Hamburg. Eine Ausstellung im MARKK gibt Einblicke in die Kolonialgeschichte. Efraim Langstrumpf und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik.

In Astrid Lindgrens Geschichten um die rot bezopfte Pippi Langstrumpf ist der Vater Efraim fast nie da. Er segelt auf den Weltmeeren, bis er nach einem Schiffbruch als König über eine Insel namens Taka-Tuka-Land herrscht. Dort lebt er zusammen mit den Einwohnern, es gibt Palmen, Kokosnüsse und jede Menge Gold. Damit seine Tochter im fernen Schweden allein zurechtkommt, überlässt er ihr einen Koffer voller Goldmünzen. So weit, so frei erfunden. Doch die Recherchen der MARKK-Kuratorinnen Johanna Wild und Jeanette Kokott zeigen: Pippis Biografie hat einiges mit dem Museum zu tun. Was, das erfahren Besucherinnen und Besucher nun in einer großen, bunten Familienausstellung: „Pippis Papa und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik“.

Erzählt wird darin eine Geschichte, die die schwedische Autorin inspiriert haben könnte. Sie handelt vom Seefahrer Carl Emil Pettersson aus Stockholm, der für die Neuguinea-Compagnie im Pazifik unterwegs war, 1904 mit dem Schiff „Herzog Johann Albrecht“ in einem Sturm kenterte und sich auf die Südsee-Insel Neuirland retten konnte. Statt möglichst schnell zurück in die Heimat zu kommen, ließ sich Pettersson dort nieder, heiratete Singdo, die Tochter aus einer einflussreichen Familie, und betrieb sogar eigene Kokosplantagen. Die Insel war damals Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea; Waren und Rohstoffe wurden von dort auch nach Hamburg verschifft und machten viele Kaufleute reich.

Ausstellung in Hamburg: Pippis Papa und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik

„Diese faszinierende Geschichte, die die Orte Hamburg, Schweden und die Inseln des Pazifiks miteinander verbindet, möchten wir Familien mit Kindern näherbringen, indem wir auf die Lebenswelten der Menschen damals und heute blicken“, sagt MARKK-Direktorin Barbara Plankensteiner. Eine interaktive Weltkarte gibt zunächst mal einen Überblick, wo diese Orte liegen. Dann nimmt die Ausstellung das Publikum mit ins heutige Papua-Neuguinea: An einer Station sind ein paar farbenfrohe Meri Blouses, die typischen Sommerkleider der dort lebenden Frauen, zu sehen. Daneben steht eine charakteristische Behausung aus Holz und Pflanzenmaterial.

Pippis Papa und eine wirklich wahre
Geschichte aus dem Pazifik
Mit den rituell bedeutsamen Malagan-Skulpturen nehmen Menschen auch heute noch Abschied von verstorbenen Verwandten. Hier ist eine Standfigur mit ausgebreiteten Armen von den Tabar-Inseln, Neuirland abgebildet (vor 1893, Holz, Farbe, Pflanzenmaterial, Kittmasse, Turbo Petholatus). © MARKK Foto: Paul Schimweg | MARKK Foto: Paul Schimweg

Ein großer Bereich ist den rituell bedeutsamen Malagan-Figuren gewidmet: Mit den kunstvoll aus Holz geschnitzten Skulpturen verabschieden sich die Bewohner Neuirlands bei mehrtägigen Festen heute noch von verstorbenen Verwandten und regeln den Umgang mit dem Erbe. Von einem ungewöhnlichen Ritual erzählen auch andere wertvolle Objekte aus der Sammlung des MARKK. Um mit Verstorbenen Kontakt aufzunehmen, fahren Männer mit Kanus aufs Meer und locken Haie mit Gesang und Rasseln an. Mithilfe einer Schwimmfalle fangen sie die Tiere und bringen sie an Land, wo sie von den Familien gemeinsam verzehrt werden.

MARKK-Ausstellung: Um das Projekt verständlich zu machen, wurde ein Junior-Beirat gegründet

Und dann sind da Schwarz-Weiß-Fotografien: Sie zeigen den Seefahrer Carl Pettersson mit seiner Frau Singdo und den Kindern in seiner neuen Heimat auf den Tabar-Inseln. Ebenfalls dokumentiert die Ausstellung, wie Arbeiter von weit her für die harte Arbeit auf den Plantagen angeworben wurden, wie sie dort unter Hunger, Krankheiten, Erschöpfung und körperlicher Gewalt litten. Ganz nebenbei wird so auch ein Stück bittere deutsche Kolonialgeschichte erzählt, wobei überhaupt erst einmal Begriffe wie Kolonialwirtschaft, Extraktivismus und Provenienz mit einfachen Worten erklärt werden.

Pressefotos: Pippis Papa und eine wirklich wahre 
Geschichte aus dem Pazifik
Im Stil der Kokospalme von Elboum ist die gesamte Familienausstellung illustriert. Die Palmeninsel schmückt etwa die Lese-Ecke. © MARKK | MARKK

Damit alles gut verständlich ist, wurde für das Projekt extra ein Junior-Beirat beauftragt. Dieser hat sicherlich auch angeregt, dass jüngeres Publikum Bewegungsfreiheit braucht. Nach so viel Input geht‘s auf die Rutsche oder durch den Tunnelgang, der die verschiedenfarbigen Gänge miteinander verbindet. Oder in die gemütliche Lese-Ecke unter der Palme, stets begleitet vom frechen Vogel Manu, der die Kapitel mit einer Sprechblase ankündigt. Und es gibt mehrere Mitmach-Stationen: An einer kann man eine Titelfigur für eine eigene Geschichte entwerfen und diese als Flaschenpost versenden. An einer langen Wand wird man aufgefordert, einen eigenen Garten zu bauen. Dafür stehen landestypische Pflanzen wie Pandanus, Sagopalme, Wunderstrauch, Hibiskus und Süßkartoffel als 3-D-Puzzle zur Verfügung.

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Die spannend und informativ erzählte „wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik“, die vielleicht Vorlage für Efraim Langstrumpf war, nimmt einen Großteil der Ausstellungsfläche ein. Daneben ist eine ganze Wand der viel berühmteren Tochter gewidmet, die aus unserer Kultur nicht mehr wegzudenken ist: Pippi Langstrumpf – im Buch, als Film, aufgedruckt auf Springseile, als Kuscheltier, Ikone des weißen Feminismus und Thema im Deutschen Bundestag, intoniert von Andrea Nahles am 3. September 2013. Und sogar Banksy verewigte die selbstbewusste Göre an einer Häuserwand in Wien mit ihrem 2 mal 3 gleich 4.

„Pippis Papa und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik“ MARKK (U Hallerstraße), Rothenbaumchaussee 64, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 9,50/5,- (erm.), Kinder und Jugendliche bis 18 J. frei, Eröffnungswochenende mit Workshops, Führungen und Spielen Sa/So 7./8.9., jew. 12.00–17.00; www.markk-hamburg.de