Hamburg. Die Galerie der Gegenwart zeigt die „Computerbilder“ des berühmten Neoexpressionisten – die sind auf wundersame Weise sehr berührend.
Es ist natürlich ein Zufall, dass in Hamburg gleich zwei Ausstellungen zur selben Zeit Kunst in Verbindung mit Computertechnik thematisieren: Im Phoxxi, dem temporären Haus der Photographie, folgen wir dem New Yorker Künstlerduo Andrea Orejarena und Caleb Stein auf ihrem Roadtrip durch die USA auf der Suche nach „Glitches“, Störungen der Realität, machen uns Gedanken, inwieweit Bildbearbeitung und Künstliche Intelligenz an Verschwörungsmythen beteiligt sein können, und gruseln uns ein bisschen vor der Zukunft. In der Galerie der Gegenwart zeigt nun Kunsthallen-Direktor Alexander Klar mit der Ausstellung „Computerbilder“ von Albert Oehlen, wer am Anfang und am Ende die Hoheit über das Werk hat: Es ist der Künstler. Wie beruhigend.
Nach der Ausstellung „Malerei“ 1994/95 in den Deichtorhallen ist es erst die zweite Einzelausstellung, die dem 1954 in Krefeld geborenen Maler, Objekt- und Installationskünstler gewidmet wird. 20 großformatige Bilder bespielen die erste Etage der Galerie; Klar gab dem Künstler eine Carte Blanche für die 800 Quadratmeter große Fläche, er hat zusammen mit Oehlen ausgewählt und gehängt. Die Wahl des Neoexpressionisten fiel auf die Computerbilder, weil die sowieso keiner verstünde, und so hätten sie alle zumindest ein bisschen Spaß, kolportiert der Direktor ein Gespräch, kurz bevor Oehlen doch noch spontan zur Presseführung im Museum dazustößt – und erst mal durch die Räume schreitet.
Hamburger Kunsthalle: Wie malt man das denkbar schlechteste Bild, Albert Oehlen?
Die ersten Computerbilder produzierte er Anfang der 1990er-Jahre, eine zweite Serie entstand in den frühen 2000er-Jahren. Die Grundlage dafür war ein Notebook, das Oehlen sich in Los Angeles zulegte. Auf dem darauf installierten Zeichenprogramm habe er zunächst wild drauf herumgekrakelt, mit Farben experimentiert und am Ende festgestellt, wie begrenzt die Möglichkeiten dieses Geräts seien. „Ich habe mir damals als Künstler nichts erhofft von Computern“, erzählt Albert Oehlen im Interview. „Ich fand es schnell langweilig.“ Um „der Komposition ein Schnippchen zu schlagen“ und weil ihn das Prinzip Zufall fasziniert, übertrug der Künstler diese ersten „Zeichnungen“ auf Leinwand und machte sich an die Arbeit.
Die von der Technik diktierte Ästhetik der Bildschirmoberfläche wurde zum Ausgangspunkt für einen Werkkomplex, bestimmt von der Kargheit schwarzer Linien, Chiffren und Raster auf weißem Grund. Diese wuchernde Vielfalt ergänzte Oehlen durch seine Malerei mit Öl- und Acrylfarben sowie durch die Technik des Siebdrucks. Dabei stand immer die Philosophie des „Bad Painter“ im Fokus: „Was wäre denn das denkbar schlechteste Bild? Gibt es Gesetze der Kunst, die man lernen kann, und was passiert, wenn man sie bricht? Das Nachdenken über Ästhetik und Rebellion gehören für einen jungen Künstler dazu“, findet Oehlen. Es wundert einen nicht, dass Harald Falckenberg, der begeistert war von der Counter Culture in der Kunst, auch von ihm einige Werke in der Sammlung hat.
Alexander Klar: Mit der Ausstellung ist man in der „Herzkammer des Künstlers“
Er sei in Hamburg sehr glücklich gewesen, so Oehlen. Mit der Kunsthallen-Schau kehrt der Künstler gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück. Er wurde zwischen 1978 und 1981 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg von Sigmar Polke ausgebildet. Seine erste Ausstellung fand in den Räumen der „Buch Handlung Welt“ von Hilka Nordhausen in der Markstraße 12 statt (kleiner Exkurs: Die Kunsthalle übernimmt deren Nachlass im kommenden Jahr durch eine Schenkung und wird daraus Ende 2025 eine Ausstellung entwickeln). Das Museum erwarb 1983 das Oehlen-Gemälde „Gerippe“ und 1984 einige Kaltnadelradierungen von ihm.
- Museum der Arbeit: Von Otto bis Online-Shopping - eine Ausstellung über Konsum
- Kultur in Hamburg: Pippis Papa und eine wahre Geschichte aus dem Pazifik
- Kunsthalle Hamburg: Wie William Blake sogar die Metal-Musik inspirierte
Unter die Schwarz-Weiß-Arbeiten mischen sich auch farbintensive Bilder wie etwa „Fleisch“ (1995), „Captain Jack“ oder „Panscratcher“ (beide 1997). Werke wie „Blind in Texas“ (1994) oder „Annihilator“ (2001/06) verweisen auf Oehlens Leidenschaft für zeitgenössische Musik. Laut Alexander Klar ist man in der Ausstellung in der „Herzkammer des Künstlers“. Den Bildern nähere man sich am besten, indem man die Komposition nachvollzieht. Und siehe da: Die an sich technoiden Computerbilder sind auf wundersame Weise berührend, nostalgisch. Zumindest für sie gilt, dass der Computer immer nur ein Hilfsmittel für den gestaltenden Künstler ist.
Auch für Albert Oehlen sind seine Bilder „Zeitdokumente“. Die Debatte um die Auswirkungen von digitaler Technik und KI auf unser Leben verfolge er „wie viele andere Menschen auch, neugierig-skeptisch, aber als Künstler interessiere ich mich nicht dafür“. Was ihm grundsätzlich fehle, sei die kritische Auseinandersetzung mit Kunst und mit seinem Werk. „Schreiben Sie einen Verriss“, gibt er zum Ende des Gesprächs mit auf den Weg. Dieser Wunsch muss unerfüllt bleiben.
„Albert Oehlen. Computerbilder“ bis 2.3.2025, Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.), www.hamburger-kunsthalle.de