Leute bleiben allein zu Hause. Deshalb wollen wir mit dem Verein den Krug wieder zum Leben erwecken.“
Das Kulturzentrum ist noch im Werden, der Eintritt läuft auf Spendenbasis. Für die Sanierung des Dachs, die Erneuerung von Heizung und Elektrik braucht es größere finanzielle Unterstützung. Wer dabei helfen will, kann auf der Website von „Panker Kultur“ Fördermitglied werden. „Aber auch Mäzene und Kooperationen mit Firmen sind willkommen“, so Schamoni. Denn künftig sollen weitere Bandauftritte, Lesungen und Ausstellungen im Krug stattfinden. Wer sich davon ein Bild machen will: Jeden Sonntag zwischen 15 und 17 Uhr gibt es dort Kaffee und Kuchen. Treibende Kraft ist Vereinsvorsitzende Britta Rönnfeldt. Die ehemalige Partnerin des verstorbenen Peter Marxen, Gründer des legendären Onkel Pö in Hamburg und langjährige Besitzer des „Forsthaus Hessenstein“, hat den kulturellen Geist von der Stadt aufs Land gebracht.
Rocko Schamoni und Daniel Richter verbrachten ihre Jugendjahre in Lütjenburg
Schamoni war auch Mitveranstalter des ersten und bisher einmaligen Sirenen-Festivals am Strand von Hohwacht 2023. Es kamen 1000 Gäste; für 2024 und 2025 konnten nicht genügend Karten verkauft werden. Aber für 2026 ist wieder ein Festival geplant. Im kommenden Jahr verspricht der Künstler für den Sommer zwei „Strand-Sirenen“-Partys mit weiblichen DJs.
Kunst ist auch direkt in Lütjenburg zu finden. Ebenso wie Schamoni hat auch der Maler Daniel Richter seine Jugendjahre im 5000-Seelen-Ort in der Holsteinischen Schweiz verbracht; selbstverständlich kennen sich die beiden. Daniel Richter, der viele Jahre in Hamburg gelebt und gearbeitet hat, wohnt heute in Berlin. Sein Bruder Marc Richter ist der Heimat treu geblieben und betreibt in Lütjenburg in der Niederstraße 19 eine Galerie. Neben Richter-Werken verkauft er auch Jonathan Meese, Armin Mueller-Stahl und Georg Baselitz. Wer einen Abstecher dorthin machen möchte, sollte sich allerdings vorher nach den Öffnungszeiten erkundigen und anmelden.
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Eine feste Institution im Hohwachter Kulturleben ist das Hotel Genueser Schiff. Dort hat Inhaber Philipp Brandt aus dem Familienbetrieb ein richtiges Kunsthotel gemacht. In den Zimmern und auf den Fluren sind Arbeiten des Berliner Malers Christopher Lehmpfuhl und des ostholsteinischen Keramikers Jan Kollwitz (Urenkel der berühmten Käthe Kollwitz) zu finden. Ab Juli 2025 ist auch das Wanderkino wieder am Strand unterwegs und zeigt Stummfilmklassiker mit Livemusikbegleitung (Logenplätze im Zweier-Strandkorb). Fest etabliert hat sich auch das Format „Literatur am Meer gelesen“. Vom 9. bis 13. März und vom 14. bis 18. September 2025 sind Bestsellerautorinnen und Debütanten zu Gast und lesen aus ihren aktuellen Büchern – traditionell moderiert vom ARD-Literaturexperten Denis Scheck.
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