Hamburg. Das Ernst Barlach Haus zeigt die starken Bilder von Elfriede Lohse-Wächtler. Es ist eine Hommage an eine eigenwillige Expressionistin.
Was das Schicksal für einen Menschen bereithalten kann, wird auch in der zweiten Ausstellung, die jüngst im Jenischpark eröffnet hat, deutlich. War 1935 das Jahr, in dem der Hamburger Maler Eduard Bargheer (1901–1979) zum ersten Mal auf die Insel Ischia reiste und dort seine Wahlheimat fand, endete für Elfriede Lohse-Wächtler (1899–1940) die künstlerische Laufbahn in diesem Jahr abrupt mit der Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Fünf Jahre später wurde sie im Rahmen der nationalsozialistischen Krankenmorde in Pirna ermordet. Das Ernst Barlach Haus würdigt die in Vergessenheit geratene Künstlerin nun mit einer Hommage zum 125. Geburtstag, Titel: „Ich als Irrwisch.“
Doch ist es nicht die tragische Lebensgeschichte, die im Zentrum der Retrospektive steht. „Wir möchten die Aufmerksamkeit auf das vielschichtige und bedeutende Werk von Elfriede Lohse-Wächtler lenken, sie als moderne, emanzipierte Frau zeigen, die früh ihr Elternhaus in Dresden verließ, um sich als Künstlerin zu etablieren, die mit dem Maler Otto Dix befreundet war und sich nach ihrer gescheiterten Ehe mit dem Sänger Kurt Lohse allein durchschlug“, sagt Dagmar Lott, Kunsthistorikerin am Ausstellungshaus. „Sie ist eine der wichtigen künstlerischen Stimmen des frühen 20. Jahrhunderts. Ihre dynamische, von Empathie getragene Bildsprache ist in der Neuen Sachlichkeit ohne Vergleich.“
Jenischpark: Hommage an die Expressionistin Elfriede Lohse-Wächtler
Dabei zählen die Jahre ab 1925 in Hamburg zu den kreativsten und produktivsten. Trotz ihrer labilen psychischen Verfassung, die sich durch ihr gesamtes Leben zieht, trotzt sie den politisch wie gesellschaftlich wechselvollen Zeiten mit kraftvollen Werken. Selbstbewusst dringt sie dabei auch in Männerwelten und Sperrbezirke vor, malt im Hafen und auf St. Pauli, sogar in der Herbertstraße.
Besonders um 1930/31 entstehen atmosphärisch dichte Bordell- und Kneipenszenen, eindringliche Typenporträts und eine Vielzahl von Selbstbildnissen. Gerade Letztere offenbaren die stilistische Virtuosität der Künstlerin zwischen Zeichnung, Aquarell und Ölbild und ihre Entwicklung hin zum Expressionismus.
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Elfriede Lohse-Wächtler, die sich als Nikolaus oder „Lausi“ Wächtler mit kurzem Garçon-Schnitt inszeniert, erfährt großen Zuspruch in mehreren Einzelausstellungen. Der damalige Kunsthallen-Direktor Gustav Pauli kauft ein Gemälde, Max Sauerlandt, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, und Architekt Fritz Schumacher unterstützen sie. Und doch lebt die Künstlerin stets am Existenzminimum, kann kaum die Miete für ihre kleinen Wohnungen erst an der Poolstraße, später an der Fruchtallee zahlen.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929, die fast alle Künstlerinnen und Künstler in die Armut treibt, führt zu ihrem Karriere-Aus. Sie muss zurück nach Dresden ziehen. Ihre überforderten Eltern bringen sie in der Psychiatrie unter, wo ihr Schizophrenie attestiert wird – ihr Todesurteil. Gezeichnet und gemalt hat Elfriede Lohse-Wächtler bis zuletzt. Auch diese bewegenden Bilder zeigt die großartige Ausstellung.
„Elfriede Lohse-Wächtler. Ich als Irrwisch. Hommage zum 125. Geburtstag“ bis 9. Februar 2025, Ernst Barlach Haus (S Klein Flottbek), Baron-Voght-Straße 50a, Di–So 11.00–18.00, öffentliche Führungen So 12.00, Eintritt 9,-/6,- (erm.), www.barlach-haus.de
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