Hamburg. Direktorin Barbara Plankensteiner positioniert das frühere Völkerkundemuseum umfassend neu: Dekolonisieren statt gefälliger Folklore.
„Weißes Wüstengold“, „Benin. Geraubte Geschichte“, „Jurte jetzt!“, „Pippis Papa und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik“ – mit diesen Ausstellungen wirbt das MARKK an der Außenfront mit seinem neuen Image: Politisch korrekt, anspruchsvoll und trotzdem ein Museum für Familien, so will es Barbara Plankensteiner. Doch dieser Spagat scheint nicht aufzugehen, die Besucherzahlen haben sich innerhalb von zehn Jahren halbiert, von rund 120.000 im Jahr 2014 auf 64.000 im vergangenen Jahr. Im Interview spricht die Direktorin über die besonderen Herausforderungen, die ein ethnologisches Museum heute habe.
Die sinkenden Besucherzahlen sind alarmierend: Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?
Barbara Plankensteiner: Ich habe im April 2017 diese Direktion übernommen, und da waren die Zahlen schon stark rückläufig. Das ist eine Tendenz, die eben schon vor 2014 begonnen hatte. Das hat mit vielen Faktoren zu tun. Das Museum hat in der Vergangenheit seine hohen Besucherzahlen auch durch Folklorefeste und Märkte erzielt. Diese wurden auch vor meiner Zeit schon sukzessive reduziert. Das können wir heute nicht mehr so feiern. Und auch die Sicherheitsauflagen waren nicht so streng wie heute, das heißt, es gab kaum Personenzahlbeschränkungen. Heute sind wir da viel genauer.
Den einstigen Markt der Völker gibt es heute, nach einigen Versuchen, ihn zeitgemäßer zu gestalten, gar nicht mehr. Wie überhaupt sich das inhaltliche Programm des MARKK grundlegend geändert hat. Sehen Sie darin auch einen Grund für den Besucherrückgang?
Wenn man ein Haus so umfassend neu positioniert, wie wir das tun mussten, weil sich die Museumslandschaft in Europa ja schon ziemlich weiterentwickelt hatte und hier einiges aufzuholen war, geht das natürlich zu Beginn mit einem Besucherschwund einher. Das sind einfach Erfahrungswerte aus dem Marketing. Der viel größere Einbruch bei den Besucherzahlen kam jedoch während der Corona-Zeit.
30 Prozent des früheren Publikums haben seit Corona ihren Kulturkonsum reduziert
Das geht nicht nur dem MARKK so. Davon sind auch andere Museen und Kulturinstitutionen insgesamt betroffen.
Das mag sein, aber wir waren gerade mit unserem neuen Namen und der neuen Programmatik gestartet und wurden dann durch die Pandemie ausgebremst. Davon haben wir uns immer noch nicht erholt. Wir merken unter anderem, dass wir die Menschen für unser Abendprogramm nicht mehr so erreichen konnten wie vorher. Die große Besucher- bzw. Nichtbesucherbefragung der Kulturbehörde hat ja auch ergeben, dass 30 Prozent des früheren Publikums seit Corona ihren Kulturkonsum reduziert haben. Aber wenn Sie die Zahlen jetzt anschauen, gehen die stetig nach oben und nicht nach unten.
Und hat sich das Publikum auch entsprechend verändert durch die neue inhaltliche Positionierung des Hauses?
Nach wie vor sind Familien aus Hamburg und Umgebung unsere Kernzielgruppe. Und es ist ein zunehmend kunst- und kulturaffines Publikum. Allerdings haben wir festgestellt, dass viele gar nicht mitbekommen, was wir mittlerweile alles anbieten: neben Ausstellungen auch Workshops, Diskussionen, Kindergeburtstage.
Detektivspiele und Kinderdisco nicht so beliebt wie Indianergeburtstage
Da Sie es gerade erwähnen: Die Indianergeburtstage im Tipi-Zelt waren äußerst beliebt bei Familien. Die gibt es nun schon länger nicht mehr. Das Ausstellungsprogramm ist sehr anspruchsvoll geworden: keine Familienschau ohne kolonialgeschichtliche Aufarbeitung oder ökologische Fragestellung. Könnte das mit ein Grund sein, warum es Ihnen an Familien mangelt?
