Hamburg. Das Format startet mit 50 kostenlosen Konzerten. Brahms im Brahms-Museum, syrischer Gesang im alten Hörsaal und Hildegard Knef reloaded.

In der Lobby des Hotel Atlantic herrscht am Donnerstag der übliche Betrieb. Gäste werden begrüßt, im Hotelrestaurant werden gehobene Speisen serviert, Besucher gehen ein und aus. Die Kronleuchter spenden warmes Licht und bilden einen angenehmen Kontrast zum teils recht trüben Wetter, Pumps klacken gedämpft auf dem weichen Teppichboden. An der Rückwand der Lobby hängt ein riesiges Gemälde von Kaiser Wilhelm, unscheinbar steht neben der Treppe ein schwarzes Piano. Dann greift Cate Pisaroni, Mitbegründerin von Liedstadt Hamburg, zum Mikrofon und kündigt den ersten Act des Tages an, die Singer-Songwriter Tom Gatza und Yule Post betreten den Teppich.

55 Konzerte an 16 Orten in vier Stunden: Mit einem ambitionierten Programm legen die Organisatoren des Festivals am Donnerstag den Grundstein für das neue, elftägige Veranstaltungsformat. Mit dabei sind unter anderem Tenor Julian Prégardien, Bariton Äneas Humm und Pianistin Mari Kodama. Die musikalischen Einflüsse changieren von Klassik und Chansons über Singer-Songwriter und syrische Gesänge. Die einende Komponente? Das Lied in all seinen Facetten.

Festival Hamburg: Syrische Musik im holzvertäfelten Hörsaal bei „Liedstadt“

Interessant sind neben den musikalischen Acts auch die besonderen Orte, an denen die Pop-up-Konzerte am Donnerstag stattfinden: Im Hotel Atlantic liefern Gatza und Post ein kurzweiliges und der Lokalität angemessenes Konzert und zeigen ihr „Potential“. Nach 15 Minuten heißt es dann aber schon „Bye“ und auf zum nächsten der 55 Kurzkonzerte, die im Stundentakt in der ganzen Stadt stattfinden.

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In der Lobby vom Hotel Atlantic präsentierten Tom Gatza und Yule Post im Rahmen der Liedstadt Hamburg einige ihrer Songs. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Im großen Hörsaal des MARKK Museums haben sich rund 50 Zuschauerinnen und Zuschauer versammelt. Sie sitzen verteilt auf den dunklen Holzbänken, die halbkreisförmig zum Pult ausgerichtet sind. Auch die Bühne und die hohen Wände sind holzvertäfelt, durch die großen Fenster fällt Tageslicht, eigentlich fehlt nur der dichte Zigarettenqualm, um sich eine Universitätsvorlesung aus den 70ern vorzustellen.

Im starken Kontrast dazu bestechen Sängerin Mais Harb und Faleh Khaless während ihres kurzen Auftritts mit einem Programm aus syrischer und arabischer Musik. Khaless lässt seine Finger graziös über das Saiteninstrument fliegen, während Harb die Zuschauer mit ihrem traumsequenzartigen, fremdsprachigen Gesang förmlich in den Bann zieht. Auch von außen strömen immer mehr Museumsbesucher in den Saal, die Kinder im Publikum klatschen begeistert im Takt.

Liedstadt Hamburg: Das Lied soll breitem Publikum niedrigschwellig nahegebracht werden

„Wir versuchen an Orten stattzufinden, wo sich sowieso Leute aufhalten“, erklärt Cate Pisaroni. So solle die musikalische Vielfalt des Liedes einem breiten Publikum nahegebracht werden, ohne förmliche Hürden: „Hier darf man auch mal husten oder einfach sein Gespräch weiterführen, ohne böse angeguckt zu werden.“ Die Eltern im Publikum danken es. Kaum hat Harb angefangen zu singen, ist das Kurzkonzert auch gefühlt schon wieder vorbei und lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem Lechzen nach mehr zurück.

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Julian Prégardien und Mari Kodama singen und spielen japanische Lieder und Lieder von Brahms im Komponistenquartier. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Mehr bietet den Hamburgerinnen und Hamburgern am Donnerstag auch Tenor und Festivalgründer Julian Prégardien, der gemeinsam mit Pianistin Mari Kodama im Brahms Museum im Komponistenquartier auftritt. Das Konzert im dritten Zeitslot ist so gut besucht, dass das Duo sich für ein spontanes zweites Kurzkonzert direkt im Anschluss entscheidet. Abwechselnd werden – ganz im Sinne des historischen Ortes – Brahms‘ Kompositionen gespielt, gepaart mit träumerischen japanischen Liedern. Mari Kodama, Gattin von Generalmusikdirektor Kent Nagano, sitzt zu diesem besonderen Anlass an dem Tafelklavier, an dem Brahms selbst vor 150 Jahren unterrichtete – die Zuschauer sind begeistert.

Chanteuse singt Lieder von Hildegard Knef in den Colonnaden

Zum letzten Zeitslot geht es dann wieder in Richtung Alster: Vor dem Bocksbeutel an den Colonnaden haben es sich die Besucherinnen mit einem Gläschen Wein gemütlich gemacht, draußen am Eingang sitzt Festivalmitbegründer Kian Jazdi am Klavier, während Chanteuse Géraldine Schabraque im rosa Mantel und mit breitem Lächeln einige Lieder von Hildegard Knef („Illusionen“, „Für mich soll es rote Rosen regnen“) schmettert.

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Géraldine Schabraque und Kian Jazdi coverten Songs von Hildegard Knef. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Vor allem die älteren Zuschauerinnen seufzen nostalgisch, aber auch das Laufpublikum in den Colonnaden wächst während des kurzen Auftritts der queeren Performerin rapide an. Rote Rosen regnet es zwar nicht, aber eine hingebungsvolle Zugabe gibt es zum Abschluss trotzdem.

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Liedstadt Hamburg findet vom 3. Oktober bis zum 13. Oktober an verschiedenen Orten in Hamburg statt. Es gibt täglich kostenlose Events. Nähere Informationen zum weiteren Programm und Tickets gibt es unter www.liedstadt.de