Hamburg. Das Bucerius Kunst Forum bringt mit „Flowers Forever“ Ästhetik und Opulenz, Kultur- und Naturgeschichte in bedeutenden Werken zusammen.
Selten hat eine Ausstellung ihre Erwartungen so weit übertroffen wie gerade am Bucerius Kunst Forum: Mit dem Thema „Flowers Forever“ beschließt das private Ausstellungshaus sein künstlerisches Jahr. Darunter vorstellen konnte man sich wenig, bis auf die üblichen Verdächtigen: impressionistische Picknick-Motive oder florale Stillleben aus dem 19. Jahrhundert. So ging es zunächst auch Direktorin Kathrin Baumstark, als die Kunsthalle München ihr eine Kooperation anbot. Doch ebenso wie sie wird auch das Hamburger Publikum eines Besseren belehrt und bekommt die ganze Pracht und Wucht, die in der Kunst- und Kulturgeschichte der Blumen steckt, in einem Rundgang mit Skulpturen, Fotografien, Medienkunst, Objekten aus Design und Naturwissenschaften serviert.
Angefangen bei Alexandre Cabanels Darstellung von Kleopatra, die Gift an einem verurteilten Sklaven erprobt (und dabei blauen Lotus, die heilige Pflanze der Regeneration und Wiederauferstehung, in Händen hält), über Ovids Erzählung der „Metamorphosen“, die die Narzisse auf immer und ewig mit Selbstverliebtheit verknüpft hat, Rosen, die für Weiblichkeit und Liebe schlechthin stehen, Vanitas-Symbole, verwelkende Blüten, die Vergänglichkeit und Tod symbolisieren, niederländische Zucht-Tulpen als globaler Exportschlager, bis zu Ereignissen, bei denen mit Blumen friedlich gegen Kriege protestiert wird („Flower-Power“ während des Vietnamkriegs Mitte der 1960er-Jahre, Nelkenrevolution beim politischen Umsturz in Portugal 1974).
„Flowers Forever“: Ausstellung des Jahres im Bucerius Kunst Forum
Tatsächlich tauchen auch klassische Bouquets-Gemälde wie etwa der „Malvenstrauß“ (1882) von Henri Fantin-Latour auf; es wird flankiert von einem dreistündigen Video (2009–2012) über ein sich wandelndes Stillleben der Künstler Rob und Nick Carter, bei dem sich das Wasser in der Vase langsam leert, die Tageszeiten das Licht verändern. Für die raumfüllende Installation „Calyx“ (Blütenkelch) von Rebecca Louise Law trockneten und banden Freiwillige im Jahr 2022 über 100.000 Blumen, die sonst im Müll gelandet wären. Der Künstler Miguel Chevalier hat dagegen mit „Extra-Natural“ (2023) einen virtuell gedeihenden Blumengarten erschaffen, den die Besucherinnen und Besucher betreten können. Das Konzept der medialen Gegenüberstellung, das die gesamte Ausstellung durchzieht, ist eine ihrer großen Stärken.
Ebenso spannend: dass viele Positionen auf den ersten Blick einfach schön und ästhetisch ansprechend erscheinen, sich bei näherer Betrachtung und beim Lesen der Texte aber eine dahinterliegende Bedeutungsebene auftut. So ist etwa die leuchtend gelbe Fotografie von Maximilian Prüfer, die eine von Hand bestäubte und in Honig eingelegte Blüte eines Birnbaums in Sichuan zeigt, Zeugnis einer seit Langem ausbleibenden Insektenpopulation in der südwestlichen Provinz Chinas. Der gleißendes Sonnenlicht suggerierende Raum wurde von Kapwani Kiwanga gestaltet, um zwei Pfauensträucher kunstvoll zu inszenieren. Diese benutzten versklavte Frauen im südamerikanischen Surinam, die im 18. Jahrhundert von Zwangsarbeit und sexueller Gewalt betroffen waren, als natürliches Abtreibungs- und Verhütungsmittel.
Blumige Ironie: Löwenzahn mit „Just do it“-Schriftzug
Das Blumige wird auch als Transportmittel für Ironie benutzt: Der libanesischstämmige Künstler Walid Raad, der im vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Intervention in der Kunsthalle durchgeführt hat, erzählt in „Better Be Watching The Clouds“ (1992) eine fiktive Bildgeschichte, in der eine von Botanik begeisterte Militäroffizierin sich entsprechend blumige Codenamen für Margaret Thatcher oder Michail Gorbatschow ausdenkt. Tracey Bush wiederum verarbeitet den kuriosen Umstand, dass der durchschnittliche erwachsene Amerikaner zwar über 1000 Markennamen oder Logos, dafür aber weniger als zehn lokale, einheimische Pflanzen kennt, in Tuschezeichnungen und Collagen aus gefundenem Verpackungsmaterial. Wunderschön sind ihr der Feldmohn mit Coca-Cola-Emblem oder der Löwenzahn mit „Just do it“-Schriftzug gelungen.
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Ein wahrer Kraftraum in der Mitte der Schau versammelt bedeutende zeitgenössische Positionen: Da trifft der Fotokünstler Andreas Gursky mit einer beobachteten floralen Massenchoreografie zu Ehren des ehemaligen Parteiführers Kim Il-sung in Nordkorea („Pjöngjang I“, 2007) auf Ai Weiweis „Fahrradkorb mit Blumen“ von 2015 (der verfolgte chinesische Künstler platzierte zwischen dem 30. November 2013 und dem 22. Juli 2015 jeden Tag ein Blumenbouquet in Fahrradkörbe, bis er seinen Pass zurückerhielt). Und Kehinde Wiley, der zuletzt bei der Caspar-David-Friedrich-Ausstellung großformatig präsentierte, verwandelt das vom Historienmaler Francesco Salviati (1510–1563) stammende Motiv des florentinischen Edelmanns in ein Statement für People of Colour. Die Blumen umranken den schwarzen Edelmann nicht nur, sie treten dreidimensional aus dem Bild heraus – als Sinnbild für die Öffnung der Gesellschaft.
„Flowers Forever. Blumen in Kunst und Kultur“ 12.10.–19.1.2025, Bucerius Kunst Forum (U/S Jungfernstieg), Alter Wall 12, täglich 11.00–19.00, Do 11.00–21.00, Eintritt 12,-/6,- (erm.), www.buceriuskunstforum.de. Am 5.11. lädt das Abendblatt zum „Exklusiven Afternoon Tea im Zeichen der Kunst“ ins Hotel Vier Jahreszeiten mit anschließender Führung durch die Ausstellung durch Direktorin Kathrin Baumstark. Tickets kosten 99,- (inkl. Crémant, Afternoon Tea, Vortrag, Eintritt in das Bucerius Kunst Forum). Diese können in der HA-Geschäftsstelle und unter www.abendblatt.de/leserevents erworben werden.
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