Anspruch ist ja nichts Schlechtes. Wir haben ein reichhaltiges Programm an Kindergeburtstagen: mit Basteln, Verkleiden, Detektivspielen, Rap-Führungen, Kinderdisco. Aber trotzdem erreichen wir damit nicht die Zahlen des Indianergeburtstags. Inzwischen wären sie wahrscheinlich auch nicht mehr so erfolgreich, das Thema wird ja auch in Kindergärten und Schulen kritisch diskutiert. Wenn da so Welten nachgebaut oder eher nach stereotypen Bildern konstruiert wurden, wie es früher in Museen unserer Art oft der Fall war, war es vielleicht einfacher; da konnte man durchlaufen und musste sich nicht großartig mit Inhalten auseinandersetzen. Wir aber vermitteln spezifische Themen zu globalen Kultur- und Kunstgeschichten; wir wollen Offenheit für andere Kulturen vermitteln. Und vielleicht ist das etwas, wo es weniger Hintergrundwissen gibt und daher mehr Hemmschwellen? Andererseits bekommen wir sehr positives Feedback von unseren Besuchern, die es gerade schätzen, dass sie Neues erfahren haben.
Wie wollen Sie gegensteuern und künftig wieder mehr Menschen ins Haus locken?
Ich denke, es braucht Zeit, bis sich Menschen an neue Inhalte gewöhnen. Wir müssen auch mehr dafür tun, dass wir die Menschen erreichen. Gerade haben wir unsere Social-Media-Aktivitäten erhöht, haben jetzt bei Instagram mehr als 10.000 Follower, mehr als manch anderes Museum unserer Art. Bei „Pippis Papa“ haben wir erstmals mit Influencern zusammengearbeitet. Es sind Marketingmaßnahmen und Outreach-Ausstellungen geplant, mit denen wir noch mehr Menschen erreichen können. Mit dem MK&G und der Kunsthalle etwa können wir uns nicht vergleichen, von unseren Ressourcen und unserer Größe her. Im Moment haben wir auch keine Dauerausstellung, die wir touristisch bewerben können. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir kein reiner Ausstellungsbetrieb sind, dass wir hinter den Kulissen unglaublich viel Forschung und wissenschaftlichen Austausch leisten. Mit Kooperationen, Institutionen des Globalen Südens, Communitys, in der Provenienzforschung. Außerdem werden unsere Archive international stark frequentiert. Wir mussten hier erst eine Förderlandschaft aufbauen, was uns durch die Neupositionierung gut gelungen ist. Jetzt haben wir viele Stiftungen in der Stadt, die uns dankenswerterweise unterstützen. Wir haben uns einen exzellenten Ruf erarbeitet. In der Stadt, aber auch national und international.
Globale Kunst- und Kulturgeschichte braucht mehr Raum in den Schulen
Wie findet sich der individuelle Museumsbesucher da wieder?
Einerseits sind Kolonialismus und Aufarbeitung des kolonialen Erbes gesellschaftliche Themen, die auch sehr viele Menschen bewegen. Dann gibt es aber auch andere, die sich nicht dafür interessieren. Und trotzdem bleibt es unser institutioneller Auftrag, über diese Themen aufzuklären. Und wir versuchen dies zu tun, aber trotzdem auch für ein breiteres Publikum ein Angebot zu machen, zum Beispiel mit der Wölfe-Ausstellung oder der Ausstellung zum Thema Wasser. Demnächst startet die Mitmachschau „Tausend Töpfe – Was Essen uns angeht“. Wir bieten bei jeder Ausstellung einen Thementag für Familien an, haben regelmäßige Sommerprogramme. Aber wir sind auch keine Vergnügungsparks. Wir versuchen alles, um diesen Spagat zu meistern.
Warum ist es so schwierig, diese Themen zu vermitteln?
Weil es immer noch wenig Verständnis in der Gesellschaft gibt, dass wir hier Kulturgüter und Kunstgegenstände bewahren, erforschen und präsentieren, die gleichermaßen gewürdigt werden müssten wie europäisches Kulturgut. Es wäre schön, wenn globale Kunst- und Kulturgeschichte mehr Raum in den Schulen und an den Universitäten bekäme. Es gibt aber immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, die ein Interesse daran haben, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Ich glaube, dass wir auf einem sehr guten Weg sind, aber wir müssen schwer dafür arbeiten, was wir mit Freude machen, und viel mehr dafür tun als andere Häuser, die im etablierten Verständnis des Kunstgenusses unterwegs sind.
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